Rein technisch gesehen ist das Plenum ein „Sprechsaal“. Seine Akustik ist auf Reden optimiert. Es war eine gewaltige Herausforderung für die Techniker, Schall, Licht und Luft durch die 24.000 Kubikmeter im Plenarsaal so zu lenken, dass Debatten verständlich und atmosphärisch angemessen funktionieren können. Und es bleibt jeden Tag viel zu tun.
Wenn die Abgeordneten früh um neun zu tagen beginnen, hat die Technik schon seit zwei Stunden ganze Arbeit geleistet. Vor jedem Debattentag werden ab sieben Uhr in der Früh sämtliche Mikrofone und Lautsprecher getestet. Um 8.30 Uhr nimmt dann der Plenarassistenzdienst das Regiepult hinter dem Präsidentenplatz und unter dem Bundestagsadler erstmals für alle vernehmbar in Betrieb. Ein Druck auf den Knopf mit der Aufschrift „Geläut“ und schon ist im ganzen Haus an der Spree die größte Glocke des Kölner Doms zu hören. Der „dicke Pitter“ läutet zur Morgenandacht der Abgeordneten.
Ein besonderer Wohlklang ist das gerade für rheinische Ohren, wie Antonius Müller, Chef des Plenarassistenzdienstes, in typisch rheinischem Tonfall bemerkt. Während das Original im Dom meistens nur in der Neujahrsnacht zu hören ist, schwingt der kopierte Klang in jeder Sitzungswoche zweimal durch die Flure, in Haushaltswochen sogar dreimal. Früher in Bonn, da kamen die Glocken vom Band. Jetzt ist alles als Datei in spezieller Software „hinterlegt“. So wie das durchdringende Klingelzeichen, das um 8.54 Uhr und 8.59 Uhr an den bevorstehenden Sitzungsbeginn erinnert und ebenfalls in allen Gebäuden des Bundestages in Berlin erschallt.
Direkt daneben befinden sich auf dem Regiepult drei weitere Knöpfe, und auch sie rufen vorbereitete Signale ab: Sie lassen in den parlamentarischen Liegenschaften wieder andere Klingeln ertönen und Lampen blinken, wenn verschiedene Abstimmungen bevorstehen: die gewöhnlichen, die namentlichen Abstimmungen und – seltener – der „Hammelsprung“. Im arbeitsteiligen Parlament sitzen nämlich nicht immer alle Abgeordneten im Plenarsaal. Viele sind mit anderen wichtigen Vorgängen befasst. Zur Abstimmung aber müssen die Fraktionen möglichst vollzählig sein. Die Klingel- und Blinkzeichen laufen, einmal betätigt, automatisch durch die verschiedenen Häuser. Zuerst bei den am weitesten entfernten, zuletzt im Reichstagsgebäude selbst.
Die Plenarassistenten am Regietisch fahren per Knopfdruck nicht nur das Rednerpult rauf und runter, um jedem Abgeordneten eine optimale Position für Unterlagen und Mikrofon zu gewährleisten, sie speisen auch die jeweilige Zeit ein, die dem einzelnen Redner nach Absprache zwischen und innerhalb der Fraktionen zur Verfügung steht.
Die in Sekundenschritten laufende Zeit ist dann nicht nur in der Regie, sondern auch auf dem Tisch des Präsidenten und auf dem Pult des Redners zu sehen. Die ersten Minuten spricht der Abgeordnete auch optisch im „grünen Bereich“: Ein grünes Lämpchen leuchtet, solange noch genügend Zeit für weitere Ausführungen bleibt. In der letzten Minute wechselt die Anzeige auf gelb und zeigt so dem Redner, dass er allmählich zum Schluss kommen muss. Sind diese Farben noch relativ dezent, so leuchtet bei Überschreitung der Redezeit ein grelles Rot auf. Reagiert der Redner darauf nicht, kann der Präsident einen weiteren Knopf drücken. Dann blinkt in großen roten Lettern „Präsident“ vor dem Manuskript des Redners auf. Das ist dann die letzte optische Warnung, bevor der Abgeordnete unterbrochen, mündlich ermahnt oder ihm sogar per Knopfdruck das Wort entzogen wird.
