Soldaten der Bundeswehr bei einer Übung im Kosovo
© DBT/Werner Schüring
Bundestag und Bundeswehr
Bundestag und Bundeswehr — beide haben seit der Wiedervereinigung
Deutsche aus Ost und West wie selbstverständlich in ihre Reihen
aufgenommen und Deutschland als Ganzes repräsentiert. Aber nicht
nur das Zusammenwachsen der Nation verbindet sie. Vieles ist einzigartig
in den deutschen Streitkräften. Zivilisten haben letztlich das
Sagen: Mit diesem Primat der Politik ist Deutschland nach den leidvollen
Erfahrungen im Nationalsozialismus ganz gut gefahren. Die
Schlüsselrolle bei der Kontrolle und der Entscheidung über den Einsatz
der Armee weist das Grundgesetz dem Bundestag zu — und begründet
damit das Selbstverständnis der Truppe als „Parlamentsarmee”.
Rund neun Millionen Deutschen
kann niemand etwas vormachen,
wenn es um die Bundeswehr
geht. Denn sie haben die Truppe von innen
kennengelernt. Als Wehrpflichtige,
als Zeit- oder Berufssoldaten. Einer
von ihnen: Winfried Nachtwei, heute
Sicherheitspolitischer Sprecher von
Bündnis 90/Die Grünen. Er weiß
sich noch gut an seine Gefühle im
Bahnhof von Mönchengladbach zu
erinnern, „als die Zeit der Freiheit
nach dem Abi endete und die Brüllerei
begann”. Mitte der 60er sei es beim
Bund noch „krass anders” gewesen.
Oder auch wieder nicht. Denn sein
„Gegenerlebnis” hatte er nach der
Entlassung aus der Truppe, als er an
der Münsteraner Ordinarienuniversität
zu studieren begann. „Beim Bund
gab es die Wehrdisziplinarordnung,
die Wehrbeschwerdeordnung. Jeder
Soldat hatte seine Rechte. Damit war
es für den normalen Studenten an der
Universität vorbei.”
Kaum einer, der nicht irgendwann
persönliche Erfahrungen mit der
Bundeswehr macht. Ulrike Merten,
heute Vorsitzende des Verteidigungsausschusses
des Deutschen Bundestages,
zog es als kleines Kind zu einer
Bundeswehrausstellung, und sie
staunte nicht schlecht, die noch junge
Truppe mit ihrem mitten in Bielefeld
aufgebauten Reservelazarett so ausgerüstet
vorzufinden wie das örtliche
Krankenhaus. Die interessanteste Beobachtung
machte sie jedoch bei der
Betrachtung ihrer Eltern. Nach schlimmen
Erfahrungen im Weltkrieg waren
sie zunächst auf absolutem Ablehnungskurs
jeglicher „Wiederbewaffnung” in
Deutschland, versuchten ihrer Tochter
ebenfalls eine kritische Einstellung
zu vermitteln. „Das hat mir nicht
geschadet”, erinnert sie sich. Aber
Schritt für Schritt hätten auch ihre
Eltern erkannt, dass all das, was in
der Wehrmacht schiefgelaufen war, in
der Bundeswehr ganz anders angefasst
wurde. Der selbstbewusste Soldat mit
„Innerer Führung” statt blindem Gehorsam
zum „Führerbefehl”.
Staatsbürger in Uniform
Paul Schäfer, Obmann der Frak tion
Die Linke im Verteidigungs ausschuss,
hat, wiewohl vielfach ganz anderer
Mei nung, stets ein „entspanntes Verhältnis”
zu Bundeswehrsoldaten gehabt.
Sei es während des Studiums in
Marburg, als er mit Soldaten im selben
Fußballverein kickte, sei es in den
aufwühlenden Nachrüstungsdebatten,
als er mit „kritischer Distanz” mit
Soldaten auf einem Podium stand und
dabei die Argumente der Friedensbewegung
vertrat. Dagegen gehörte für
Bernd Siebert, Verteidigungspolitischer
Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, die
Bundeswehr in seiner nordhessischen
Hei mat „zum Straßen bild”. Damals
habe es in der Nähe zur innerdeutschen
Grenze deutlich mehr Standorte und
Großmanöver gegeben. Schon damals
empfand er die Truppe „als Garant
für Stabilität und Sicherheit”.
