Onlinerazzia, Spähangriff, Vorratsdatensammlung — im Zuge der Terrorismusbekämpfung entwickelt der Staat einen gewaltigen Datenhunger. Sogar die Festplatte des heimischen Computers soll nicht mehr tabu sein. So sieht es das geplante, neue BKA-Gesetz vor. Überschreitet es die Grenzen des freiheitlichen Rechtsstaates? Im Streitpunkt von BLICKPUNKT BUNDESTAG diskutieren darüber der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Wolfgang Bosbach und der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum.
Ein Trojaner beherrscht die
politische Debatte. Wie
einst die Griechen mit dem
hohlen hölzernen Pferd, in
dem sie ihre Soldaten versteckten, den
trojanischen
Krieg gewannen, möchte
Bundesinnenminister
Wolfgang Schäuble
mit dem „Bundestrojaner”, der geheim
auf den Computern Terrorismusverdächtiger
installiert wird, im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus Boden
gewinnen. Die geplante Onlinedurchsuchung
ist einer der umstrittensten Teile
des neuen BKA-Gesetzes, das die Bundesregierung
bis zur Sommerpause dem
Parlament vorlegen will.
Der digitale Zugriff auf den Computer
in der grundgesetzlich geschützten
Wohnung ist der Versuch einer Antwort
auf die veränderten und immer raffinierter
werdenden Kommunikationsstrategien
des weitgehend anonymen, politisch
wie religiös motivierten Terrorismus.
Wie stark die Sicherheitsbehörden international
hinter der Kommunikation
potenzieller Attentäter herhinken, hatte
auf fatale Weise der Anschlag auf das
New Yorker World Trade Center am 11.
September 2001 gezeigt.
Auch in Deutschland sehen Experten
erhebliche Defizite. So konnte
die Polizei im September 2007 bei der
Anti-Terror-Operation „Alberich” drei
Islamisten
nur deshalb festnehmen,
weil sie am Rande der Legalität agierte
und entscheidende Tipps vom amerikanischen
Geheimdienst erhielt. Die drei
„Sauerland-Bomber” hatten aus einem
Internetcafé in Stuttgart konspirative
E-Mails mit Adressaten in Pakistan ausgetauscht
und wollten aus Wasserstoffperoxid
sprengfähiges Material herstellen, um damit Anschläge auf Flughäfen
und amerikanische Einrichtungen zu
verüben.
Befürworter wie Kritiker der Onlineüberwachung
stimmen darin überein,
dass der Staat bei der inneren Sicherheit
auf die neuen Herausforderungen
reagieren muss. Streitpunkt bleibt aber,
wie dabei eine angemessene Balance
von notwendiger Sicherheit und bürgerlicher
Freiheit erreicht werden kann.
Die Sorge, vorbeugende Eingriffe in die
Freiheitsrechte könnten einen allgegenwärtigen
Überwachungsstaat befördern,
reicht bis zum Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe, das in den letzten
Jahren immer wieder Sicherheitsgesetze
der Bundesregierung
verwarf oder korrigierte.
Auch bei der geplanten Onlinedurchsuchung
hat das Gericht vorsorglich
hohe rechtliche Hürden aufgestellt
und so etwas wie ein „Grundrecht auf die
Festplatte” konstatiert. Der Präsident
des
Gerichtes, Hans-Jürgen Papier, drückte
seine Besorgnis vor dem gläsernen Bürger
kürzlich so aus: „In einem Staat, der keine
Rückzugsbereiche der Privatheit übrig
lässt, möchte ich nicht leben.”
Ist dies im digitalen Zeitalter, in
dem nicht nur der Staat, sondern auch zunehmend
private Unternehmen einen gewaltigen
Datenhunger selbst auf persönlichste
Lebensgewohnheiten der Bürger
entwickeln, ein irrationaler Anspruch?
Die Auseinandersetzung um das
neue BKA-Gesetz zeigt, wie schwer eine
allgemein akzeptierte Linie zu finden ist.
So verweisen Sicherheitspolitiker auf den
legitimen Anspruch der Bürger, vor nicht
wegzuleugnenden Gefahren des Terrorismus
nach bestem Wissen geschützt zu
werden. Kritiker sehen dagegen
vor allem
in der Häufung von Sicherheitsgesetzen
die eigentliche Problematik:
Was
im Einzelnen gerade noch hinnehmbar
sei, gefährde in der Summierung den liberalen
Rechtsstaat.
Erschienen am 18. Juni 2008
Bundesverfassungsgericht
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts können Sie im Internet einsehen:
www.bundesverfassungsgericht.de