Anders verhält es sich bei Zwischenfragen. Die sind jederzeit möglich und bewirken, dass die Zeit von Frage und Antwort nicht angerechnet wird – wenn der Redner sie denn auf Nachfrage des Präsidenten zulässt. In diesen Fällen wird die Uhr vom Präsidententisch aus angehalten.
Vorher müssen die Konferenztechniker jedoch stets beweisen, dass sie voller Konzentration dabei sind. Die Saalmikrofone müssen nämlich von der Tonregie in einer der Kabinen unter den Zuschauertribünen freigegeben werden. Welches Mikrofon für eine Zwischenfrage gerade „angemeldet“ wurde, zeigt ein blinkendes Feld auf einem Saalspiegel an einem Computermonitor. Doch wenn mehrere Abgeordnete gleichzeitig nachhaken wollen, leuchten mehrere Felder. Da heißt es für die Tontechniker, nicht nur der Debatte und den Aufrufen des Präsidenten aufmerksam zu folgen, sondern auch in Bruchteilen von Sekunden das richtige Mikrofon freizuschalten.
Und da die Techniker hinter den Abgeordnetenreihen sitzen, müssen sie die potenziellen Fragesteller nicht nur namentlich kennen, sondern auch von hinten erkennen. „Wir sind dann immer schon startbereit und denken mit, denn was wäre, wenn wir die Mikrofone erst einschalten, nachdem die ersten Silben schon gesprochen sind?“, berichtet Martin Luckas, einer von sechs Konferenztechnikern des Bundestages.
Er hat sein Metier noch im „Ur-Plenarsaal“ 1985 gelernt. Damals, so bringt er den Unterschied auf den Punkt, seien „die Drähte noch geradeaus gelaufen“. Man habe also bei technischen Problemen die Schadensquelle leicht eingrenzen und die Ursache mit der Hand zurückverfolgen können. Heute sei alles von verschiedenen Computern mit jeweils wieder spezieller Software vollständig digitalisiert, ohne dass einer den gesamten technischen Bereich bedienen könne. Jede Änderung (zum Beispiel der Sitzordnung nach Bundestagswahlen) bedeutet, dass die entsprechende Software angepasst werden muss.
Eine Erkenntnis der modernen Technik: Jeder Plenarsaal braucht mehrere Jahre, bis er perfekt läuft. Nach nun fünf Jahren sind die Macken des Berliner Saales bereits weitgehend minimiert. Aber es gibt immer etwas nachzubessern. Gerade sind Handwerker beispielsweise damit beschäftigt, zusätzliche Dämmungen zwischen den in die Decken eingelassenen Lautsprechern und den darüberliegenden Zuschauertribünen einzubauen, damit sich keine störenden Vibrationen mehr übertragen. Ganz am Anfang haben die Experten den Ton mit Hilfe von mehreren Bundeswehrkompanien ausgetestet. Rund tausend Soldaten marschierten in den Raum und nahmen in den Abgeordneten-, Regierungs-, Bundesrats- und Zuschauerbänken Platz und simulierten für die Messtechniker Gemurmel, Beifall, Zwischenrufe bei voller, halber und spärlicher Besetzung.
So konnten die Akustiker noch gezielter ans Werk gehen und mit absorbierenden Belägen, Anstrichen, spezieller Behandlung der Fenster und winzigen zeitlichen Verzögerungen dem Ziel immer näher kommen, nicht nur störende Rückkopplungen zu vermeiden, sondern eine „gerichtete“ Schallatmosphäre zu schaffen. Sie sorgt dafür, dass der Ton des Zwischenfragers von links auch tatsächlich von links kommt und nicht von irgendwo aus der Tiefe plötzlich im Raum steht.
Ein Plenarsaal ist vor allem Ort der direkten Kommunikation, und die soll natürlich direkt und nicht über Umwege erfolgen. Dabei hat jede Veränderung wieder Auswirkungen auf viele andere Bereiche. So kam anfangs auf der Regierungs- und Bundesratsbank manches Wort nur schwer verständlich an – also wurden zusätzliche verdeckte Lautsprecher in die Rückwand eingebaut.
Auch die Lichtverhältnisse im Saal haben die Sekretäre und Techniker im Auge. In die Kuppel sind 360 Spiegel eingebaut, die das Licht von außen noch breiter in den Saal streuen. Eine ausgeklügelte Lüftungs- und Heiztechnik beweist die Vorteile ökologischer Energieversorgung. Im Hintergrund stehen zwei Blockheizkraftwerke, die mit abgasarmem Biodiesel betrieben werden. Überschüssige Wärme und Kälte werden in geologischen Tiefenspeichern unter dem Reichstagsgebäude zwischengelagert.