Birgit Homburger, Obfrau der
FDP, bekam durch die Patenschaft
ihrer Heimatgemeinde Hilzingen mit
einer Kompanie aus Immendingen
die ersten Kontakte zur Bundeswehr.
Die Patenkompanie machte Biwaks in der Gemeinde, setzte Kinderspielplätze
instand und war nach dem Eindruck
von Homburger „einfach sehr bürgernah”.
Bei SPD-Obmann Rainer
Arnold liegen die ersten tiefer gehenden
Eindrücke von der Bundeswehr
gerade zehn Jahre zurück — als er
in den Verteidigungsausschuss kam.
Seine Wahrnehmung: „Urteile der Gesellschaft
gegenüber Soldaten müssen
korrigiert werden.” Er wolle die
Truppe nicht glorifizieren, da gebe es
wie überall in der Gesellschaft bessere
und weniger gute. Doch eines
sei bemerkenswert: „Ich treffe bei
den Soldaten mehr politisch reflektierende
Menschen als ansonsten im
Durchschnitt der Bevölkerung.”
Einsatz für Frieden und Stabilität: Bundeswehrkonvoi in Afghanistan
© Picture-Alliance/Syed Jan Sabawoon
Letztlich überrascht das nicht,
wenn man sich die Konstruktion der
deutschen Streitkräfte vor Augen hält.
Die künftigen Soldaten werden als
Staatsbürger in Uniform in die Truppe
aufgenommen und angehalten, ihre
individuellen Rechte auch wahrzunehmen.
Sie lernen zum Beispiel, keine
Befehle zu befolgen, die gegen die
Menschenwürde und andere Vorgaben
der Verfassung verstoßen. Sie setzen
sich also intensiver mit dem rechtlichen
Rahmen der Republik auseinander,
als viele es zuvor in der Schule gelernt
haben. Und sie wissen, dass von
den Entscheidungen der Politik ihr
eigenes Schicksal so fundamental betroffen
sein kann wie bei kaum einem
anderen Bürger: Wehrpflichtige geloben,
Zeit- und Berufssoldaten schwören,
der „Bundesrepublik Deutschland
treu zu dienen und das Recht und die
Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu
verteidigen”.
Sie dienen nicht einem Minister
oder einer Kanzlerin, sie dienen dieser
Republik, also der parlamentarischen
Demokratie. Der Gedanke an deutsche
Soldaten hatte bei der Gründung
der Bundesrepublik 1949 keine Rolle
gespielt. Das Grundgesetz sah keine
Streitkräfte vor. Doch die Einbindung in
den Westen, die Zuspitzung des Kalten
Krieges und der Eindruck des Korea -
krieges ließ den Bundestag nach aufwühlenden
Debatten 1952 doch einen
Beitrag zur Lastenteilung im Westen
beschließen. 1954 wurden die verfassungsrechtlichen
Grundlagen geschaffen, die ersten Ernennungsurkunden
1955 überreicht.
Doch das Parlament ist von
Anfang an nicht beschränkt darauf,
per Verfassung der Regierung Spielraum
für die Einberufung junger
Männer zum Waffendienst gegeben
zu haben. Es gibt eine fünffache Klammer,
die seit nunmehr über fünf Jahrzehnten
immer wieder zu spüren ist
und nach dem Eindruck sowohl der
Truppe als auch der Politik im Großen
und Ganzen gut funktioniert.
Da ist erstens die Festlegung
durch den Bundestag, wann, wie und
zu welchem Zweck die Truppe eingesetzt
werden darf. Lange Zeit gehörte
der Spannungs- und Verteidigungsfall
zu den Szenarien, zu denen die Bundeswehr im Wesentlichen ins Le ben
gerufen worden war. Wer unter welchen
Umständen den Spannungs- und
Verteidigungsfall festzustellen hatte
und wie von Anfang an der Bundestag
auch ins Spiel kommt, das ist verfassungsrechtlich,
gesetzlich und in den
Einsatzplanungen detailliert geregelt
und wurde immer wieder durchgespielt.
