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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Abgeordnet vom Volk
Gültig ab: 26.07.2010 11:00
Autor: S. Deutsch
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Abgeordnet vom Volk

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages

Wer wissen will, wie Abgeordnete ins Parlament kommen, was sie dort tun, was sie dafür kriegen und wie schwierig und zugleich spannend es ist, den Bürgerwillen in wirksame Politik umzusetzen, der sollte sich für die folgenden Seiten ein wenig Zeit nehmen. Zeit für das wirkliche Zentrum der Politik. Da, wo nicht nur im Plenum debattiert wird, sondern wo sich die Meinungsvielfalt der Bevölkerung spiegelt, wo um Vorschläge und Positionen gerungen und am Ende immer auch entschieden wird. Zeit für die Antwort auch auf die Frage „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus - aber wo geht sie hin?” In den Bundestag!

Plenarsaal des Deutschen Bundestages

© DBT/Werner Schüring

Grundsätzlich wird diese Macht in der Demokratie geteilt. Träger der Staatsgewalt sind Exekutive, Legislative, Judikative, also Verwaltung, Parlament und Rechtsprechung. Bei genauerem Hinsehen gibt es noch eine weitere Aufteilung: zwischen kommunaler, Landes-, Bundes- und Europaebene. Und längst wird den Medien die Rolle der „vierten Gewalt” zugesprochen. Ist der Abgeordnete also nur ein kleiner Fisch im Meer der Macht?

Die Antwort darauf überrascht vielleicht einige: Es sind die Abgeordneten, niemand sonst, die als einzige direkt gewählte Repräsentanten des Volkes mit ihrer Stimme im Parlament entscheiden, wer unser Land regiert und nach welchen Regeln sich unser gesellschaftliches Zusammenleben vollzieht. Sie sind diejenigen, die fortlaufend und insbesondere bei der nächsten Wahl Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen müssen. Sie stehen als Abgeordnete der Koalitionsfraktion für Erfolg oder Misserfolg ihrer eigenen Entscheidungen und der Politik der Regierung, die sie deshalb intensiv kontrollieren. Von ihrer Arbeit in der Opposition hängt es ab, ob ihre Partei in Zukunft die Regierungsverantwortung übernehmen wird, weil die kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und die Darstellung der politischen Alternativen die Wähler überzeugt hat.

Sitzverteilung im 17. Deutschen Bundestag
Sitzverteilung im 17. Deutschen Bundestag
© DBT/MC/Ingrid Otto

Aber bereits an der klassischen Gewaltenteilung lässt sich die Bedeutung der Abgeordneten ablesen. Die Exekutive führt die Gesetze aus. Die Judikative urteilt über die Gesetzesanwendung. Entscheidend ist also, was in den Gesetzen steht. Und das bestimmt das Parlament. Mag sein, dass viele Formulierungen von der Regierung vorbereitet werden. Es spricht ja nichts dagegen, das in den Ministerien vorhandene vielfältige Wissen zu nutzen. Mag auch sein, dass Vorbereitungsrunden in Regierungsund Parteigremien Orte sind, an denen Grundlinien für Konzepte und Kompromisse entwickelt werden. Ergebnis solcher Vorbereitungen können aber immer nur Entwürfe sein, die in den Bundestag eingebracht und dort beraten werden. Dass diese dabei nicht nur „durchgewunken” werden, kommt immer wieder mit dem Hinweis auf das sogenannte „Struck’sche Gesetz” zum Ausdruck. Dahinter steht die auf eine einfache Formel gebrachte Erfahrung des einstigen SPD-Fraktionschefs Peter Struck, dass kein Gesetz so den Bundestag verlässt, wie es eingebracht worden ist.