Die passiven Vorteile der gewaltigen Gemäuer (im Winter hält sich die Wärme länger, im Sommer die Kühle) werden ergänzt durch aktive Wärmegewinnung: Die durch Bodenöffnungen in den Plenarsaal fließende Luft steigt nach oben und wird bei vollem Saal erwärmt. Aber sie entweicht nicht ungenutzt durch die Kuppel in die Berliner Außenwelt – vorher entziehen Schlauchschleifen in der Kuppel der Abluft die wieder nutzbare Wärme.
In ein vereinfachtes Bild gebracht: Je „heißer“ die Debatte, desto günstiger die Ökobilanz.
Wird ein Redner vom Sonnenlicht geblendet, muss er nicht mit der Hand vor dem Gesicht weiter sprechen. Stattdessen fährt das Sonnensegel automatisch an die entsprechende Stelle in der Kuppel. So kommt es denn auf höchste Konzentration auch auf den beiden letzten Plätzen hinter dem Präsidentenpult an. Es geht von hier aus nicht nur um frisches Wasser für den jeweiligen Redner. Nicht nur um die Hinweise auf die Tagesordnung oder die TV-Übertragung. Bei Bedarf kann sich die Regie auch die aktuelle Fernseh-Liveberichterstattung und einen Nachrichtenticker auf den Monitor holen, um den Präsidenten auf Wunsch über wichtige Ereignisse auf dem Laufenden zu halten.
Ständig gehen auch Veränderungen in der laufenden Redeliste per Telefon etwa an die Videotext-Redaktion des Bundestages. Oder Hinweise auf den Ton in die Regiekabine. Oder Mitteilungen über erforderliche Dienstleistungen an den Meldetisch vor dem Eingang. Oder viele weitere Ansagen, Vorwarnungen und Nachfragen an andere Stellen in der Verwaltung. Übersicht, schnelle Auffassungsgabe und Fingerspitzengefühl gehören also im Hintergrund dazu, damit eine Plenarsitzung ohne Schrammen über die öffentliche Bühne geht.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: studio kohlmeier, picture-alliance
Erschienen am 08. November 2004
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Sitzungswoche: Nicht jede Woche tagt der Bundestag in Berlin. Durchschnittlich jede zweite Woche widmen sich die Abgeordneten auch ihren Wahlkreisen. Sitzungswochen haben einen festen Ablauf: Montags tagen die Fraktionsvorstände, dienstags die Fraktionen und Arbeitsgruppen, mittwochs die Ausschüsse, donnerstags und freitags folgen dann die klassischen Plenarsitzungstage. Am Donnerstag läuft die Sitzung häufig von neun bis 24 Uhr.
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Haushaltswoche: Das „Königsrecht“ des Parlamentes ist die Bestimmung, wo das Geld des Bundes herkommen und wofür es ausgegeben werden soll. Der Bundeshaushalt wird unmittelbar nach der parlamentarischen Sommerpause Anfang September in der ersten Beratung und Ende November in der zweiten und dritten Beratung in so genannten Haushaltswochen debattiert. Dabei werden nacheinander alle Einzelpläne aufgerufen, also die erwarteten Einnahmen und vorgesehenen Ausgaben aller Verfassungsorgane wie Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht sowie aller Ressorts der Bundesregierung. Dies gibt Gelegenheit, die damit verbundene Politik zu debattieren.
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Namentliche Abstimmung: Wenn im Protokoll festgehalten werden soll, wie jeder Einzelne abgestimmt hat, holen sich die Abgeordneten kleine, scheckkartengroße Plastikkärtchen mit ihrem Namen darauf aus Fächern neben dem Eingang zum Plenarsaal. Die Stimmkarten haben verschiedene Farben und sind maschinenlesbar. Rot bedeutet „Nein“, Blau „Ja“ und Weiß „Enthaltung“. Die Auszählung ist binnen kurzer Zeit möglich.
