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Gültig ab: 25.07.2005 00:00
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Online auf Augenhöhe diskutieren

Bild: Messebesucher chatten an Notebooks
Im Rahmen der Musikmesse Popkomm 2004 chatteten Abgeordnete bei mitmischen.de zum Thema „Urheberrecht“.

Internetchats mit Abgeordneten

Sie heißen Twiggy, Texas oder Bibo, sitzen irgendwo in der Republik und sind doch am gleichen Ort – im Chatroom. Diese Räume sind nicht nur Refugien für einsame Herzen. Immer häufiger geht es hier um Politik. Ein Grund, warum die Chats auch bei Politikern immer beliebter werden. Eine ganze Reihe von Websites lädt regelmäßig zu Diskussionen mit Bundestagsabgeordneten.

Die Bundestagsabgeordnete Martina Krogmann (CDU/CSU) kann sich ihre politische Arbeit ohne das Internet gar nicht mehr vorstellen. Sie schätzt den schnellen Meinungsaustausch mit den Bürgern. Chats gehören zu ihrem politischen Alltag. Sie bietet sie auf ihrer Homepage an und ist Gast bei Diskussionen auf www.heise.de oder www.tagesschau.de. „In Chats hat man eine Gesprächsrunde, deren Teilnehmer über den ganzen Globus verteilt sein können“, sagt sie.

Immer häufiger bieten Zeitungen, Fernseh- und Radiosender im Anschluss an politische Berichte Chats an, in denen das Publikum mit den Gästen diskutieren kann. Regelmäßig online debattiert wird auch auf der Internetseite www.politik-digital.de, die der Verein pol-di.net aus Berlin betreibt. „Mit dem Verein wollen wir einen aktiven Beitrag zur europäischen Informations- und Wissensgesellschaft leisten“, erklärt Geschäftsführer Christoph Dowe.

Kein reines Jugendformat

Zum Programm gehört bei www.politik-digital.de daher die Chatreihe „tacheles.02“, die der Verein in Zusammenarbeit mit dem Berliner Tagesspiegel für www.tagesschau.de betreibt. Über 200 Gäste haben sich hier schon die virtuelle Klinke zum Chatroom in die Hand gegeben, darunter Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Angela Merkel (CDU/CSU), Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) und Guido Westerwelle (FDP).

„Das Internet und vor allem auch Chats sind wichtige Medien für die Teilnahme an politischen Prozessen“, sagt Christoph Dowe. Allerdings warnt er davor, im Chat ausschließlich ein Jugendformat zu sehen. „Das mag bei Promi-Chats der Fall sein. Bei Politik-Chats sind es aber vor allem Erwachsene, die mit den Abgeordneten qualitativ auf Augenhöhe diskutieren.“

Dennoch sehen viele Abgeordnete die Chance, im Onlinetalk junge Menschen zu erreichen. „Gerade Jugendliche spricht ein Chat mehr an als eine Gesprächsrunde“, sagt Martina Krogmann. Man müsse nur mit dem richtigen Thema kommen. Das sieht auch Anna Lührmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so. „Chats bieten auch Leuten, die nicht zu Parteiveranstaltungen kommen, die Möglichkeit, mit einer Politikerin zu sprechen“, sagt die jüngste Abgeordnete der Fraktion, die häufig auf Websites wie www.dol2day.de, oder www.gruene-fraktion.de chattet.

Frech und lässig „mitmischen“

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes chatten 56 Prozent aller Deutschen unter 25 regelmäßig im Internet. Die beliebtesten Themen sind Musik, Film und Flirt – aber zunehmend auch die Politik.

Der Bundestag hat das Potenzial schon früh erkannt und ein Jugendportal eingerichtet: www.mitmischen.de fordert Jugendliche auf, am Zeitgeschehen mitzuwirken. „Wir wollen jungen Menschen eine Stimme geben“, sagt Erwin Ludwig aus der Bundestagsverwaltung, der das Projekt betreut. „Wir bieten Themen an, die von Jugendlichen in Abstimmungen ausgewählt wurden. Hier haben die Jugendlichen ein wirkliches Mitspracheinstrument.“

So gibt es auf www.mitmischen.de regelmäßige Chats mit Abgeordneten. „Sinnvoll sind Chats jedoch nur, wenn die Teilnehmer wissen, worüber sie reden. Daher informieren wir immer schon im Vorfeld ausführlich über die Themen“, sagt Erwin Ludwig.

