Vor verschlossenen Türen? Holger Haibach mit einem Gebetsschal aus Tibet vor der chinesischen Botschaft in Berlin
© DBT/Rolf Schulten
Holger Haibach (CDU/CSU)
Wer für den Schutz von Menschenrechten kämpft, muss vor allem eines
haben — Geduld. Holger Haibach hat sich dieser Aufgabe verschrieben.
Der Unionsabgeordnete sitzt im Menschenrechtsausschuss des Bundestages
und ist Vorsitzender des Tibet-Gesprächskreises. Er blickt nicht nur aus
sportlichem Interesse auf die Olympischen Spiele in Peking. Ihn interessiert,
ob China die Menschenrechte achtet — während Olympia und danach.
Wenn sich der Mut eines
Abgeordneten
danach bemisst,
wie oft er den Dalai
Lama bei seinem Besuch
im Mai in Berlin getroffen hat, dann gehört
Holger Haibach zu den mutigsten
Volksvertretern im Bundestag. Drei Mal
kam er innerhalb eines Tages mit dem
Dalai Lama zusammen, öfter als jeder
andere Politiker in Berlin. Am Morgen
begrüßte er ihn als Vorsitzender des Gesprächskreises
Tibet in der Hauptstadt,
später saßen Haibach und Unionsfraktionschef
Volker Kauder mit dem Tibeter
im Berliner Nobelhotel Adlon zusammen,
schließlich traf er ihn als Mitglied
im Auswärtigen Ausschuss.
Nicht jeder wollte sich mit dem
Dalai Lama blicken lassen, als der im
Mai Deutschland besuchte. Außenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) mied
den Tibeter — und so den Ärger mit den Chinesen. „Die hatten lautstark vor jedem
offiziell aussehenden Treffen mit
dem im indischen Exil lebenden geistlichen
Oberhaupt der Tibeter gewarnt.
Peking betrachtet Tibet als Teil seines
Staatsgebiets und wirft dem Dalai Lama
separatistische Bestrebungen vor. Angela
Merkel, die den Dalai Lama vergangenes
Jahr im Kanzleramt empfangen
hatte, weilte im Ausland, also wäre der
Vizekanzler an der Reihe gewesen. „Es
ist kein gutes Zeichen, dass Steinmeier
die Anfrage der Tibet-Initiative abschlägig
beschieden hat”, diktierte Haibach
damals den Reportern in die Blöcke.
Steinmeiers stille Diplomatie, so Haibach
im Mai, drohe zur „Leisetreterei” zu
werden.
Seit er 2002 in den Bundestag gewählt
wurde, kümmert sich Haibach um
die Menschenrechtspolitik. Im gleichnamigen
Ausschuss, im Tibet-Gesprächskreis, in der Versammlung des Europarates
oder als Delegationsleiter von Abgeordnetenreisen,
etwa nach Weißrussland,
Europas letzter Diktatur. Es ist ein ungewöhnlich
stilles Geschäft im normalerweise
„Bei uns ist schon beim Frühstück über Politik gesprochen worden.”
lauten Politikalltag. Nichts, außer
vielleicht die Reisen an Orte abseits der
Touristenströme, wirkt auf den ersten
Blick anziehend. Das lange Sitzen in
Gremien nicht, das vielsprachige Diskutieren
über Berichte nicht. Und die
Tatsache, dass im Regelfall kaum einer
diese Arbeit bemerkt, auch nicht.
Haibach lehnt sich aus seinem
Sessel im Abgeordnetenbüro im Berliner
Parlamentsviertel und legt die Ellenbogen
auf die Knie. „Ich beneide keinen
Sozialpolitiker, der es als großen Erfolg
werten kann, wenn er im SGB XII im
Artikel 325a die Worte ‚und andere’
einfügen konnte”, sagt er. Klingt da
Trotz durch? Haibach winkt ab. „Mit
Menschenrechten steht man nicht jeden
Tag in den Schlagzeilen”, sagt er. „Aber
mich macht zufrieden, wenn ich etwas
bewirken kann.”
