Im Grunde ist der Wehrbeauftragte ein Phänomen. Wer diese Bezeichnung in den Mund nimmt, hat vieles im Kopf, aber kaum das Bild eines „Beauftragten” für ... — ja, für was eigentlich? Die Patientenbeauftragte kümmert sich um die Anliegen von Patienten, die Drogenbeauftragte um Probleme des Drogenmissbrauchs. Aber was macht der „Wehr”-Beauftragte?
Sein Metier sind eben „Wehr-Belange”, könnte man sagen.
Das ist allerdings zunächst mal
eine ziemlich spröde Vorstellung. Obendrein
lässt er sich nicht in die Aufzählung
anderer Beauftragter der Regierung
einreihen. Denn er wird vom
Bundestag „beauftragt”. Trotzdem hat
der Wehrbeauftragte in der Bevölkerung, im Bundestag und vor allem in
der Bundeswehr ein hervorragendes
Ansehen. Das beweist, wie wichtig
sein Job ist und wie überzeugend er
von den jeweiligen Amtsinhabern offensichtlich
wahrgenommen wurde
und wird.
Wie so häufig in der Politik
spielten bei der Entstehung des Wehrbeauftragtenamtes
persönliche Erfahrungen
eine Rolle. Als der Bundestag
Mitte der 50er-Jahre daran ging, zunächst
nicht vorgesehene deutsche
Streitkräfte doch noch ins Leben zu
rufen, suchte das Parlament nach zusätzlichen
Kontrollmöglichkeiten. Der
SPD-Abgeordnete Ernst Paul war während
der NS-Zeit nach Schweden emigriert
und hatte dort die Institution
des „Militie-Ombudsmannes” kennengelernt.
Diese wurde zum Vorbild für
eine ähnliche Einrichtung in Deutschland,
die aber sofort ihre eigene Ausprägung
entwickelte.
Jeder Amtsinhaber setzt eigene
Akzente. Die nötige Freiheit bezieht er
aus seiner besonderen Stellung. Er ist
weder Mitglied des Bundestages noch
ein weisungsgebundener Beamter. Er
wird geheim und ohne Aussprache
vom Bundestag gewählt, und zwar
für fünf Jahre. Er ist also nicht an
die Wahlperiode des Bundestages
gebunden. Zudem kann er wiedergewählt
werden. Optisch kommt seine
besondere Stellung schon durch
die Sitzordnung im Parlament zur
Geltung. Ein einzelner Platz, nicht
bei den Abgeordneten, nicht bei der
Regierung, sondern seitlich neben
dem Bundestagspräsidenten und den
Schriftführern ist für ihn reserviert.
Das unterstreicht, dass Plenum und
Verteidigungsausschuss ihn jederzeit
mit speziellen Untersuchungen betrauen
oder zu Sitzungen herbeirufen
können, wenn es um Vorgänge in der
Truppe geht.
Bei Reinhold Robbe, dem derzeitigen
Amtsinhaber, ist ein Herbei zitieren
schwer möglich: Er ist meistens
schon da. Die Sitzungen des Verteidigungsausschusses zählen zu seinen
Pflichtterminen. Er will stets auf dem
Lauf enden sein. Ein genauso intensives
Augenmerk richtet er auf die Truppe.
In sitzungsfreien Zeiten ist in seinem
Kalender ein Tag in der Woche dafür
reserviert, kurzfristig Besuche bei der
Bundeswehr zu unternehmen. Wenn
es nicht Einladungen von Kanzlerin,
Ministerpräsidenten oder Abgeordneten
sind, die ihn bei eigenen Kontakten
mit dem Militär gern an ihrer Seite
haben, dann geschehen diese Truppenbesuche
unangemeldet.
Dieses Privileg garantiert dem
Wehrbeauftragten ein authentisches
Bild von der Bundeswehr. Und ganz
nebenbei erspart es der Truppe eine
Menge Arbeit, die sich ansonsten, wie
das bei Militärs so üblich ist, minutiös und mit erheblichem Aufwand auf die
Inaugenscheinnahme vorbereiten würde.
So aber meldet sich Robbe einfach
am Schlag baum, lässt sich zum Kommandeur
führen und präsentiert ihm
beispiels weise eine Liste mit den Bundeswehrangehörigen, die er sprechen,
und den Gebäuden, die er sehen möchte.
Bearbeitung der Eingaben
Anregungen für die Adressen derartiger
Besuche holt er sich unter anderem
aus der Vielzahl von Eingaben,
die ihn erreichen. Im Schnitt mehrere
Dutzend pro Werktag. In einer ersten
Postlage sichtet Robbe alle Eingaben,
die an ihn persönlich gerichtet sind. In
einer zweiten Postlage lässt er sich von
seinen Mitarbeitern alle Zuschriften
vorlegen, die über die Beschwernisse
des Truppenalltags hinausgehen und
von brisanten Vorgängen handeln, die möglicherweise sogar strafrechtliche
Aspekte aufweisen. Zudem bespricht
er mit den Fachleuten aus seiner
Dienststelle, wie mit den einzelnen
Eingaben verfahren werden soll und
wie weit die Bearbeitung bei anderen
gediehen ist.