Mitgemischt hat auch der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss. Er gehört jetzt der „Fraktion Mitmischen“ an, so wie alle Abgeordneten, die dort mit Jugendlichen gechattet haben. Für Jörg Tauss ist die Arbeit mit dem Internet selbstverständlich. „Ich war als einer der ersten Abgeordneten des Bundestages mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten“, sagt er. Interaktivität ist für ihn seit jeher wichtig, er war sogar der erste Abgeordnete mit eigenem Netzzugang. Der Mitmischen-Chat ist für ihn eine Netzaktivität unter vielen. Er veröffentlicht auch ein Internettagebuch auf der Seite www.politikerscreen.de, ein so genanntes Weblog. Für Jörg Taus steht fest: „Das Niveau im Internet ist viel höher, als viele annehmen.“

Ein Chat ist schnell, frech und lässig. Dazu trägt die Anonymität des Chatrooms bei: Meist treten die Chatteilnehmer unter einem Pseudonym auf – wie Twiggy oder Bibo. „Durch die Anonymität haben es schüchterne Fragesteller etwas leichter, aber gleichermaßen steigt leider auch die Wahrscheinlichkeit unsachlicher Äußerungen“, sagt Martina Krogmann. Auch die Sprache verändert sich. „Man muss kurz und präzise sein. Das ist eine großer Vorteil“, ergänzt sie. Chats sind eben Echtzeitgespräche. Darin unterscheiden sie sich von Foren, in denen die Fragen erst nach einiger Zeit von Fachleuten oder Forenteilnehmern beantwortet werden.

Netzdemokratie braucht Regeln

Meist weisen die Chatbetreiber auf die Umgangsformen hin, die so genannte „Chatiquette“. Locker darf es hier zugehen, Menschen verachtende, beleidigende oder pornografische Beiträge sind aber nicht erlaubt. Sollte doch mal jemand über das Ziel hinausschießen, tritt der Moderator auf. Wenn es ernst wird, verwarnt er oder schließt den Teilnehmer aus. Auch Netzdemokratie braucht Regeln.

Etwas anders läuft es in den Onlinekonferenzen des Bundestages auf www.bundestag.de, die von den Ausschüssen oder Enquete-Kommissionen zu tagesaktuellen Themen veranstaltet werden. Von jeder Fraktion nimmt ein Abgeordneter teil und wird direkt von den Internetnutzern angesprochen. „Der Abgeordnete entscheidet, ob er die Frage beantwortet und erst nach der Beantwortung wird die Frage mit der Antwort ins Netz gestellt“, sagt Hans-Peter Neumann von den Onlinediensten des Deutschen Bundestages.

Für Fragen, die in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr beantwortet werden konnten, besteht die Möglichkeit, dass der Abgeordnete diese noch nachträglich beantwortet. „Demnächst ist geplant, dass sich auch die Fraktionsvorsitzenden der Diskussion stellen“, sagt Neumann.

Gängiges Mittel der politischen Arbeit

Internettalks sind für viele Abgeordnete ein wichtiges Medium geworden. Dennoch will natürlich keiner auf das persönliche Gespräch verzichten. „Ich ziehe dem Chat das persönliche Gespräch vor“, sagt Sibylle Laurischk (FDP), „weil ich aus dem unmittelbaren Kontakt eine klare Einschätzung hinsichtlich der Haltung und Meinung meines Gesprächspartners haben kann. Das ist über den anonymen Austausch per Internet viel weniger möglich.

Bits und Bytes werden Sprache, Mimik und Gestik wohl nie ersetzen. Allerdings sind die Möglichkeiten der Netzdemokratie noch nicht ausgeschöpft. Das sagt auch Jörg Tauss, der vor einiger Zeit das e-Demokratie-Projekt des Bundestages initiiert hat. „Interaktive Dienste müssen auch online verfügbar sein. Die häufige Verwendung der Begriffe e-Demokratie und e-Government ist ein Indiz für die Erwartungen der Politik an die neuen Medien.“

„Im Internet werden noch neue Formen der Partizipation entstehen“, meint Christoph Dowe von pol-di.net. Notwendig ist jedoch die Einbindung dieser Mitsprache in die politischen Prozesse. Denn sonst bleiben Chats nur das, was sie der ursprünglichen Wortbedeutung nach sind: Geplauder.

Text: Georgia Rauer
Foto: Felix Peschko
Erschienen am 27. Juli 2005

Chats mit Abgeordneten gibt es unter anderem auf:


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