Kinder brauchen Erwachsene, die sich für sie einsetzen, für ihre Rechte kämpfen und dafür sorgen, dass es ihnen gut geht. Kinder brauchen Schutz und Fürsorge. Auch politische. Dafür gibt es im Deutschen Bundestag die Kinderkommission, kurz KiKo. Sie ist ein Untergremium des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat zwar kein Antragsrecht, aber alles, was sie als Konsens beschließt, geht in die Arbeit des Bundestages als Empfehlung und Aufforderung zum Handeln ein. Die KiKo ist etwas Besonderes und etwas besonders Gutes.
Marlene Rupprecht hat sich Zeit genommen. Viel Zeit, denn die Klinik für Kinder und Jugendliche in Fürth ist eine Herzensangelegenheit der SPD-Abgeordneten. Sie sagt aber: „Ein gutes Herz allein reicht nicht für gute Politik.“ Deshalb ist sie eine Fachfrau mit einem guten Herzen geworden.
Professor Jens Klinge, Leiter der Klinik, und Professor Gunther Moll, Kinderpsychiater und Lehrender an der Universität Erlangen, reden über Projekte. Bereits angelaufen ist ein Programm, um Kindern mit Übergewicht mit einer Kombination von stationärem Aufenthalt und ambulanter Betreuung beim Abnehmen zu helfen. Es soll ihnen beibringen, wie man einkauft, gesund kocht, sich gut ernährt, dabei Spaß am Leben hat und Krankheitsrisiken vermeidet. In zwei Jahren vielleicht wird man wissen, ob das gelingt. Die beiden Männer wollen aber mehr. Sie wollen in der Kinder Kinderklinik eine Tagesklinik für Kinderpsychiatrie aufbauen. Dann könnte man Kinder besser und ganzheitlich behandeln. Eingreifen und helfen, so früh wie möglich. So ein Projekt wollen sie ins Leben rufen. „Wir schauen, ob es geht“, sagt Professor Moll. „Und wenn es nicht geht, machen wir es eben.“
So ähnlich geht auch die Abgeordnete Rupprecht an die Dinge heran. Wenn etwas nicht geht, wird gekämpft. Jammern und Rückzug hat noch nie gegolten. In diesen Zeiten kämpft die 59-Jährige, die zurzeit den Vorsitz in der Kinderkommission hat, dafür, dass Kinderrechte in die Verfassung kommen. Erst vor kurzem hat die Kommission zu diesem Thema eine viel beachtete Anhörung veranstaltet. „Wir machen noch viel zu viel, eigentlich fast immer, Erwachsenenpolitik. Ich will, dass Kinder in den Fokus genommen, ihre Rechte gestärkt werden.“
Die Lehrerin weiß, wovon sie redet. Sie hat mehr als 20 Jahre mit Kindern gearbeitet, fast immer in und an Brennpunkten, mit Kindern, denen nichts geschenkt wurde und die kein einfaches Leben hatten. „Verfassungsrechte für Kinder“, sagt Marlene Rupprecht, „werden allein noch keine Probleme lösen.“ Aber sicher das Bewusstsein für Probleme stärken und neue Möglichkeiten eröffnen, mehr Politik für Kinder zu machen.
Über all das redet die Abgeordnete mit dem Leiter der Kinderklinik und dem Kinderpsychiater. Projekte wie diese hier wird Marlene Rupprecht unterstützen. Um das deutlich zu machen, ist sie gekommen. Und um zu lernen. Denn ein gutes Herz allein reicht noch nicht für gute Politik.
Geschichten mit Zündstoff
Sie ist eine großartige Vorleserin. Die Kinder der Städtischen Gemeinschaftsgrundschule Willbeck in Erkrath wissen das zu schätzen. Der Applaus für die CDU/CSU-Abgeordnete Michaela Noll verlangt nach mehr. Aber die Zeit für die Geschichten von Astrid Lindgren und vom Sams und Herrn Taschenbier bleibt bemessen. Also: Aufhören, wenn es am spannendsten wird. Was tun? Die Eltern bitten, mit dem Vorlesen weiterzumachen? Oder selber weiterlesen!
