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Gültig ab: 17.09.2008 10:19
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Woher kommt künftig bezahlbarer Strom?

Bärbel Höhn und Sven Becker bei den Fotovoltaikanlagen auf dem Jakob-Kaiser-Haus
Auch der Bundestag nutzt für seine Versorgung regenerative Energien: Bärbel Höhn und Sven Becker bei den Fotovoltaikanlagen auf dem Jakob-Kaiser-Haus
© Thomas Köhler/photothek.net

Streitgespräch: Sven Becker und Bärbel Höhn

Wie produzieren wir in Zukunft Energie? Mit Kohlekraftwerken und Atommeilern? Mit Windkraft und Biomasse? Und was wird das kosten? BLICKPUNKT BUNDESTAG hat die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Bärbel Höhn, zum Streitgespräch gebeten. Mit ihr diskutiert Sven Becker, der als Sprecher der Geschäftsführung von Trianel — einem Verbund von mehr als 80 regionalen Energieversorgern — ein Mann der Praxis ist. Trianel ist 1999 aus der Liberalisierung der Energiemärkte mit dem Ziel entstanden, Stadtwerke in ihrer Eigenständigkeit zu unterstützen.

Blickpunkt Bundestag: Frau Höhn, sind Sie eine Traumtänzerin?

Bärbel Höhn: Nein. Ich bin eine Realistin.

Blickpunkt: Die Union und die Atomindustrie sehen das anders, werfen Ihnen und den Grünen vor, mit dem doppelten Nein zum Atomstrom und langfristig auch zur Kohle unrealistisch zu sein.

Höhn: Das grüne Ziel, im Jahr 2050 zu hundert Prozent erneuerbare Energien zu haben, ist erreichbar. Für die Übergangszeit brauchen wir auch Strom aus Kohle und Gas. Wichtig ist aber, dass es schon aus Risikogründen beim Ausstieg aus der Atomkraft bleiben muss und dass Deutschland aus Klimagründen nicht von Kohlekraftwerken zugebaut wird.

Blickpunkt: Herr Becker, Sie sind Praktiker vor Ort. Ist Frau Höhn eine ideologische Spinnerin oder eine mutige Realistin? Ist der grüne Kurs sinnvoll? Müssen wir radikal umsteuern?

„Das grüne Ziel, im Jahr 2050 zu hundert Prozent erneuerbare Energien zu haben, ist erreichbar.”
Bärbel Höhn
Sven Becker: Grundsätzlich halte ich den grünen Ansatz für richtig. Was die Grünen im Klimaschutz erreicht haben, hat ja auch schon positiv zu einer Veränderung unseres Bewusstseins geführt. Manchmal bedarf es dabei wohl auch einer Überziehung von Forderungen, um einen Teil dessen zu erreichen. Dennoch: Den Ausstieg sowohl aus der Kernenergie wie der Kohlekraft halte ich schon aus Gründen der Versorgungssicherheit für nicht realisierbar. Dazu sind wir einfach mit den erneuerbaren Energien noch nicht weit genug. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass der Industriestandort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Da spielen die Energiepreise eine wichtige Rolle.

Blickpunkt: Zwingen Ressourcenerschöpfung bei Öl und Kohle, aber auch die horrende Kostenexplosion vor allem beim Öl zur Eile?

Höhn: Der hohe Ölpreis führt zu Einsparungen. Hier liegen noch gewaltige Potenziale. Außerdem brauchen wir Veränderungen beim Energiemix. Je mehr erneuerbare Energie, desto unabhängiger sind wir vom Ausland. Um auch bei großer Nachfrage immer Strom zu haben, müssen wir Ökoenergie speichern. Auf diesem Feld gibt es große Fortschritte. Wir Grüne wollen bis 2020 beim Strom bei 40 Prozent erneuerbaren Energien sein. Um das Ziel zu erreichen, brauchen wir weniger als die Steigerungsraten der letzten Jahre. Die Bundesregierung will 30 Prozent.

Becker: Wann wir eine CO2-freie, also eine Energiewirtschaft ohne fossile Energien haben werden, ist schwer zu prognostizieren. Ich denke, dies ist frühestens 2050 realisierbar. Das nähere Ziel, bis 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 30 Prozent mindestens zu verdoppeln, erscheint mir ambitioniert, aber machbar zu sein. Auch unser Unternehmen hilft dabei, denn wir entwickeln gerade einen Offshore-Windpark mit 400 Megawatt vor Borkum, der 2011 ans Netz gehen soll.

Blickpunkt: Die großen Energiekonzerne sprechen von einer drohenden Stromlücke, falls am Fahrplan des Atomausstiegs festgehalten und einseitig auf erneuerbare Energien gesetzt wird. Herr Becker, haben die von Ihnen betreuten Stadtwerke bald keinen Saft mehr?

