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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Die Sache mit dem „P”
Gültig ab: 15.12.2009 17:39
Autor: Daniel Friedrich Sturm
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Die Sache mit dem „P”

Daniela Kolbe (SPD)

Daniela Kolbe ist eine der wenigen neuen SPD-Abgeordneten und die einzige unter 30. Als Jüngste nimmt sie sich die Freiheit, die Dinge beim Namen zu nennen: Gleich in der ersten SPD-Fraktionssitzung nach der verlorenen Bundestagswahl nahm sie kein Blatt vor den Mund.

Daniela Kolbe (SPD)
Daniela Kolbe (SPD)
© DBT/Anke Jacob

Es war das große „P”, mit dem Daniela Kolbe einst Ärger auslöste. Mit einem einzigen Buchstaben provozierte die junge Schülerin, stellte sie doch unbewusst den Arbeiter- und Bauernstaat DDR infrage. Als die Klassenleiterin in der Grundschule einmal fragte, wie die große Einheitspartei der DDR heiße, da antwortete Daniela Kolbe geradeheraus: „SPD”. Was die kleine Daniela schlicht verwechselt hatte, die SPD mit der SED nämlich, darauf kann sie heute ein wenig stolz sein. Zumal Daniela Kolbe seit wenigen Wochen jüngste Bundestagsabgeordnete ist – wenigstens in der SPD-Fraktion.

Die 29-jährige Leipzigerin verkörpert eine neue Generation in der ostdeutschen Sozialdemokratie. Geboren im thüringischen Schleiz, hat sie nur noch wenige Erinnerungen an die DDR. Den überwiegenden Teil ihres Lebens verbrachte sie im vereinigten Deutschland. Die oppositionellen Erfahrungen etlicher ihrer Parteifreunde sind ihr fremd; die Lebenswelt der bärtigen Pfarrer und Ingenieure, die es plötzlich in die Parlamente spülte, wohl auch. Neben der SPD/SED-Verwechslung zählt die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 zu den ersten politischen Ereignissen, an die sich Kolbe erinnern kann. Damals verbot ihr Vater, ein ökologisch engagierter Forstarbeiter, das Trinken von Milch „und riskierte einen Konflikt mit der Kindergärtnerin”, wie Daniela Kolbe berichtet.

Zeltlager statt Juso-Seminare

Anders als die meisten ihrer Generation in der SPD wurde Daniela Kolbe nicht bei den Jungsozialisten (Jusos) politisch sozialisiert, sondern bei den unabhängigen, aber der Sozialdemokratie nahestehenden „Falken”. Damals, im Jahre 1996, besuchte Daniele Kolbe das Carl-Zeiss-Gymnasium in Jena, eine frühere DDR-Kaderschmiede. Noch heute schwärmt die junge Abgeordnete von den „tollen, selbstbestimmten Ferienlagern”, bei denen die Kinder abstimmen durften, was sie unternehmen und wo es einen selbst verwalteten Kiosk gab. Zeltlager und Basisdemokratie also – statt Juso-Seminare und Theoriezirkel. Diese kulturelle Erfahrung teilt Kolbe mit ihrem neuen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel; auch er fand über die „Falken” in die SPD.

Daniela Kolbe (SPD)
Daniela Kolbe (SPD)
© DBT/Anke Jacob

Zum Studium ging Kolbe nach Leipzig, „da suchte und fand ich die Falken und wurde Vorsitzende”, wie sie geradezu selbstverständlich schildert. Physik studierte die naturwissenschaftlich-mathematisch begabte junge Frau in Leipzig (wie einst die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel). „Etwas Vernünftiges” habe sie studieren wollen und entschied sich daher für Physik. Im vergangenen Jahr (2008) beendete Kolbe ihr Studium, eine „Turbo-Studentin” also sei sich nicht gewesen, gibt sie lachend zu.

In Leipzig lockten schließlich noch andere Dinge als Quantenmechanik, Ionentransmissionen und Spektroskopie. Im Jahre 2002 trat Kolbe der SPD bei. Doch schon wenig später wurde ihre Mitgliedschaft auf eine harte Probe gestellt. Nur wenige Monate nach dem rot-grünen Wahlsieg jenes Jahres präsentierte Bundeskanzler Gerhard Schröder die „Agenda 2010”. Daniela Kolbe war entsetzt – und nahm mit den Jusos an Protesten gegen Schröders Arbeitsmarktreformen teil. „Mich hat damals nicht gewundert, dass so viele Menschen auf die Straße gegangen sind”, blickt sie auf diese politisch brisante Zeit zurück, „sondern dass sie es erst so spät getan haben.”

Heute sieht Kolbe in der „Agenda 2010” einen Grund für den Niedergang ihrer Partei. Dem linken Flügel der SPD angehörend, plädiert sie dafür, sich von dieser Politik zu distanzieren. Für ihr Alter spricht sie auffällig ausführlich darüber, was für die Rentner etwa getan werden müsse – dass es wohl keine Rentnergeneration gab und geben wird, der es so gut geht wie den heutigen Rentnern, das ist von ihr nicht zu vernehmen.