Michaela Noll hat eine Art, mit den Kindern zu reden, bei der man denkt: Diese Frau ist genau richtig in der Kinderkommission. Sie nimmt die Kinder ernst, weiß offensichtlich ziemlich gut, wie es in den kleinen Köpfen aussieht, und lässt die Kinder spüren, dass sie jetzt nur für sie da ist.
Der Vorlesetag in der Schule, den die Abgeordnete gemeinsam mit der stellvertretenden Bürgermeisterin von Erkrath, Regina Wedding, gestaltet, ist für Lehrerinnen und Kinder richtig schön. Deshalb wird am Ende auf dem Schulhof noch ein Lied für die Abgeordnete geschmettert.
Michaela Noll sagt: „Kinder sind engagiert, interessiert und neugierig. Wenn sie es nicht sind, gibt es Ursachen dafür und die muss man beseitigen helfen.“ Das heißt beispielsweise, gemeinsam mit anderen ein Projekt ins Leben zu rufen, das Schulverweigerer wieder einbindet. „Zündstoff“ heißt es und der Erfolg sagt: Fast 80 Prozent der Aussteiger steigen wieder ein und lernen.
Das heißt beispielsweise auch, ein gutes Projekt aus Frankfurt/Main in den Wahlkreis zu importieren, bei dem abends die Sporthallen ihre Türen öffnen zum „Mitternachtssport“. Sport ist ein Weg für die Abgeordnete, gerade in sogenannten Problembezirken Kinder und Jugendliche einzubinden, zusammenzubringen, ihnen Teilhabe zu ermöglichen.
Michaela Noll war die erste Vorsitzende der Kinderkommission in dieser Legislaturperiode. Ihre Themenschwerpunkte sind Sport, Medien und Gewalt. In den Klassen 1 bis 4 erklärt Michaela Noll am Vorlesetag allen Kindern, wofür es eine Kinderkommission gibt. „Schreibt uns“, fordert sie die Kinder auf, „wenn ihr Sorgen habt und möchtet, dass wir etwas ändern. Dafür sind wir da.“ Sie hat sich an diesem Vormittag so ins Zeug gelegt und so viel Freude und Engagement rübergebracht, dass klar ist: Genau so meint sie es auch.
Perlen im Puppentopf
Die FDP-Abgeordnete Miriam Gruß hat sich an diesem Morgen von ihrem zweieinhalbjährigen Sohn verabschiedet und ist dann in den Berliner Wedding gefahren. Sie ist verabredet mit Jochen Meinhardt. Der arbeitet in der Kindertagesstätte Neue Hochstraße 44. Er ist seit 25 Jahren Erzieher — und damit eine besondere Spezies, denn Männer sind in Erzieherberufen immer noch eine Seltenheit. Darüber möchte sich Miriam Gruß heute mit ihm unterhalten. Außerdem möchte sie von ihm wissen, wie der Alltag in einer großen Kita ist, in der die Kinder Hussam, Ismail, Kevin, Ali Alp, Hadi, Eren, Asya, Aleyna und Sebiha heißen. Sie setzt sich auf einen kleinen Stuhl und ist auf Augenhöhe mit den Kindern. Die kochen Essen in Plastiktöpfen, malen Bilder und ziehen Puppen an und aus.
Miriam Gruß redet mit Jochen Meinhardt über Spracherwerb und Gruppenstärke, Zusammenarbeit mit Eltern, interkulturelle Gruppen, Ernährung und Bewegung, traditionelle Rollenverteilung und moderne Familien, über Politik in Zeiten des Sparens und familienfreundliches Handeln in einer zunehmend kinderarmen Gesellschaft.
