Sport würde Detlef Parr am liebsten als Staatsziel ins Grundgesetz schreiben lassen. Seit mehr als zehn Jahren sitzt er im Sportausschuss des Bundestages. Sich starkmachen nicht nur für den Leistungssport, sondern für Integration und Prävention, für das Ehrenamt und den Zusammenhalt in der Gesellschaft, darin sieht er seine Aufgabe. „Sport ist mehr als Doping und Gewalt”, sagt der Liberale, der einst selbst von 100 bis 400 Meter alles rannte – und dabei so manche Hürde nahm.
Hier entlang geht es zum Sport, die schwedischen Hochspringer Kajsa Bergqvist und Stefan Holm weisen den Weg. Die beiden grüßen von einem Plakat der Leichtathletik-Europameisterschaft 2006 in Göteborg, das Detlef Parr an seine Bürotür im Jakob-Kaiser-Haus geklebt hat. Auch im Zimmer ist nicht zu übersehen, dass hier ein Mitglied des Sportausschusses arbeitet: Von den Regalen baumeln einige Akkreditierungen, die von den Asienspielen 2006 in Doha etwa, im untersten Fach liegen zwei halb aufgepumpte Fußbälle, und an der Wand laufen gerade die Profis von Werder Bremen auf einem Kalenderblatt aufs Spielfeld.
Detlef Parr kommt herein, ein wenig außer Atem, der Sportausschuss ist an diesem Tag in die Verlängerung gegangen. „Klaus Schlappner hat gerade noch über Fußballprojekte im Ausland erzählt. Das hat etwas gedauert”, sagt Parr, aber es ist ihm anzumerken, dass es eine der angenehmen Sitzungen des Ausschusses war. Ein Fußballtrainer erzählt von seinen Weltreisen, das hat Parr gefallen. „Schlappner hat sehr volksnah formuliert”, sagt der FDP-Abgeordnete, der seine Fraktion im Ausschuss als Obmann und sportpolitischer Sprecher vertritt. Außerdem ging es um die guten Seiten des Sports: Integration, soziales Engagement, also das, was Parr am Sport so schätzt.
Es dauert jedoch nur wenige Minuten, und das Gespräch ist am kritischsten Punkt des Sports angelangt: Doping. „Der Sport ist mehr als Doping und Gewalt”, sagt Parr und ist sich bestimmt trotzdem bewusst, wie sehr nicht nur der Sport, sondern auch der Sportausschuss des Bundestages inzwischen im Klammergriff des Dopings steckt.
Sitzung um Sitzung hatte der Ausschuss darüber gestritten, wie denn die Politik dem Sport beim Trockenlegen des Dopingsumpfs helfen solle. Die einen wollten viel Staat, wenn nötig Razzien in Umkleidekabinen und Strafverfahren gegen Sportler wegen Betrugs. Die anderen wollten weniger Staat und allenfalls die Hintermänner ins Visier strafrechtlicher Ermittlungen nehmen. Alles spitzte sich zu auf die Frage der Besitzstrafbarkeit, also ob schon der Besitz eines Dopingmittels ausreiche, um einen Sportler anzuklagen. Herausgekommen ist Anfang 2007 ein Kompromiss. Die Strafverfolgungsbehörden kümmern sich um „nicht geringe Mengen” von Dopingmitteln. Diese Formel hatten sich Union und SPD aus dem Umgang mit den sogenannten weichen Drogen abgeschaut.
Die Debatte um staatliche Mittel gegen Manipulation im Sport hatte jedenfalls den Ausschuss auf einmal zum zentralen Akteur des Sports gemacht. So wichtig wie in dieser Phase war er vielleicht noch nie in seiner Geschichte. In diesem Jahr wird der Ausschuss 40, gegründet worden war er 1969 als „Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele”. Olympia 1972 in München stand bevor und damit eine Chance, das Land durch Sport zu repräsentieren, auch im Wettstreit mit der DDR.
Über die Rolle, Begleiter von sportlichen Großveranstaltungen in Deutschland zu sein, ist der Ausschuss längst hinausgewachsen. Und er besitzt ein Alleinstellungsmerkmal: Der jetzige Ausschussvorsitzende Peter Danckert von der SPD-Fraktion hat eingeführt, jede Sitzung öffentlich abzuhalten. „Seitdem haben wir permanent Plenum”, sagt Parr. Eine Entwicklung, die ihm nicht uneingeschränkt zusagt. „Es geht ein bisschen lebendiger zu als früher, aber auch kontroverser als notwendig.” Die Versuchung sei nun groß geworden, Themen mit Schaufensterreden zu skandalisieren. „In der Öffentlichkeit ist die Aufmerksamkeit gestiegen, aber im organisierten Sport hat der Ausschuss an Ansehen und Seriosität verloren.”