Becker: Derzeit wird in Deutschland die „Stromlückenlüge-Debatte” sehr kontrovers geführt. Fest steht, dass letztlich Angebot und Nachfrage immer über den Preis in Einklang gebracht werden. Das heißt, wenn der Ausstieg aus der Kernenergie nicht durch adäquate Erzeugungstechnologien ersetzt wird, werden wir signifikant steigende Preise erleben. Deshalb brauchen wir einen ausgewogenen Energiemix, um diese Lücke aufzufangen. Umso wichtiger ist es daher, dass Investitionspläne rechtzeitig realisiert werden können.

Bärbel Höhn
Bärbel Höhn
© Thomas Köhler/photothek.net
Höhn: Auch das Energiekonzept der Grünen enthält einen Kohleanteil. Wir wollen keine bestehenden Kohlekraftwerke abschalten. Aber neue wollen wir nicht, denn die laufen 40 bis 50 Jahre. Der CO2-Anteil ist doppelt bis dreimal so hoch, als wenn wir mit Gas Strom erzeugen. Und das ist nicht mit den Klimazielen der Bundesregierung vereinbar. Kohlestrom wird in Zukunft teurer: durch die steigenden Kosten für CO2-Zertifikate.

Becker: Wir planen zurzeit ein neues Kohlekraftwerk in Lünen, und — so paradox es klingen mag — wir leisten damit einen Beitrag zum Umweltschutz. Denn dieses Werk halbiert mit seiner modernsten Technologie den CO2-Ausstoß gegenüber alten Kohlekraftwerken. Natürlich kann man auch das noch bemängeln. Aber dann kann man auch fragen: Ist jemand, der ein Dreiliterauto fährt statt eines Benzinsäufers, ein Umweltsünder?

Höhn: Na ja, Herr Becker, was Sie da bauen, ist kein Dreiliterauto, sondern ein Achtliterauto! Denn auch Ihr hochmodernes Werk hat nur einen Effizienzgrad von etwa 46 Prozent; mehr als die Hälfte der Energie geht in die Luft, weil Wärme über lange Strecken nicht zu transportieren ist. Deshalb plädieren wir Grüne für dezentrale, kleine Blockheizkraftwerke, in denen man Wärme und Strom gleichzeitig erzeugt. Die haben eine Effizienz von rund 90 Prozent.

Becker: Ich bleibe dabei: Moderne Kohlekraftwerke sind eine wichtige Brückentechnologie, ohne die wir nicht bestehen werden. Würden wir auf sie verzichten, würden wir noch abhängiger werden von Energieimporten aus zum Teil politisch instabilen Regionen der Welt.

Höhn: Ich mache eine andere Rechnung auf: Würden die geplanten 30 Kohlekraftwerke gebaut, würden sie mehr als 180 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Deutschland dürfte aber aus Gerechtigkeitsgründen — auch die Kanzlerin Merkel gesteht jedem Menschen auf der Welt den gleichen Ausstoß zu — im Jahr 2050 nur zwei Tonnen CO2 pro Person ausstoßen. Bei 80 Millionen Einwohnern wären das 160 Millionen Tonnen. Das heißt, allein die Kohlekraftwerke würden mehr emittieren als Deutschland zustünde. Verkehr, Landwirtschaft, Wirtschaft und Haushalte dürften also überhaupt kein CO2 erzeugen! Das passt doch hinten und vorne nicht zusammen.

Blickpunkt: Wie stark setzen Sie als regionale Versorger auf erneuerbare Energien?

Sven Becker
Sven Becker
© Thomas Köhler/photothek.net
Becker: Wir setzen durchaus auch auf dezentrale regenerative Erzeugung — etwa durch Biomasse, Windenergie und Fotovoltaik. Außerdem investieren wir in Offshore- und in größere Geothermieanlagen, also in Erdwärme. Erneuerbare Energien haben ohne Zweifel ein großes Zukunftspotenzial. Aber wir dürfen keine Traumtänzer sein und die Augen vor den Problemen dieser Energien schließen. Das sind vor allem ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Grundlastfähigkeit, also die Fähigkeit, die erzeugte Energie zu speichern und jederzeit abzurufen. Die Speicherbarkeit erneuerbarer Energien ist die zentrale Grundaufgabe, um die Ökoenergie voranzubringen.

Höhn: Das ist richtig, aber hier gibt es erhebliche Fortschritte. Außerdem kann man Strom aus Biomasse schon heute speichern.

Becker: Ohne Zweifel hat Biomasse Potenzial. Aber es wird begrenzt durch die Nutzung als Treibstoff und auf dem Wärmemarkt. Außerdem haben wir nur begrenzte Flächen, um Biomasse einzusetzen. Das größere Potenzial sehe ich deshalb im Windbereich.

Blickpunkt: Wie lautet Ihre Hitliste bei den regenerativen Energien, Frau Höhn?