In der Kinderkommission ist die Abgeordnete zuständig für die Themen Kinder und Mobilität, Kultur und Alltag. Da steckt die halbe Welt drin. Wie ihre vier Kolleginnen ist Miriam Gruß zugleich Kinderbeauftragte ihrer Fraktion, und wie ihre vier Kolleginnen wird sie einmal und für neun Monate in der Kommission den Vorsitz übernehmen. Die 31-jährige FDP-Abgeordnete mit den langen blonden Haaren schaut besonders auf die Welt des Alltags. „Was sieht, was erlebt ein Kind, wenn es aufwächst, welche Gefahren drohen ihm, wie kinderfreundlich ist die Gesellschaft? Ich beobachte, wie unsere Welt für ein Kind ist. Ist es überall willkommen — in Läden, in Restaurants, in Zügen beispielsweise, wo es noch immer nicht untersagt ist, ein Kind mit in das Raucherabteil zu nehmen? Werden Familien zielgenau gefördert, genügen die Hilfsangebote, wenn Überforderungssituationen entstehen? Mein Ziel ist, Kinderpolitik stärker ins Bewusstsein zu rücken. So dass bei jeder politischen Entscheidung bedacht wird, welche Folgen und Auswirkungen das für Kinder haben wird.“
In der Weddinger Kita erfährt Miriam Gruß viel Neues und viel Wichtiges für ihre Arbeit. Und Schönes dazu, denn sie weiß am Ende, dass man aus Perlen und Plastikbausteinen eine ganz leckere Suppe kochen kann. In einem Puppennachttopf.
Kleeblatt bringt Glück
Frau Holle schüttelt ein großes weißes Kissen. Vielleicht fällt ja Schnee in die Krabbelstube. Das wäre etwas! Die Abgeordnete Diana Golze von der Fraktion Die Linke. sitzt auf dem Fußboden — zwischen Müttern und krabbelnden, laufenden, spielenden Kindern — und redet. Es geht laut, fröhlich und chaotisch zu. Alle fühlen sich wohl. Nur Frau Holle schwitzt ein wenig unter ihrer Haube.
Kleeblatt e.V. betreibt seit fast zehn Jahren in der Großen Hagenstraße in Rathenow das Zentrum für Familie, Frauen und Kinder. Wer ein Kind hat, das noch keine drei Jahre ist, kann hierher kommen. Das kostet 50 Cent die Stunde und einen Euro, wenn man das Kind hier lässt, um mal ein bisschen Zeit für sich zu haben. Initiatorin des Projektes ist die Hebamme Manuela Neubüser. Sie hat ihre Zeit, ihr Geld, vor allem aber ihre Leidenschaft hier reingesteckt, damit vor allem junge Mütter einen Ort haben, an dem sie sich treffen können. Und damit die kleinen Kinder, denen oft schon von Beginn an so manches verwehrt bleibt, früh und gut gefördert werden. Zuwendung, Hilfe, Rat, Gemeinsamkeit — für Mütter und für Kinder ist Kleeblatt ein Glück. Wer kommen will, kann kommen.
Diana Golze kennt den Verein und das Projekt von Beginn an. In der Kinderkommission befasst sich die 31-jährige Sozialpädagogin mit den Schwerpunkten Kinderarmut, Kinderund Jugendhilfe und -sozialarbeit sowie Selbst- und Mitbestimmungsrechte von Kindern. Über Armut, sagt sie, werde in Deutschland viel zu wenig gesprochen. Über Armut von Kindern noch weniger. „Das muss sich ändern. Wir brauchen mehr Wissen darüber, wo Armut beginnt, wie sie sich manifestiert und auswirkt auf Kinder. Und wir müssen mehr tun dagegen, dass Kinder wegen Armut von Beginn an ausgeschlossen und abgeschoben sind.“ Diana Golze will, dass die Kinderkommission eine Anhörung zu diesem Thema macht, sie will, dass die Kommission Vorschläge entwickelt und unterbreitet, was eine an sich reiche Gesellschaft für arme Kinder tun kann.
An diesem Vormittag redet die Abgeordnete mit Müttern und den Frauen, die seit vielen Jahren den Verein Kleeblatt tragen. Sie hört zu, wenn über die Alltäglichkeit der Sorgen gesprochen wird. Sie will für ihre parlamentarische Arbeit wissen, wovon sie redet und wofür sie Vorschläge unterbreitet.
