In unserer demokratischen Gesellschaft ist es selbstverständlich, dass Volksvertreter durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen bestimmt werden. Das war nicht immer so. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sahen die Verfassungen andere Wahlverfahren vor. Neben einem bestimmten Einkommen oder Grundbesitz war für die Wahlen zu den Kammern ein Mindestalter von 21 bis 30 Jahren erforderlich. Frauen blieben generell vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Kompetenzen der Landtage waren sehr begrenzt und tasteten die Vormachtstellung der Fürsten nicht an. Ein Blick zurück in die Geschichte des Wahlrechts.
Auf nationaler Ebene war die Nationalversammlung von 1848/49 das erste demokratisch gewählte Parlament in Deutschland.
Die 1849 verabschiedete Reichsverfassung, die jedoch nicht in Kraft trat, bestimmte, dass alle männlichen Bürger ab dem 25. Lebensjahr das Wahlrecht ausüben durften.
Die Mitglieder des Preußischen Landtages wurden von 1849 bis 1918 nach dem Dreiklassenwahlrecht bestimmt. Die Bevölkerung jedes Wahlbezirkes wurde dazu in drei Gruppen aufgeteilt, auf die je ein Drittel des gesamten Steueraufkommens entfiel. Jede dieser Gruppen wählte die gleiche Anzahl von Abgeordneten, so dass die kleine Anzahl der Vermögenden über das gleiche Gewicht verfügte wie die Masse der Besitzlosen.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 wurde für die Wahlen zum Reichstag das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlrecht eingeführt. Alle männlichen Bürger über 25 Jahre, die im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte waren, konnten das aktive und passive Wahlrecht ausüben. Problematisch wirkte sich der Zuschnitt der Wahlkreise aus, die jeweils 100.000 Einwohner repräsentieren sollten. Die Wanderungsbewegungen im Zuge der Industrialisierung führten zu einem immer größer werdenden Ungleichgewicht zu Gunsten des ländlichen Raumes, da die Bevölkerungsverschiebung nicht durch eine Anpassung der Wahlkreise aufgefangen wurde.
Im Jahr nach der Revolution von 1918 wurde in Deutschland eine verfassungsgebende Nationalversammlung gewählt. Erstmalig erhielten nun auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Wahlberechtigt waren alle Staatsbürger, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten.
Die Einführung des Verhältniswahlrechts ohne Sperrklausel führte zu einer starken Zersplitterung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Die starke Rolle, die die Verfassung dem Reichspräsidenten zubilligte (zum Beispiel zur Auflösung des Reichstages), führte ebenfalls zur Schwächung des Parlamentes und trug damit zur Zerschlagung der Demokratie durch den Nationalsozialismus bei.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das 1949 in Kraft trat, ist das allgemeine, freie, gleiche, geheime und unmittelbare Wahlrecht verankert. Das für die erste Bundestagswahl geltende Wahlrecht entsprach schon weitgehend dem heute geltenden. Zunächst hatte jedoch jeder Wähler nur eine Stimme, mit der sowohl der Kandidat des Wahlkreises als auch der Landesliste der Partei gewählt wurde. 1953 wurde dann die Zweitstimme eingeführt, ab 1956 war auch die Briefwahl möglich. Das Wahlalter wurde im Jahre 1970 von 21 auf 18 Jahre abgesenkt.
Für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 wurden Sonderregelungen erlassen. Das Wahlgebiet wurde in alte und neue Länder aufgeteilt und eine getrennt anzuwendende Fünf-Prozent-Hürde festgelegt. Damit wurde es auch kleineren Parteien und Listenverbindungen ermöglicht, in den Bundestag einzuziehen. Insbesondere sollte den Bürgerrechtsparteien in Ostdeutschland, die maßgeblich die friedliche Revolution getragen hatten, der Einzug in das Parlament erleichtert werden.
Fotos: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Picture-Alliance
Erschienen am 13. September 2005