Seit 1998 gehört der 66 Jahre alte Rheinländer Parr dem Ausschuss an, seitdem ist er Abgeordneter, von einer kurzen Episode 1994 als Nachrücker einmal abgesehen. Was der Ausschuss tun und lassen soll, davon hat der Liberale klare Vorstellungen. „Der Sport ist autonom, da sollte der Staat nicht so viel hineinregieren und keine Politik des goldenen Zügels machen”, sagt Parr. Der Sportler solle auch bei der Dopingbekämpfung durch den Staat nicht kriminalisiert werden.
Kein Wunder, dass er die Beschlüsse zum Doping nicht erwähnt, wenn er nach den Sternstunden des Ausschusses gefragt wird. Gute Arbeit hat der Ausschuss seiner Ansicht nach vor der Fußball-WM 2006 geleistet, als er darauf drängte, das Kulturprogramm unter die Aufsicht einer Stiftung zu nehmen. Es ging schließlich um 30 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln, die aus dem Verkauf von Münzen hereingeholt worden waren. „Die Stiftung war eine tolle Lösung für Transparenz”, sagt Parr, „es war ein Musterbeispiel, wie der Sportausschuss sich einbringen kann.”
Sich einbringen – das sieht Parr als zentrale Aufgabe des Ausschusses an –, Aufmerksamkeit für Themen herstellen, für den Behindertensport zum Beispiel, für die Stärkung des Ehrenamts, die Intensivierung des Schulsports, Prävention durch Sport. Oder auch mal eine Grundsatzdebatte zu führen. „Welche ethischen Grundlagen hat der Sport eigentlich? Ist das ‚Höher, Schneller, Weiter′ überhaupt noch die Richtlinie? In meinen Augen kann sie es nicht mehr sein, weil wir an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gekommen sind.” Die Fixierung auf Weltrekorde, da ist sich Parr mit Thomas Bach einig, seinem Parteifreund und Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbunds, sei eine Fehlentwicklung.
Wichtig wird der Ausschuss auch, wenn es ums Geld geht, gerade wenn die Mittel zur Spitzensportförderung verteilt werden und hinterher kontrolliert wird, ob sie richtig ausgegeben worden sind. „Da müssen wir darauf achten, dass kein Dopingbelasteter Trainer finanziert wird, sonst müssen wir Zahlungen zurückverlangen.”
Den Sport als politisches Spielfeld hat Parr nicht erst als Abgeordneter entdeckt. Er kommt selbst aus dem Sport. Früher war er Leichtathlet, von 100 bis 400 Meter ist er alles gerannt, auch über die Hürden. Er ist auch bei deutschen Mannschaftsmeisterschaften gestartet, eine Veranstaltung, die es zu seinem Bedauern nicht mehr gibt. Fußball bei Fortuna Düsseldorf hat er ebenfalls gespielt, bis zur Vertragsreserve in der Oberliga West, so hieß das damals. „Wahrscheinlich bin ich nicht besser geworden, weil ich beides nebeneinander gemacht habe”, sagt er. Für eines entscheiden will er sich auch heute nicht. „Schade, dass der Leichtathletik gerade ein bisschen die Luft ausgeht”, sagt er. Dass die Leichtathletik wie in Stuttgart aus den großen Stadien gedrängt werde, weil der Fußball die bestmöglichen Bedingungen haben will und auch genügend Geld hat, um sie sich leisten zu können. „Da blutet mir das Herz.” Zumal gerade aus seiner Region große Idole der Leichtathletik kommen, Willi Wülbeck oder Frank Busemann. Eine Versöhnung seiner beiden Sportarten kann sich Parr aber gut vorstellen. „Wäre doch toll, wenn in der Halbzeitpause bei einem Fußballspiel Staffeln ihre Runden drehen würden.” Und ein kleines Hoffnungszeichen hat Parr immerhin in nächster Nähe erlebt: „Mein Enkel ist gerade von Fußball auf Leichtathletik umgestiegen.”
Sport würde Parr am liebsten als Staatsziel ins Grundgesetz schreiben lassen, weil er so viel leiste. „Schön, dass man im Sport tätig sein kann”, sagt er. Den Umgang aus dem Sport überträgt Parr, der an der Deutschen Sporthochschule in Köln studierte und als Sportlehrer arbeitete, gern in die Politik: die große Gemeinschaft, zum Beispiel das Zusammenhalten des Sportausschusses gegen die Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, wenn es um Mittel für Sportstättenbau geht. „Die Kulturpolitik durch Sport, getragen durch alle Fraktionen, das ist eine schöne Angelegenheit”, sagt Parr, auch wenn er inzwischen auch andere Entwicklungen sieht. „Der Schulterschluss zwischen den Fraktionen im Sportausschuss war früher enger.”