Bald nach Gründung der Bundeswehr
wurde im Zusammenhang mit der
Hamburger Flutkatastrophe 1962 klar,
dass die Soldaten nicht nur durch
Abschreckung potenzielle Angreifer
von einem Krieg abhalten sollten,
sondern dass sie ganz praktisch auch
im Innern wirken können, wenn die
Kräfte von Polizei und Hilfswerken
erschöpft sind. Im Zuge der Amtshilfe
können sie den zivilen Stellen mit
Fähigkeiten zur Seite stehen, über die
nur die Militärs verfügen.
Rechenschaft vor dem Parlament: Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung, spricht im Plenum
© DBT/Werner Schüring
Erst nach der Wiedervereinigung
wuchs Deutschland in die Rolle eines
starken demokratischen Landes hinein,
von dem eine Beteiligung an der
Lösung internationaler Krisen erwartet
wurde. In immer mehr Auslandseinsätzen
ist von Seiten der Vereinten
Nationen, der NATO oder der Europäischen
Union auch eine Beteiligung
der Bundeswehr gefragt.
Kontrolle und Beteiligung
Schon 1994 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass solche Einsätze
zwar möglich sind, aber jeweils vom
Bundestag mandatiert, also unter Beschreibung der genauen Einsatzbedingungen
und Einsatzstärken für einen
gewissen Zeitraum genehmigt werden
müssen. „Konstitutiv” sei dies, und
das heißt: Ohne Beteiligung des Bundestages
läuft nichts. Nach einem
Jahrzehnt Erfahrungen mit Auslandseinsätzen
legte das Parlament die genauen
Abläufe in verschiedenen Abstufungen für die Intensität der
Bundestagsbefassung 2005 im „Parlamentsbeteiligungsgesetz” fest. Am
7. Mai 2008 stärkte das Bundesverfassungsgericht diese parlamentarischen Rechte abermals, indem es auch scheinbare „Routineaufgaben” im Zusammenhang mit Bündnisverpflichtungen
immer dann unter Zustimmungsvorbehalt stellte, wenn eine bewaffnete Auseinandersetzung „konkret”
zu erwarten sei.
Zweitens hat der Gesetzgeber den
Verteidigungsausschuss sogar in der
Verfassung verankert und ihm das Sonderrecht
zugeteilt, von sich aus auch
die Aufgaben eines Untersuchungsausschusses wahrzunehmen, um Vorfälle
und Entwicklungen in der Truppe
wirksam aufklären zu können.
Drittens gibt es im Bundestag
einen eigenen Wehrbeauftragten mit
einem arbeitsfähigen Amt, dessen
Aufgabe es ist, das Innere der Truppe
ständig zu beleuchten.
Viertens ist der Inhaber der
Befehls- und Kommandogewalt im
Verteidigungsfall die Bundeskanzlerin
und in Friedenszeiten der Verteidigungsminister
— die ebenfalls beide dem
Bundestag verantwortlich sind. Der
Regierungschef wird vom Bundestag
gewählt, der Minister vor dem Bundestag vereidigt. Jederzeit kann er zu
Plenar- oder Ausschusssitzungen herbeizitiert
werden. In die Führung
des Ministeriums eingebunden sind
Abgeordnete als Parlamentarische
Staatssekretäre.
© DBT/Marc Mendelson
Nicht zu unterschätzen ist — fünftens
— auch das Budgetrecht des Parlaments.
Damit gibt es vor, welchen
Umfang und welche Fähigkeiten die
Streitkräfte im Allgemeinen haben und
welche Anschaffungen im Einzelnen
getätigt werden können. Eine Fülle von
Vorhaben darf erst dann ver wirklicht
werden, wenn der Verteidigungsausschuss
sowie der federführende Haushaltsausschuss
zugestimmt haben.
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Text: Gregor Mayntz
Erschienen am 18. Juni 2008