Nach dem Vorbild der engen Beziehungen des Deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung wollen auch die Parlamente Deutschlands und Polens zu einer fest gefügten Zusammenarbeit kommen. Zu den ersten Schritten auf diesem Weg gehören gemeinsame Sitzungen der Präsidien beider Parlamente. Nach ihren Begegnungen in der Grenzstadt Slubice im Oktober 2004 und jetzt Anfang März in Berlin wollen die beiden Gremien sich künftig regelmäßig einmal im Jahr treffen.
Mit der regelmäßigen Zusammenarbeit verbindet sich nach den Worten von Bundestagspräsident Norbert Lammert die
gemeinsame überzeugung, dass für die künftige Entwicklung der Europäischen Union das Verhältnis zwischen
Deutschland und Polen eine ähnliche Schlüsselrolle spielen wird wie das deutsch-französische Verhältnis für den
westeuropäischen Integrationsprozess. Lammert und sein polnischer Kollege Marek Jurek sind fest entschlossen, ihre
Kontakte auszubauen und auch dabei zu helfen, den jeweiligen Nachbarn besser zu verstehen. Unausgesprochen
steht dahinter der Gedanke: Wenn es auf der Ebene der Regierungen einmal knirscht, dann müssen die Parlamente
der beiden Nachbarstaaten sich umso intensiver um einen engeren Austausch bemühen.
Die Parlamentspräsidenten geben sich dabei alle Mühe: Drei Mal innerhalb von nur drei Wochen sind sie in
diesem Frühjahr zusammengekommen. Schon Mitte Februar hatte der Bundestagspräsident bei einem offiziellen
Besuch in Warschau neben Treffen mit Präsident Lech Kaczynski und Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski
ein Gespräch mit seinem Amtskollegen Marek Jurek, dem Marschall des Sejm. Dabei ging es auch um die gemeinsame
Sitzung der Präsidien am 6. März in Berlin. Zwischen diesen beiden Terminen hatten sich die beiden
Politiker in Stettin bei einer Fotoausstellung zu Skulpturen des deutschen Bildhauers Bernhard Heiliger getroffen, der
in dieser ehemals deutschen und heute polnischen Stadt geboren ist.
Die gemeinsame Vergangenheit bietet viele solcher Berührungspunkte. Doch in jüngster Zeit hat sie erneut
für Spannungen gesorgt. Deshalb stellt sich nach den Worten Lammerts als zentrale Frage: „Wie sehen wir, Deutsche
und Polen, jeweils unsere gemeinsame Geschichte? Und: Haben wir die Fähigkeit, auch den Blick des anderen
wahrzunehmen, ihn vielleicht sogar in die eigene Orientierung aufzunehmen?”
Genau diesem Thema soll sich das erste Projekt der Zusammenarbeit der Parlamente beider Länder widmen:
Noch in diesem Herbst wollen Mitglieder der beiden Parlamente zusammen mit Historikern und Publizisten
auf einer Tagung im niederschlesischen Dorf Kreisau (Krzyzowa) über gemeinsame Geschichte und Versöhnung
debattieren. Dahinter steht, wie Lammert formuliert, die gemeinsame Einsicht: „Erstens, dass es bei gleichen
Ereignissen unterschiedliche Wahrnehmungen gibt, und zweitens, dass wir darüber dringend reden müssen.”
Vielfältige Kontakte
Der vom polnischen Parlamentspräsidenten vorgeschlagene Tagungsort weckt Erinnerungen: Hier hatte 1940
Helmuth James Graf von Moltke eine wichtige Widerstandsgruppe gegen Hitler ins Leben gerufen, hier hatten
sich 1989 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa die beiden Regierungschefs Tadeusz Mazowiecki und
Helmut Kohl in einem gemeinsamen Gottesdienst zum Zeichen der Versöhnung umarmt. Heute begegnen
sich im ehemaligen Gutshof der Familie von Moltke, der zu einer internationalen Begegnungsstätte und einer
Akademie umgebaut wurde, Menschen aus verschiedenen Ländern. Kein schlechter Ort für deutsch-polnische
Beschäftigung mit der gemeinsamen Geschichte.
Die Beziehungen der beiden Parlamente sind aber nicht auf Präsidiumssitzungen und Konferenzen beschränkt.
Vor allem die Parlamentariergruppen pflegen intensiv die nachbarschaftlichen Beziehungen. Markus
Meckel (SPD), der Vorsitzende der bereits 1987 gegründeten Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe,
berichtet, sie träfen sich mit der Polnisch-Deutschen Freundschaftsgruppe des Sejm in der Regel einmal im
Jahr, wenn keine Wahltermine dazwischenkommen. Außerdem hätten sie seit 1994 mit ihren Partnern vier Konferenzen
in Grenznähe abgehalten, das letzte Mal zusammen mit den Tschechen in Zittau.