Bei so viel Bewunderung für den Sport kommt Parr im Laufe des Gesprächs von selbst auf den Vorwurf, mit dem er und seine Kollegen häufig konfrontiert werden. Sie seien Fans, die es über die Absperrung geschafft hätten. „Ich bekomme oft zu hören: Ihr geht da im mer zu den Sportveranstaltungen und sitzt auf der Tribüne. Das ist zu kurz gedacht. Vorher, in der Pause und hinterher suchen wir den Kontakt zu den Meinungsführern im Sport. Da wird doch Politik gemacht.”
Sport findet eben zuerst im Stadion und in der Halle statt und erst dann im Sitzungssaal der Politik. Seinen eigenen Einfluss sieht Parr ohnehin als begrenzt an. „Ich bin der geborene Oppositionspolitiker.” Als er für die FDP-Fraktion als Referent im nordrheinwestfälischen Landtag arbeitete, betrieb er genauso Oppositionsarbeit wie in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter. Die Agenda habe er dennoch an manchen Stellen mitbestimmen können. „Der Sportausschuss hat das Thema Glücksspiel und Sportwetten zum Thema gemacht”, sagt er – und ist bei einem seiner Lieblingsthemen angekommen, dem Glücksspielstaatsvertrag.
Da stecken für ihn gleich zwei Anliegen drin, denn zum einen könne der Sport durch eine Öffnung des staatlichen Monopols mehr einnehmen. „Ich kann schließlich im Parlament nicht immer die Mittel aufstocken.” Zum anderen entspricht die Öffnung auch seinem liberalen Grundverständnis. „Wir können den Menschen zutrauen, wie sie spielen wollen, wie sie sich unterhalten wollen.” Eine Öffnung des Marktes unter staatlicher Kontrolle und flankiert durch Aufklärung über Spielsucht, dafür streitet Parr – bisher vergebens. „Im Sucht- und Drogenbereich habe ich meine Erfolge gehabt”, sagt Parr hingegen. Dass die Werbebeschränkungen für Alkohol nicht so restriktiv wie geplant durchgekommen seien, das führt er auch auf sein Zutun zurück.
Der Sportausschuss kümmert sich nach vierzig Jahren bei allen Veränderungen des Sports aber auch noch um die Aufgabe, für die er einst gegründet worden ist: sportliche Großveranstaltungen in Deutschland. Nur, dass er sie nicht irgendwie begleiten, sondern auch erst einmal dabei mithelfen soll, sie überhaupt nach Deutschland zu bringen. Denn die internationalen Sportverbände verlangen inzwischen von den Austragungsländern, ihnen die Steuern so weit wie möglich zu erlassen. „Wenn man da nicht mitmacht, ist das eine Milchmädchenrechnung, weil man ja auch entsprechende Mittel durch die Veranstaltung reinbekommt”, sagt Parr. Ohne sportfreundliche Steuerpolitik sei der deutsche Sport international nicht wettbewerbsfähig. Das gelte auch für das nächste große Projekt, die Bewerbung Münchens um die Olympischen Winterspiele 2018.
Diese Spiele wird Detlef Parr nicht mehr als Abgeordneter erleben, er scheidet in diesem Jahr aus dem Bundestag aus. Aber die Weltmeisterschaften in seiner Lieblingssportart Leichtathletik, die kann er sogar auf kürzestem Weg erreichen, im August im Berliner Olympiastadion. „Das ist eine schöne Abrundung”, sagt Parr, „ich habe meine Wohnung in Berlin auch erst für Ende August gekündigt.”
Text: Friedhard Teuffel
Erschienen am 29. Juni 2009
Detlef Parr, geboren 1942 in Düsseldorf, ist seit 1998 Mitglied des Bundestages. Nach einem Sport- und Anglistikstudium in Bonn und an der Deutschen Sporthochschule in Köln arbeitete Parr als Sportlehrer und Realschulrektor. Der Vater von fünf Kindern ist Mitglied im Sportausschuss, für die FDP-Fraktion spricht er als Experte für Sport, Präventions-, Sucht- und Drogenpolitik. Als Vizepräsident von Special Olympics Deutschland macht sich Parr für Menschen mit geistiger Behinderung stark.
E-Mail: detlef.parr@bundestag.de
WWW: www.detlef-parr.de