Frau Holle macht Pause. Sie setzt sich mit der Abgeordneten und der Hebamme und den anderen Frauen, die hier arbeiten, an den Tisch. Man redet über das Leben. In der Krabbelstube bereiten sich laut und energisch eine Menge Kinder darauf vor, es zu meistern. Einige haben hier schon laufen gelernt.
Lust auf die Zukunft
Ekin Deligöz sagt: „Wenn ich unterwegs bin, um mit Kindern und Jugendlichen zu reden, dann tue ich das, weil ich sie als Bürger unseres Landes ernst nehme — ihre Ansprüche an das Leben, ihre Bedürfnisse, ihre Meinungen. Damit fängt gute Kinderpolitik an. Mit Respekt und Interesse.“
In der Montessori-Volksschule in Wertingen ist die Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit Mädchen und Jungen einer 10. Klasse verabredet. Zum Reden. Ekin Deligöz nimmt jede Frage auf. Es ist eine offene Diskussion auf Augenhöhe. Natürlich geht es um das Thema Kopftuch und die Frage, warum die 1971 in der Türkei geborene Deutsche Deligöz Musliminnen aufgerufen hat, ihre Kopftücher abzulegen. Es wird diskutiert, warum Jugendliche von Älteren oft eher negativ wahrgenommen werden, es geht um Fremdenfeindlichkeit und die Arbeit von Abgeordneten. „Mit euch“, sagt Ekin Deligöz am Schluss, „habe ich Lust auf Zukunft.“
Auch am Nachmittag dieses Tages geht es um die Zukunft und um die Schattenseiten der Gegenwart. Ekin Deligöz ist verabredet mit Vertretern des Deutschen Kinderschutzbundes, im Kreis Dillingen. Hier wird viel und viel gute ehrenamtliche Arbeit geleistet. Und hier wird darüber geredet, warum Kinder und Jugendliche sich oft so alleingelassen fühlen. „Da verlässt jemand die Schule, hat keinen Ausbildungsplatz, sieht keine Perspektive und wir müssen uns fragen, warum diese moderne Gesellschaft es immer noch zulässt, dass so jemand zum Verlierer wird.“ Der Kinderschutzbund in Dillingen bietet Kurse an, die heißen „Starke Eltern — starke Kinder“ und die nehmen, wie die Abgeordnete sagt, erfolgreich beide in den Blick, die Erziehenden und die Heranwachsenden. Auch das macht Lust auf Zukunft.
Ekin Deligöz ist seit 1998 Bundestagsabgeordnete und sitzt seitdem in der Kinderkommission. Ihre Schwerpunktthemen sind Vernachlässigung von Kindern und soziale Ausgrenzung, Verbraucherschutz, Ernährung und Elementarbildung/frühkindliche Förderung. Das alles habe, sagt sie, mit Gerechtigkeit zu tun und natürlich mit Gestaltung von Zukunft. An frühkindlicher Förderung liegt der Abgeordneten ganz besonders. „Wir brauchen eine Qualitätsinitiative, um Kindergärten und andere frühkindliche Einrichtungen zu verbessern, wir müssen darüber nachdenken, wie Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet sein sollen. Wir wollen“, sagt Ekin Deligöz und ist dann ganz bei dem, was allen Frauen in der Kinderkommission so wichtig ist, „eine Verfassung, in der Kinderrechte verankert sind.“ So klingt das, wenn man Kinder und Jugendliche als Bürger ernst nimmt.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 31. Januar 2007
Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat eine Sonderstellung im Parlament. Seit ihrer Einrichtung 1988 versteht sie sich als Ansprechpartner, Interessenvertretung und Sprachrohr für die Kinder. Formal ist sie ein Unterausschuss des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und besteht aus fünf Mitgliedern (eines pro Fraktion) und ebenso vielen Stellvertretern. Mehr Infos und der elektronische KiKo-Briefkasten für Kinder unter:
www.kinderkommission.de