Nicht nur schwarz-weiß

Zudem ist es längst nicht so, wie manchmal vermutet, dass die Abgeordneten nur darauf warten, was andernorts entworfen und besprochen wird, bis sie es schwarz auf weiß vorliegen haben, um dann lediglich Ja oder Nein zu sagen. Der fachlich zuständige Abgeordnete ist selten davon überrascht, was in den Gesetzentwürfen der Regierung steht, über die er dann zu entscheiden hat. Denn oft genug hat er im Vorfeld selbst entscheidend daran mitgewirkt. Als Angehöriger der Regierungskoalition naturgemäß intensiver als der Kollege von der Opposition. Aber auch der ist im Detail nicht ohne Einfluss, fordert die Regierung heraus, stellt Fragen und formuliert Alternativen.

Anwesenheitsliste

© DBT/Simone M. Neumann

Schon die Bezeichnung „Abgeordneter” erinnert die Mitglieder des Bundestages jederzeit daran, wem sie verantwortlich sind: Sie sind abgeordnet vom Volk, das sie in ihrer Gesamtheit vertreten und dem gegenüber sie allein verantwortlich sind. Die Repräsentation auf Zeit - begründet durch die Wahl - ist immer ein dynamischer Prozess. Nur durch den ständigen Austausch zwischen Abgeordneten und Bürgern kann sie funktionieren. Die ständige Kommunikation ist Basis der Abgeordnetenarbeit - wie dieses Blickpunkt Bundestag SPEZIAL zeigen will: bei der Wahl (S. 8), in den Sitzungswochen (S. 10) und natürlich im Wahlkreis (S. 20).

Wenn durch allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen ein Bürger zum Abgeordneten wird, erwirbt er eine besondere Rechts- und Pflichtenstellung, auch Status genannt, die ihn in die Lage versetzt, seinen in der Verfassung beschriebenen Aufgaben nachzukommen und die ihn von anderen Berufstätigen in wichtigen Punkten unterscheidet.

Dieser Status konkretisiert sich vor allem durch Regelungen des Grundgesetzes, des Abgeordnetengesetzes und die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Auch hat sich das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen mit der Stellung der Abgeordneten befasst. Zentrale Regelung ist dabei Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz, die Umschreibung des freien Mandats. Danach sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Was bedeutet dies? Es heißt zum einen, dass die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit, nicht einzeln, das Volk vertreten. Der Abgeordnete mag von seinem Wahlkreis und dessen Bürgern geprägt sein, Verantwortung trägt er zusammen mit den anderen Bundestagsmitgliedern ausschließlich gegenüber dem gesamten Volk und nicht gegenüber einzelnen oder bestimmten Gruppen. Zum anderen: Alle Aufträge und Weisungen an einen Abgeordneten sind ohne rechtliche Wirkung. Ob Parteibeschlüsse, Fraktionsvorgaben oder Einflussnahmen durch Interessen- oder Wählergruppen, das freie Mandat gewährt dem Abgeordneten Schutz gegen jeglichen Druck, der seine selbstverantwortliche und unabhängige Parlamentstätigkeit beeinträchtigen könnte.

An Weisungen nicht gebunden

Vor diesem Hintergrund sieht auch der berühmte „Fraktionszwang” ein wenig anders aus als oft beschrieben: Dahinter verbirgt sich nicht die rechtlich verbindliche Vorgabe eines bestimmten Verhaltens, sondern die Erwartung einer „Fraktionsdisziplin” - es geht darum, nach dem Ringen aller Mitglieder um die Haltung der Fraktion zu einer bestimmten Frage die mehrheitlich gefundene Position gemeinsam nach außen zu vertreten. Eine Erwartung, die den Abgeordneten aber nicht daran hindern kann, von der Mehrheit abzuweichen. Und auch der Lobbyismus von Interessengruppen ist so lange nicht zu kritisieren, wie er lediglich der Meinungsbildung des Abgeordneten dient. Denn natürlich ist auch der Abgeordnete, wie jeder Bürger, nicht frei von Interessen, Prägungen, Erfahrungen, Programmatik und soll es auch nicht sein. Entscheidend ist, dass er bei seinen Entscheidungen seinem „Gewissen”, das heißt seiner Überzeugung, folgt.