Langwieriges Geschäft
Gerade hat die parlamentarische Sommerpause
begonnen, die meisten von
Haibachs Kollegen sind entweder im
Urlaub oder haben Termine im Wahlkreis.
Für den Hessen aber geht die Arbeit
in Berlin weiter. Internationale Menschenrechtsgremien
wie der Europarat,
in dem er mitarbeitet, halten sich nicht
an die sitzungsfreien Wochen der Deutschen.
Während das politische Berlin
die obligatorischen Sommerfeste feierte,
schwitzte Haibach in Straßburg und
arbeitete an einem Bericht über das
Menschenrechtsverständnis der 47 Mitgliedsstaaten
des Europarats. Eine Bezeichnung,
die erahnen lässt, wie langwierig
dieses Geschäft ist. Mit den
schnellen Urgent-Action-Briefen, mit denen
man Aufrufe von Amnesty International
unterstützen und sich für die
Freilassung politischer Gefangener einsetzen
kann, hat das wenig zu tun.
In Jeans sitzt der 36-Jährige da
und im blauen Hemd, dazu trägt er
eine gestreifte Krawatte. Haibach verschränkt
die Hände hinter dem Kopf.
„Mit den Menschenrechten steht man nicht jeden Tag in den Schlagzeilen.”
„Natürlich”, sagt er, „wollen die Leute
am liebsten einen Politiker, der ihnen,
wenn es geht, eine Bundesstraße baut.
Doch von Menschenrechten sind die
Menschen ganz existenziell betroffen.”
In frisch geteerten Straßenkilometern
kann Haibach seinen Erfolg nicht messen.
Ihm geht es ums Grundsätzliche.
Bewirken kann Haibach etwas im
Gesprächskreis Tibet. Er ist Vorsitzender
dieser Runde von Abgeordneten aller
Fraktionen, die sich in losen Abständen
trifft. Gesprächskreise
gibt es einige im
Bundestag,
sogar einen zur Förderung klassischer Sprachen. Sie beschließen
nichts Offizielles, dafür können ihre Mitglieder
auch mal abseits der Fraktionslinie
diskutieren.
Sie organisieren Veranstaltungen,
zum Beispiel Diskussionspodien,
derTibetgesprächskreis
zuletzt im Juni zum
Thema China und Olympia („Olympia
2008 — Dabei sein ist alles?”). Dabei kamen
Degenfechter zu Wort und Ärzte,
Sportfunktionäre und der Menschenrechtsbeauftragte
der Bundesregierung.
Bewirken kann Haibach etwas
im Menschenrechtsausschuss des Bundestages,
dessen stellvertretender Vorsitzender
er ist. In dem Gremium, das die
ehemalige SPD-Justizministerin Herta
Däubler-Gmelin als Vorsitzende führt,
ist die Tagesordnung extrem vielfältig.
So berichtet die Regierung den Ausschussmitgliedern
beispielsweise über
die Ausschreitungen in den Townships
in Südafrika, die Abgeordneten entscheiden
über Anträge zum Schutz von Flüchtlingen
aus Myanmar, es geht um die
UN-Wanderarbeiterkonvention und den
Opferschutz bei Zwangsheiraten.
Und bewirken kann Haibach etwas
in der Parlamentarischen Versammlung
des Europarats, eine der ältesten internationalen
politischen Organisationen in
Europa. Haibach ist als Vertreter
des Bundestages dorthin entsandt. Ziel der 47 Mitgliedsländer, darunter Russland,
ist vor allem die Förderung von Demokratie
und Menschenrechten. Dem dient
auch der Europäische Gerichtshof
für
Menschenrechte, der über die Einhaltung
der europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) wacht. An diesen Gerichtshof
kann sich jeder Bürger wenden,
aber erst dann, wenn er in seinem Land
den Rechtsweg ausgeschöpft hat. So versuchte
dort zum Beispiel
der wegen
Entführung und Mordes an dem Bankierssohn
Jakob von Metzler verurteilte
Magnus Gäfgen (vergeblich), das Urteil
gegen ihn anzufechten — mit der Begründung,
er sei durch die Androhung von Folter von der Frankfurter Polizei zur
Aussage gezwungen worden.