Kein Zuckerschlecken

Impuls für Daniela Kolbes politisches Engagement aber war ihr Einsatz gegen Rechtsextremismus, den sie „ein ernstes Anliegen” nennt. „Ich bezeichne Leute von der NPD als das, was sie sind: nämlich Nazis”, sagt Kolbe. Gerade in Sachsen ist das Thema Rechtsextremismus virulent. Die NPD betreibt eine Art Jugendarbeit und prägt eigene Milieus, etwa in der Sächsischen Schweiz. Erst jüngst wurde die NPD zum zweiten Mal in den Dresdner Landtag gewählt – ein Novum in der deutschen Parlamentsgeschichte.

„Ich bezeichne Leute von der NPD als das, was sie sind: nämlich Nazis.”

Manches, was Daniela Kolbe schon immer für richtig hielt und als Teil des linken SPD-Flügels ausmachte, ist in ihrer Partei mittlerweile breiter Konsens. Stets etwa wandte sie sich gegen die einst von der großen Koalition angestrebte Teilprivatisierung der Deutschen Bahn. Das war insofern pikant, weil Wolfgang Tiefensee als Verkehrsminister auch Kolbes Kollege als Bundestagskandidat in Leipzig war. „Ich war und bin gegen die Bahnprivatisierung und habe das Wolfgang Tiefensee auch gesagt”, berichtet Kolbe. „Ihn hat das nicht verwundert.”

Offener als andere in der SPD tritt Kolbe auch der Partei Die Linke gegenüber. „Mit einigen jüngeren Leuten von den Grünen und den Linken verstehe ich mich gut”, sagt sie. „Wir haben einen engen Draht und einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund.” Das unterscheide sie von den meisten Leuten von der Jungen Union. Abgrenzungen von den Linken mag Kolbe nicht verstehen. „Ich habe kein Problem damit, mit jungen Grünen und Linken beim Bier darüber zu sprechen, was uns an der eigenen Partei stört.” Doch was verbindet sie mit ihren Parteifreunden in der Sozialdemokratie, mit den in den 1970er und 1980er-Jahren Geborenen? „Die Jungen in der SPD haben den Wunsch, die Gesellschaft zu gestalten”, antwortet Kolbe.

Der erste Bundestagswahlkampf der jungen Kandidatin Daniela Kolbe war alles andere als ein Zuckerschlecken. Die dümpelnden Umfragewerte der SPD, die miese Stimmung nach dem Europawahldesaster, die fehlende Machtperspektive, die Kritik an der Arbeit in der großen Koalition – all das löste Verzagtheit und Unzufriedenheit aus. Dennoch habe ihr der Wahlkampf „Spaß gemacht”, sagt Daniela Kolbe. Besonders die Diskussionen mit Jugendlichen, Vereinen, Verbänden und der Straßenwahlkampf seien „eine tolle Sache” gewesen.

Am Tag der Wahl, am 27. September 2009, brach Daniela Kolbe mit ihren Eltern bei traumhaftem Wetter zu einem Spaziergang auf am Cospudener See, in der Nähe von Leipzig. „Ganz viele Menschen tummelten sich da”, erinnert sie sich – „und ich dachte nur: Wir werden eine miese Wahlbeteiligung bekommen.” Genauso kam es. Daniela Kolbe verpasste, anders als ihr Vorgänger, das Direktmandat. Doch der vierte Platz auf der Liste der kleinen sächsischen SPD reichte für den Bundestag. „Abends im Rathaus war es eine merkwürdige Situation”, berichtet Daniela Kolbe. „Ab 22 Uhr etwa wurde ich beglückwünscht und freute mich, im Bundestag zu sein. Daneben aber sah ich unser miserables Ergebnis. Einen Grund zum Feiern also gab es eigentlich nicht.

Die folgenden Tage und Woche waren kaum weniger schwierig. Am Dienstag nach der Wahl stieg die neu gewählte Abgeordnete in den ICE nach Berlin. Längst hatte sie sich dort schon bemerkbar gemacht, denn: „Es wirkte auf mich anmaßend, als Frank-Walter Steinmeier noch am Sonntagabend seinen Anspruch auf den Fraktionsvorsitz reklamierte.” Daniela Kolbe meldete sich in der ersten Fraktionssitzung gleich zu Wort und äußerte ihre Kritik. Was sie bei Steinmeier als „anmaßend” empfand – das empfinden bis heute Parteifreude als „Anmaßung” Kolbes. „Heute muss ich sagen, dass Steinmeier eine wirklich gute Arbeit macht”, relativiert sie ihre eigenen Worte.

Daniela Kolbe ist nun Mitglied im Ausschuss für Bildung und Forschung. Hier will sie sich besonders dem Thema duale Ausbildung widmen. Ihre größte Befürchtung hinsichtlich ihres Abgeordnetenmandats? „Dass ich nicht mehr richtig Zeit zum Denken habe, dass die Papierberge einfach zu groß werden”, sagt sie nüchtern. „Berlin ist fast so schön wie Leipzig”, schwärmt sie über das neue Leben: „Ich mag die Vielfalt, das bunte Leben, dass die Stadt nicht so geleckt ist. Und die Direktheit der Berliner hat doch meistens etwas Erfrischendes.”

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Text: Daniel Friedrich Sturm 
Erschienen am 17. Dezember 2009

Zur Person:

Daniela Kolbe, Jahrgang 1980, ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und jüngste Abgeordnete der SPD-Fraktion. Von 2004 bis 2009 war die studierte Physikerin Vorsitzende der Leipziger Jusos. Kolbe ist Mitglied im Ausschuss für Bildung und Forschung.


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