Ebenfalls aus dem freien Mandat folgt das Recht jedes einzelnen Abgeordneten, gleichberechtigt an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Bundestages mitzuwirken und dabei seine Erfahrungen und Kenntnisse einzubringen. Natürlich muss jeder Abgeordnete an allen Abstimmungen teilnehmen können, und damit er an der Willensbildung des Parlaments mitwirken kann, muss er sowohl ein Rederecht im Plenum bei den einleitenden und abschließenden Beratungen haben wie auch ein Mitwirkungsrecht in den Ausschüssen, in denen die Fachpolitiker die Details beraten. Darüber hinaus muss er die Regierung zu allen Angelegenheiten befragen und Antworten erwarten können. Und nicht zuletzt muss er angemessen ausgestattet und bezahlt werden, um unabhängig seinem Vollzeitjob nachgehen zu können. Dazu später mehr (S. 16).

Jeder Abgeordnete genießt nach dem Grundgesetz (Artikel 46 GG) zudem sogenannte Immunität und Indemnität. Die eine schützt ihn vor strafrechtlicher Verfolgung ohne Genehmigung des Bundestages, die andere davor, wegen seiner Äußerungen im Parlament gerichtlich oder dienstlich belangt zu werden.

Pflichten des Abgeordneten

Wie steht es mit den Pflichten eines Abgeordneten? Zu den ihm durch die Verfassung auferlegten Pflichten gehört, dass der Abgeordnete seine Bindung an Gesetze und Verfassung beachtet und dass er an den Arbeiten des Bundestages teilnimmt. Warum aber blickt der Fernsehzuschauer bei der Übertragung von Bundestagsdebatten dann des Öfteren in ein nur spärlich besetztes Plenum?

Stimmkarten

© DBT/Werner Schüring
Abgeordnetenbüro

© DBT/Anke Jacob

Die Antwort: Weil die Plenarsitzungen nur einen geringen Teil der Tätigkeit des Abgeordneten ausmachen. Warum, so könnte die Gegenfrage lauten, sollte sich ein Abgeordneter in eine Plenardebatte setzen, die nicht seinem fachlichen Schwerpunkt entspricht oder deren Argumente ihm aus vielen vorangegangenen Fachgesprächen bekannt sind, wenn zur gleichen Zeit eine Menge Arbeit auf ihn wartet - Sitzungen, Besprechungen, Akten, Büro- oder Wahlkreisarbeit und vieles mehr? Hier zeigt sich erneut der Unterschied zwischen freiem Mandat und klassischen Berufen: Der Abgeordnete entscheidet in eigener Verantwortung, in welcher Art und Weise er das Mandat zur Verfolgung seiner politischen Bestrebungen wahrnimmt. Damit vertrüge sich aber kein fester Aufgabenkatalog mit vorgegebenen Arbeitszeiten.

Paul-Löbe-Haus

© DBT/Marc-Steffen Unger

Wie behält nun der einzelne Abgeordnete die Übersicht über die vielen Themen, Aspekte und Bereiche der Politik? Wie überzeugt er die anderen Abgeordneten davon, was er auf einem Gebiet für den besten Weg hält? Und wie können die Wähler verfolgen, ob die Abgeordneten einer bestimmten Partei auch so verfahren, wie sie es angekündigt haben? Die Antwort heißt: Fraktionen. Sie sind unerlässlich, damit das parlamentarische Getriebe funktioniert. Einer von rund 600 Abgeordneten ist relativ einflussarm. Aber wenn er seine Fraktion mit 50, 60 oder gar mehreren Hundert Abgeordneten von seiner Auffassung überzeugt, dann sieht die Sache schon anders aus.