Holger Haibach vor bunten Gebetsfahnen bei einem buddhistischen Zentrum in Berlin
© DBT/Rolf Schulten
Krieg für Menschenrechte?
Wer sich all diese Institutionen und ihre
Bestimmungen ansieht, merkt schnell,
wie umfassend Menschenrechte heute
zu verstehen sind — und wie kompliziert
ihr Schutz geraten kann. Erstmals
waren Menschenrechte in der Zeit
der Aufklärung als subjektive, unveräußerliche
und universell geltende
Rechte
eines jeden Menschen definiert
worden. Heute schützen die meisten
Landesverfassungen und natürlich auch
das Grundgesetz Menschen- und Bürgerrechte.
Dazu kommen internationale
Abkommen wie die UN-Erklärung
der Menschenrechte oder die Anti-Folterkonvention.
Ein weiterer wichtiger
Schritt war 1998 die Schaffung eines
Internationalen Strafgerichtshofs in Den
Haag, wo Staatsoberhäuptern und ihren
Handlangern erstmals auf internationaler
Ebene der Prozess gemacht werden
kann. Umstritten ist, ob Krieg geführt
werden darf, um die Einhaltung von
Menschenrechten durchzusetzen.1999
war dies der Fall, als sich Deutschland
im Rahmen der Nato an den Angriffen
gegen Miloševič beteiligte, um die
ethnischen Säuberungen im Kosovo
zu stoppen. Das warf Fragen auf,
die bis
heute ungelöst sind: Ist die Gewährleistung
der Menschenrechte im
Völkerrecht der Gegenwart noch eine
innere Angelegenheit der Staaten? Und:
Wer bestimmt eigentlich, was innere
Angelegenheiten sind?
Haibach hat keine fertigen Antworten
darauf und tut auch gar nicht so.
„In den großen außenpolitischen Fragen
verhebt man sich oft”, sagt er und beschreibt
das am Dauerkonflikt zwischen
Israelis und Palästinensern. „Brauchen
wir wirklich schon wieder die nächste
„Ich bin nicht mit dem Anspruch
nach Berlin gegangen, die Welt zu verändern.”
Roadmap, das nächste Annapolis?” Der
Hesse plädiert für kleine Schritte und
vergisst nicht zu erwähnen, dass sein
Wahlkreis im Hochtaunus als einziger
deutscher Landkreis eine Partnerschaft
mit einem Landkreis in Israel unterhält.
Solches Engagement ist in Haibachs
Heimat keine Seltenheit. Der Hochtaunuskreis
ist im Schnitt einer der reichsten in
Deutschland. Viele Stiftungen
haben hier
ihren Sitz, bürgerliches Engagement — in
Vereinen, im Lions Club, bei den Rotariern —
wird großgeschrieben, Philanthropie keinesfalls
nur als Marotte der Amerikaner
verstanden. „Ein gewisser Wohlstand wird
hier auch als Verpflichtung betrachtet”,
sagt Haibach und verweist auf gleich zwei
Initiativen, die strahlenkranke Kinder aus
Tschernobyl an deutsche Kliniken holen.
Ein weißer Gebetsschal liegt unter
Bildern, die alte Pfarrhäuser aus Fachwerk
zeigen und Stadtansichten aus dem
Mittelalter.
Damit schmückt Haibach sein
Abgeordnetenbüro. Über der Beschäftigung
mit der Politik auf internationaler
Ebene hat Haibach nicht vergessen, wo er
herkommt. Politik hat er im ganz Kleinen
gelernt — und macht das noch heute.