Dass solch reger Kontakt politische Früchte trägt, zeigen gemeinsame Erklärungen auch zu umstrittenen Themen.
So beschlossen beide Gruppen bei ihrem letzten Treffen im Dezember 2006 ein Papier, das von deutschen
Entschädigungsforderungen über das Verhältnis der EU zu Russland und die Energiesicherung bis hin zum Plan der
Europäischen Kommission reichte, die Wodkaherstellung in der EU zu vereinheitlichen. Meckel ist sich aber
bewusst, dass solche gemeinsamen Erklärungen nur eine sehr begrenzte Reichweite haben. In ihrer Erklärung
forderten die beiden Parlamentariergruppen auch, die parlamentarischen Kontakte sollten gerade auch auf der
Ebene der Fachausschüsse verstärkt werden, „besonders da, wo es Schwierigkeiten zwischen beiden Ländern gibt”.
Regelmäßige institutionalisierte Kontakte, wie sie mit Ausschüssen der französischen Nationalversammlung
gepflegt werden, sind aber mit dem Sejm noch nicht zustande gekommen. Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen
Ausschusses des Bundestages, versucht, dies durch persönliche Kontakte auszugleichen. Seine erste
Auslandsreise nach seiner Wahl zum Ausschussvorsitzenden führte ihn nach Polen. Er pflegt gute Kontakte
zu seinem Kollegen im Sejm, Pawel Zalewski, der der PiS, der Partei „Recht und Gerechtigkeit” der beiden
Kaczynski-Brüder, angehört. Polenz sagt, weil Polen unser wichtigster Partner im Osten sei, sei auch der Bundestag
gut beraten, sich um möglichst intensive Beziehungen zu seinen Kollegen im Sejm zu bemühen.
Europa voranbringen
Genauso sieht das Matthias Wissmann, vorsitzender des Bundestagsausschusses für Angelegenheiten der Europäischen
Union. Er betont, Deutschland und Polen seien wichtige Partner im Rahmen der europäischen Integration.
„Leider ist in mancher Aufgeregtheit der letzten Monate die Stimme leiser geworden, die uns sagt, dass
beide Länder eine gemeinsame Entwicklung in Europa wollen und gemeinsame Ziele verfolgen. Vielleicht
können wir als Dreigespann Frankreich-Deutschland-Polen Europa wieder einen entscheidenden Schritt voranbringen.
”
Wissmann erinnert daran, dass die Europaausschüsse der Assemblée Nationale und des Bundestages in
regelmäßigen Abständen zu gemeinsamen Sitzungen zusammenkommen und auch gemeinsame europäische
Initiativen auf den Weg bringen. „Ein ähnlich gutes Verhältnis möchten wir zukünftig mit unseren polnischen Partnern erreichen.”
Die regelmäßigen Kontakte, die die Präsidien nun begonnen haben und die die Ausschüsse noch anstreben,
gehören bei den Mitarbeitern von Bundestag und Sejm bereits seit 15 Jahren zur Tagesordnung. Seit 1992 reisen
jeweils zwei bis drei von ihnen für eine Woche zum Nachbarn, um dort die parlamentarischen Abläufe kennenzulernen.
Bereits seit 1990 läuft das Stipendiatenprogramm des Bundestages mit Polen, an dem schon 77 Hochschulabsolventen
aus dem Nachbarland teilgenommen haben. Jeweils fünf Monate lang lernen sie die Arbeitsweise
des deutschen Parlaments und seiner Abgeordneten sowie das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben
der Bundesrepublik Deutschland kennen.
Dieses vom Bundestag ins Leben gerufene Internationale Parlaments- Stipendium (IPS) steht Gästen aus 25
Ländern offen. Aber in nur zwei Ländern wurde nach seinem Vorbild ein vergleichbares Programm aufgelegt.
Die Assemblée Nationale vergibt seit 1991 solche Stipendien für deutsche Hochschulabsolventen. Und seit diesem
Jahr können sie sich auch um ein vergleichbares Stipendium des Sejm bewerben. Die ersten fünf jungen Akademiker
aus Deutschland sind schon nach Warschau abgereist.
Text: Klaus Lantermann
Bilder: Deutscher Bundestag, Picture-Alliance
Erschienen am 22. März 2007
Der Sejm bildet zusammen mit der zweiten Kammer, dem Senat, das polnische Parlament. Der Sejm
hat 460 Sitze und wird alle vier Jahre neu gewählt. Seine Abgeordneten verabschieden Gesetze, die vom
Senat angenommen, geändert oder abgelehnt werden können, wobei der Sejm den Senat mit absoluter
Mehrheit überstimmen kann.
Website der polnischen Volksvertretung: www.sejm.pl