Was soll die provisorische Hauptstadt
der neuen Republik sein? Über diese
Frage entbrennt im Januar 1949 im Parlamentarischen Rat ein heißer Streit. Die alte Hauptstadt Berlin — da sind sich alle einig — kommt aufgrund des Viermächtestatus und ihrer Insellage in der Sowjetzone
nicht in Frage. Im Rennen sind Kassel, Stuttgart,
vor allem aber Bonn und Frankfurt.
Es wird mit harten Bandagen gefightet in diesem Kampf um Geld und
Ehre. Konrad Adenauer wirbt mit aller List für Bonn — nicht nur, weil er
gleich nebenan in Rhöndorf wohnt. Die linksrheinische kleine Universitätsstadt
symbolisiere mehr als andere das Provisorische des vorläufigen
Regierungssitzes, stehe für rheinische
Liberalität und habe ohnehin den Vorteil,
schon Sitz des Parlamentarischen Rates
zu sein, lauten seine Argumente.
Die SPD favorisiert das großstädtische Frankfurt
als zugleich wichtigen
Industriestandort
und — mit der Paulskirche
— einem bedeutenden Symbol
deutscher demokratischer Tradition. Nach einer Besichtigungsreise einer
eigens gegründeten Findungskommission
scheiden Stuttgart
und Kassel aus dem Rennen aus. Nun wird umso heftiger zwischen Bonn und Frankfurt
gekämpft. Am 10. Mai 1949
ist die Stunde der Entscheidung: In geheimer
Abstimmung erhält Bonn mit 33 von 62 gültigen Stimmen die
knappe Mehrheit, auf Frankfurt entfallen 29 Stimmen. Die Bonner jubeln —
so wie sie 42 Jahre später trauern, als der Bundestag nach der deutschen
Einheit wieder Berlin zur Hauptstadt und zum Parlaments- und Regierungssitz
erklärt.
Beigetragen zum Sieg Bonns hat eine angebliche Äußerung des SPD-Vorsitzenden
Kurt Schumacher, die von einer Presseagentur unmittelbar vor der Abstimmung verbreitet wird: Eine Wahl Frankfurts bedeute eine Niederlage für Adenauer und seine CDU. Adenauer verbreitet dieses Gerücht
sofort und bewegt damit die eigene Fraktion zu einer klaren Entscheidung
für Bonn. Die Stadt am Rhein wird fünf Jahrzehnte politisches
Zentrum der Bundesrepublik.
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Text: Sönke Petersen
Bildnachweis: Erna Wagner-Hehmke/Hehmke-Winterer,
Düsseldorf; Haus der Geschichte, Bonn
Erschienen am 13. August 2008