In der Regel werden höhere
Dienstvorgesetzte um eine Stellungnahme
gebeten. Wichtig dabei: Gesetzlich
geregelt ist, dass keinem Soldaten
daraus ein Nachteil entstehen
darf, dass er sich wegen irgendwelcher
Anliegen oder Vorkommnisse an den
Wehrbeauftragten wendet. Aus naheliegenden
Gründen tut jeder Vorgesetzte gut daran, sich genau daran zu
halten. Denn wenn dem Wehrbeauftragten
die Auskünfte nicht ausreichen
oder er von dem Betroffenen erneut
angeschrieben wird, kann er die militärische
Stufenleiter immer weiter
nach oben gehen, bis hin zur militärischen
Führung, den zuständigen
Staatssekretären oder gar dem Minister
persönlich.
Und ganz nebenbei kann er jederzeit
auch dem Verteidigungsausschuss
entsprechende Hinweise geben oder
auch in seinem alljährlichen Bericht
an den Bundestag bestimmte Fälle
aufgreifen und damit den öffentlichen
Druck verstärken. Nicht zuletzt aufgrund
seiner wiederholten eindringlichen
Schilderungen über unerträgliche
bauliche Zustände in Kasernen im
Westen der Republik legte die Bundeswehr
ein Sonderproramm für Sanierungen
im Umfang von 600 Millionen
Euro auf. Ein Beispiel für greifbare
Wirkungen des Wehrbeauftragten.
Vorbeugende Bedeutung
Nicht zu unterschätzen ist auch seine
vorbeugende Bedeutung. Die Tatsache,
dass sich jeder Soldat jederzeit
ohne Einhaltung des Dienstweges
beim Wehrbeauftragten beschweren
kann, dürfte das Klima im Militär
nachhaltig beeinflussen. Und dann
sind da immer wieder auch die unangemeldeten
Besuche, die nach Robbes
Erfahrungen stets zwischen 10 und
15 Punkte ergeben, die anschließend
„nachgearbeitet” werden müssen. Bereits zum Abschluss jedes Besuches
erfährt der Kommandeur, was dem
Wehrbeauftragten aufgefallen ist. Das
darf dann immer wieder auch Lob sein.
Doch perfekt sind die Verhältnisse selten.
Die Vorgesetzten haben viel Bürokratie
um die Ohren. Da muss man
schon mal genauer darauf achten, dass
das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform
nicht unter die Räder kommt.
Ein Umstand ist für die Arbeit
des Wehrbeauftragten in den letzten
Jahren immer wichtiger geworden:
der Umbau der Bundeswehr von der
Verteidigungstruppe zur Einsatzarmee
des wiedervereinigten Deutschlands.
So hat sich Robbe zum Vorsatz gemacht,
sofort nach Bekanntwerden
neuer Planungen für Auslandseinsätze
die davon betroffenen Truppenteile
aufzusuchen und die Vorbereitungen
unter die Lupe zu nehmen. Zudem
schaut er sich pro Jahr mindestens
einmal in jedem Einsatzland um und
prüft, ob Ausbildung und Ausrüstung
den Erwartungen des Bundestages
entsprechen und welche Mängel die
Soldaten fern der Heimat beklagen.
Anwalt der Soldaten
Das ist jedes Mal eine große Palette
von Aspekten, die der Wehrbeauftragte
im Einzelnen unter die Lupe
nimmt. Wird wirklich alles Menschenmögliche getan, um die Soldaten
innerhalb und außerhalb des Lagers
optimal zu schützen? Verfügen
sie über eine ausreichende Anzahl
gepanzerter Fahrzeuge? Und was immer
wieder Anlass zum „Nachsteuern”
ist: Sind sie auch an die sen
Spezialfahrzeugen gut geschult? Es
kommt nämlich vor, dass nicht genügend davon zur Verfügung stehen, um
schon bei der Einsatzvorbereitung in
Deutschland den Umgang damit zu
üben. Wie steht es um die Betreuung,
die Verpflegung, die sportlichen Betätigungsmöglichkeiten? Funktioniert der
Kontakt nach Hause? Kommt die
Feldpost zügig an?
Je nach den Eintragungen in
der Mängelliste fällt die Sprache des
Wehrbeauftragten in der Nachbearbeitung
mehr oder weniger deutlich aus,
bekommen die Verantwortlichen an
der militärischen und politischen
Spitze klare Hinweise, wo lang-, mittel-
oder kurzfristig Missstände abgestellt
werden müssen.
Je klarer die Kontrolle, desto
glaubwürdiger die Außenwirkung.
Denn auch das will der Wehrbeauftragte
sein: Anwalt der Soldatinnen und
Soldaten.
« Vorheriger Artikel Nächster Artikel »
Erschienen am 18. Juni 2008
Der Wehrbeauftragte
Jeder Soldat der Bundeswehr hat das Recht, sich einzeln ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den Wehrbeauftragten zu wenden.
E-Mail: wehrbeauftragter@bundestag.de
Website: www.wehrbeauftragter.de
Wehrbeauftragte seit 1959:
1959 — 1961: Helmuth von Grolman
1961 — 1964: Hellmuth Guido Heye
1964 — 1970: Matthias Hoogen
1970 — 1975: Fritz Rudolf Schultz
1975 — 1985: Karl Wilhelm Berkhan
1985 — 1989: Willi Weiskirch
1989 — 1995: Alfred Biehle
1996 — 2000: Claire Marienfeld-Czesla
2000 — 2005: Willfried Penner
Seit 2005: Reinhold Robbe