Rainer Brüderle: „Ich lese ‚Ludwig Bamberger’ von Benedikt Koehler.“
In kaum einer Person bündeln sich die Entwicklungen und Konflikte der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts so wie in Ludwig Bamberger. Sein Lebenslauf ist exemplarisch und einzigartig zugleich: Revolutionär, Emigrant, Bankier, Reichstagsabgeordneter, jüdischer deutscher Patriot und überzeugter Liberaler. Jede dieser Rollen eignet sich für eine Kapitelüberschrift zur deutschen Geschichte zwischen 1848 und dem Ende des Bismarckreiches. Bamberger kämpfte zeitlebens gegen Reaktionäre, Grenzhüter, Antisemiten, kleingeistige Bedenkenträger und Demokratiefeinde.
Mich interessieren Menschen und ihre Geschichte. Seit meiner Jugend lese ich gern Biografien. Dieses Buch hat mich besonders gepackt. Auf 300 Seiten wird vor allem das politische und unternehmerische Wirken Bambergers geschildert. Man nimmt teil an seinen Herausforderungen und Erfolgen, aber auch an seinen Niederlagen. Koehler schreibt mit Empathie und wahrt zugleich die Distanz des Historikers. Er strickt hier keine simple Heldengeschichte, sondern zeigt die Tragik einer großen Persönlichkeit, die ihrer Zeit weit, oft zu weit voraus war.
Der in Mainz geborene Jurist kämpfte zunächst als Redakteur und Volksredner gegen Fürstenwillkür und Kleinstaatsdenken und für eine geeinte deutsche Demokratie. Sein Freiheitsdrang brachte ihm ein Todesurteil ein, dem er sich nur durch Flucht in die Schweiz entziehen konnte. Er wurde Kaufmann und ließ sich in London, Paris, Antwerpen und Brüssel von den Vorteilen nationalstaatlicher Ordnungen und einer liberalen Wirtschaftspolitik überzeugen. Erst eine Amnestie ermöglichte ihm die Rückkehr nach Deutschland. Hier warb er erfolgreich für Reformen, war maßgeblich an der Schaffung der Reichsbank und an der Vereinheitlichung der Reichswährungen beteiligt und kämpfte als Reichstagsabgeordneter für den Freihandel und gegen die Bismarck’sche Schutzzoll- und Kolonialpolitik.
Liberale Politik stößt noch heute auf Blockaden, Grenzen müssen auch im 21. Jahrhundert noch überwunden werden, Toleranz und vorurteilsfreies Denken sind noch nicht überall selbstverständlich. Bambergers Wirken kann uns über 100 Jahre nach seinem Tod Ansporn sein. Seine Biografie ist hochaktuell. Ludwig Bamberger hat noch längst nicht die Bekanntheit, die er verdient. Nicht nur deshalb sind diesem Buch viele Leser zu wünschen.
Benedikt Koehler, Ludwig Bamberger. Revolutionär und Bankier, DVA, Stuttgart 1999.
Foto: Deutscher Bundestag
Erschienen am 15. März 2005
Weitere Informationen:
RAINER BRÜDERLE, Jahrgang 1945, ist seit 1998 für die FDP im Bundestag. Er ist stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion und ordentliches Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit.
rainer.bruederle@bundestag.de