„Moderne Kohlekraftwerke sind eine wichtige Brückentechnologie, ohne die wir nicht bestehen werden.”
Sven Becker
Höhn: Windkraft an erster Stelle, dann Biomasse. Auch die Geothermie wird eine große Zukunft haben. Fotovoltaik wird sich eher langsam entwickeln. Wasser bleibt eine beschränkte Energiequelle.

Blickpunkt: Kommen wir zu den Preisen, die zurzeit in schwindelerregende Höhen steigen. Den Verbraucher interessiert nicht nur eine sichere, sondern vor allem auch eine kostengünstige Energie. Müssen wir bei Energie aus Wind, Sonne, Biomasse und Geothermie mit höheren Kosten rechnen?

Höhn: Auch Atomstrom und heimische Steinkohle wurden beziehungsweise werden mit Milliarden unterstützt. Die Windkraft an Land trägt zunehmend zur Preissenkung bei. Dieser Prozess wird sich verstärken. Bei Fotovoltaik ist es noch nicht so weit. Aber etwa 2015 wird der Strom vom Dach genauso teuer sein wie der aus der Steckdose. Das ist eine spannende Perspektive. Insgesamt kann man sagen: Je stärker die erneuerbaren Energien eingesetzt werden, umso günstiger werden sie.

Becker: Es stimmt: Windenergie ist mit der zunehmenden Standardisierung der Technologie marktfähiger geworden. Wegen der begrenzten Grundlastfähigkeiten von Ökostrom müssen aber die Kosten für die parallel vorzuhaltende Reserveenergie zugerechnet werden. Bei Flaute und Regen müssen Kohlekraftwerke einspringen. Das verschlechtert natürlich die Bilanz. Dennoch: Der Weg in den Ökostrom bleibt als Ziel richtig.

Bärbel Höhn und Sven Becker mit dem Moderator Sönke Petersen
Bärbel Höhn und Sven Becker mit dem Moderator Sönke Petersen
© Thomas Köhler/photothek.net
Blickpunkt: Die Atomindustrie lockt damit, dass sie bei längeren Laufzeiten von Atomkraftwerken Sozialtarife anbieten und die regenerative Energie stärker fördern könnte. Sind das glaubhafte Sirenengesänge?

Höhn: Dass Atomstrom nicht zu günstigeren Preisen führt, kann man gut in Baden-Württemberg erkennen: Dort ist der Atomstromanteil am höchsten, die Energiepreise sind es aber auch. Tatsächlich hat der Atomstrom dazu geführt, dass sich die großen Energiekonzerne prächtig die Taschen gefüllt, ihre Monopolstellung ausgebaut und kaum Wettbewerb zugelassen haben. Deshalb begrüße ich es auch, dass es regionale Stadtwerkeverbünde wie Trianel gibt, die zumindest einen kleinen Pflock dagegen einschlagen.

Becker: Danke für das Kompliment. Tatsächlich führen die großen Gewinne, die in der Kernenergie realisiert werden, dazu, dass die profitable Position dieser Konzerne immer weiter ausgebaut und eine Kriegskasse angelegt wird, um sich später an Stadtwerken und neuen Energien zu beteiligen. Diesen Konzentrationsprozess in der Energiewirtschaft sehe ich mit großer Sorge. Wir brauchen einfach mehr Wettbewerb, dann hätten wir auch günstigere Preise.

Blickpunkt: Jeder Bürger muss heizen, kochen, von A nach B fahren — all das sind Grundbedürfnisse, die Energie kosten. In welchem Maße ist Energiepolitik nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Sozialpolitik?

Höhn: Gerade angesichts der galoppierenden Energiepreise in extrem kurzer Zeit wird der soziale Aspekt immer wichtiger. Viele Menschen können mit der neuen Situation gar nicht fertig werden. Allein die Heizkosten haben sich in einem Jahr fast verdoppelt, viele Haushalte werden im nächsten Winter große Probleme bekommen. Deshalb brauchen wir eine Doppelstrategie: weg vom Öl und soziale Unterstützung für Hilfsbedürftige.

Becker: Natürlich muss man sich um soziale Härtefälle kümmern. Dies ist aber die Aufgabe von sozialen Instrumenten und nicht so sehr von der Energiepolitik. Besser als Sozialtarife sind attraktive energie- und klimapolitische Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb in der Energiewirtschaft und damit wettbewerbsfähige Energiepreise. 

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Das Gespräch führte Sönke Petersen.
Erschienen am 24. September 2008

Zur Person:

Bärbel Höhn, Jahrgang 1952, ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2005 ist die Diplom-Mathematikerin stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Davor war sie zehn Jahre lang Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen.
E-Mail: baerbel.hoehn@bundestag.de
Website: www.baerbel-hoehn.de

Sven Becker, Jahrgang 1968, ist Sprecher der Geschäftsführung der Trianel European Energy Trading GmbH, eines Kooperationsunternehmens konzernunabhängiger, kommunaler Energieversorger. Vorher war er unter anderem bei der Ruhrgas AG und bei Enron Europe tätig.
www.trianel.com


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