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„Hammelsprung“: Wenn das Handaufzeigen kein eindeutiges Votum ermöglicht, verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und machen ihre Stimmabgabe dadurch deutlich, dass sie durch eine Ja-, eine Nein- oder eine Enthaltungs-tür wieder hineinkommen. Der Name wird auf ein Intarsienbild im alten Reichstagsgebäude über einer der Türen zurückgeführt. Es zeigte das Zählen der Hammel in der Odysseus-Saga.
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Redezeit: Die Fraktionen haben sich auf einen Schlüssel verständigt: Von einer Debattenstunde entfallen auf die SPD 24 Minuten, auf die CDU/CSU 24, auf Bündnis 90/Die Grünen acht Minuten und auf die FDP sechs. Weil das zusammen 62 Minuten sind, spricht man auch von der „Berliner Stunde“. Die Redezeiten der Mitglieder von Bundesregierung und Bundesrat wird vom Kontingent der jeweiligen Fraktion abgezogen.
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Probleme: Ein Lieblingswort der Bundestagstechniker ist „Havarie“. Havarie-Mikrofon, Havarie-Programm, Havarie-Leitungen. Also Reserven als Vorkehrung für den Fall, dass im laufenden Betrieb die Technik ihren Dienst versagt. Es ist schon über zehn Jahre her, dass in Bonn einmal der Ton komplett ausfiel. Damals griffen sich die Plenarassistenten die Flaggen und zogen mit den Abgeordneten in den Ersatzplenarsaal um.
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Biodiesel: Die beiden Motor-Heizkraftwerk-Anlagen laufen auf Rapsöl. Im Unterschied zu fossilen Brennstoffen, bei deren Verbrennung Kohlendioxid entsteht, liegen die nachwachsenden Rohstoffe in der Ökobilanz deutlich vorn, da beim Entstehen auf dem Feld die Rapspflanzen sogar Kohlendioxid verbrauchen. Die Heizkraftwerke werden wissenschaftlich begleitet, um Tipps für weitere Anlagen und Verbesserungen zu gewinnen.
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Tiefenspeicher: Ein Teil der Motorabwärme wird im Sommer an Salzwasser abgegeben, das aus 300 Metern Tiefe hochgepumpt und erwärmt wieder in die Erde geleitet wird. Dort kann das 70 Grad heiße Wasser bis zur Verwendung im Winter lagern. Ein zweites Wasservorkommen in 60 Metern Tiefe wird als Kältespeicher genutzt. Die Kühle des Winters kommt dann im Sommer zum Einsatz.
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Tagesordnung: Die Tagesordnung wird zumeist eine Sitzungswoche im Voraus vom Ältestenrat festgelegt. Der Bundestag bemüht sich darum, Anträge ähnlichen Inhalts zusammen zu debattieren und besonders wichtige und viele Bürger interessierende Themen in der „Kernzeit“ am Donnerstagvormittag zu beraten. Kurzfristig können auch Aktuelle Stunden eingeschoben werden.
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TV-Übertragung: Früher leuchtete das grüne „F“ (Fernsehübertragung) neben der Anzeige des Tagesordnungspunktes nur gelegentlich. Heute sind Sender wie Phoenix regelmäßig viele Stunden dabei, und über das Internet kann unter www.bundestag.de jederzeit jede Debatte live mitverfolgt werden. Auch Übertragungen im Berliner Kabel und über den Astra-Satelliten sind im Aufbau.
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Videotext: Auch wenn Abgeordnete wegen anderer wichtiger Aufgaben gerade nicht im Plenum sitzen, so können sie sich durch die Übertragung der Debatte in alle Büros doch auf dem Laufenden halten. Ein Videotext informiert zeitgleich über die nächsten Redner, deren voraussichtliche Redezeit, die nachfolgende Tagesordnung und weist ebenfalls rechtzeitig auf den voraussichtlichen Zeitpunkt von Abstimmungen hin.
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Bundestagsverwaltung: Die Bundestagsverwaltung mit rund 2.400 Mitarbeitern unterstützt den Bundestag bei seiner Arbeit. Sie bereitet keine Gesetze vor, sondern sorgt dafür, dass organisatorisch, technisch, personell und materiell alles funktioniert. Sie gliedert sich in „Zentrale Dienste“, „Parlamentarische Dienste“ und „Wissenschaftliche Dienste“ mit spezialisierten Unterabteilungen und Fachreferaten.
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