Zusätzlich zu seiner Arbeit im Bundestag
sitzt er im Kreistag seines Wahlkreises und
im Gemeindeparlament seiner Heimatgemeinde
Weilrod. Vorsitzender
der Freiwilligen
Feuerwehr ist er auch.
Wertgebundene Außenpolitik
Bevor Haibach 2002 direkt in den Bundestag
gewählt wurde, war er persönlicher
Referent von Landrat Jürgen Banzer, heute
Justizminister in Hessen. Die Chefetage
im Landratsamt galt damals
als Talentschuppen
für die Hessen-CDU. Sein Onkel
Hartmut Haibach ist bei den Freien Wählern
und Bürgermeister von Weilrod. „Bei
uns ist schon beim Frühstück über Politik
gesprochen worden”, sagte Haibach während
seiner ersten Legislaturperiode einer
Regionalzeitung.
„Ich bin nicht mit dem Anspruch
nach Berlin begangen, die Welt zu verändern”,
sagte er damals bescheiden. Heute
bereist er sie. Etwa auf den Spuren des
Außenministers,
den Haibach, da ist er
ganz Parteipolitiker, als Verwalter Schröder'scher
Geschäftspolitik sieht. Als
Steinmeier die autokratisch regierten
Staaten Zentralasiens besuchte, auch
um auszuloten, welche Gasförder- und
Ölexportmöglichkeiten
diese bieten, mahnte
Haibach einen stärkeren Bezug auf
Menschenrechte an. Ihre Einhaltung sei
„Bedingung für den Dialog mit den Regierungen”
Usbekistans, Turkmenistans
oder Kasachstans. Die Union bezeichnet
diesen Ansatz heute als „wertgebundene
Außenpolitik” und führt sie etwa auch
gegen China ins Feld. Haibach findet das
Schlagwort richtig und erklärt, warum.
„Wenn ich in diesen Ländern bin, sagen
mir die Oppositionellen oft: Ihr müsst
dafür sorgen, dass auch wir in euren
Ländern
gehört werden.”
Kann jemand, der diese Mahnung
ständig mit sich trägt, mit Freude den
Olympiawettkämpfen zusehen? Sicher,
sagt Haibach, und fügt hinzu: „Mich interessiert
eher, was nach der Olympiade
passiert.” Natürlich habe sich China
stark verändert, sagt Haibach. „Unter
Mao war der Besitz der Bibel strafbar.
Heute wird sie millionenfach verkauft.”
Nur, dass er sich gern einmal selbst
ein Bild davon machen würde, welche
Fortschritte es in Chinas Städten gibt
und wie schlimm die Lage für seine Millionen
Landarbeiter heute ist. Aber jeder
Versuch, für sich und einige andere Abgeordnete
ein Visum zu bekommen, ist
bisher gescheitert. „Die Chinesen haben
nie gesagt, das geht nicht”, erinnert sich
Haibach, „es hieß immer, jetzt ist nicht
der rechte Zeitpunkt.” Zuletzt hat er
im Juni versucht, nach China und auch
Tibet zu reisen. Vergeblich. Aber Haibach
verfolgt sein Ziel weiter. An immer
neue Hürden und Rückschläge ist er in
der Menschenrechtspolitik gewöhnt.
Haibach ist sich sicher: „Ich werde nach
China kommen.”
Interview: Peter Müller
Erschienen am 13. August 2008
Zur Person:
Holger Haibach, Jahrgang
1971, gehört dem Bundestag seit 2002
an. Der CDU/CSU-Abgeordnete ist verheiratet
und hat in Gießen auf Lehramt
studiert. Schwerpunkt
seiner Arbeit im
Parlament ist die Menschenrechtspolitik.
Besucht der Dalai Lama Deutschland,
gehört Haibach zu dessen wichtigsten
Gesprächspartnern.
E-Mail: holger.haibach@bundestag.de
WWW: www.holger-haibach.de