Die Arbeit in den Fraktionen

Anders als mit Arbeitsteilung in den Fraktionen ist die parlamentarische Arbeit kaum zu organisieren. Nicht jeder kann überall sein, sondern muss als Experte stellvertretend für seine Fraktion sein Fachgebiet im Blick behalten. Sonst würde sich das Parlament schnell selbst blockieren. Deshalb gibt es innerhalb der Fraktionen faire Strukturen und Prozesse der Meinungsbildung. Der einzelne Abgeordnete arbeitet innerhalb seiner Fraktion in verschiedenen Gremien, um sich mit Kollegen mit ähnlichen Interessen abzustimmen. Da gibt es Facharbeitsgruppen, regionale Landesgruppen, Strömungsgruppen, soziologische Gruppen. Und wenn die dann alle miteinander um die beste Haltung der Fraktion als Ganzes gerungen haben und die Fraktion intern darüber abgestimmt hat, dann wird der Abgeordnete entscheiden müssen, ob er sich der Mehrheitsmeinung anschließt. Vielleicht aus eigener Sachkunde, vielleicht, weil er sich auf den Rat der Kollegen, die sich mit dem Thema intensiver befassen konnten, verlässt. Vielleicht auch in der Erkenntnis, dass er seine politischen Ziele nicht als Einzelkämpfer, sondern nur in der Gemeinschaft und mit Kompromissbereitschaft zu verfolgen vermag. Oder ob er von der mehrheitlichen Auffassung der Fraktion in diesem Punkt abweicht. Dann aber darf die Fraktionsführung verlangen, dass er dies rechtzeitig signalisiert, damit die Fraktionsmitglieder nicht überrascht sind, sondern sich darauf einstellen können.

Der Abgeordnete steht also ständig vor wichtigen Fragen: Wie setzt er den grundsätzlichen Willen der Wähler in praktische Politik um? Wie behält er den besten Kontakt zu den Bürgern und erfährt, wie er am besten deren Einschätzung zu aktuellen Themen in Berlin repräsentieren kann? Wie findet er immer wieder auch eigene, neue Lösungen von Problemen in einer sich ständig verändernden Welt? Und wie behält er die innerliche Unabhängigkeit gegenüber dem, was von außerhalb und innerhalb des Parlaments an Einflussversuchen auf ihn einwirkt? Nur vier von vielen Feldern, die die Arbeit der Abgeordneten buchstäblich spannend machen.

Mandat

Im Grunde heißt „Mandat” so viel wie „Auftrag”. Die Abgeordneten sind Mandatsträger, denn sie handeln im Auftrag der Wähler. Sie sind Beauftragte des Volkes. Das freie Mandat in den modernen demokratischen Verfassungen bedeutet, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind und keinen speziellen Weisungen zu folgen haben. Die Abgeordneten erhalten für ihre Arbeit im Bundestag ein Mandat auf Zeit. Es erlischt, wenn sich nach der nächsten Wahl ein neuer Bundestag konstituiert - es sei denn, das Mandat wurde durch Wiederwahl erneuert.

Fraktion

Mindestens fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Bundesland miteinander im Wettbewerb stehen, können eine Fraktion bilden. Schließen sich Mitglieder des Bundestages abweichend von dieser Regelung zusammen, so werden sie nur als Fraktion anerkannt, wenn der Bundestag zugestimmt hat.

Fraktionslos

Einzelne Abgeordnete, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören, sind fraktionslos. Ihre Rechte sind gegenüber denen der Fraktionen begrenzt. Sie können aber zum Beispiel im Plenum reden, Geschäftordnungsanträge stellen und Fragen zur schriftlichen oder mündlichen Beantwortung an die Bundesregierung richten. In den Ausschüssen können fraktionslose Abgeordnete als beratende Mitglieder mit Rede- und Antragsrecht tätig werden, sich aber nicht an Abstimmungen beteiligen.

 

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Literatur und Links zum Thema

Text: Gregor Mayntz 
Erschienen am 26. Juli 2010


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