Der berühmte General Wallenstein ließ sein Palais als „Antwort” auf die trutzige Prager Burg bauen. Heute residiert im Palais der tschechische Senat.
Einst zitterte Europa vor dem kaiserlichen General Albrecht von Waldstein, der als Wallenstein in die Geschichte einging. Im Mai 2009 schaute Europa gebannt auf das Palais des Generals auf der barocken Prager Kleinseite. Dort, in den früheren Stallungen des Palais Wallenstein, drohte Ungemach für den Kontinent: Der tschechische Senat, die zweite Kammer des Prager Parlaments, musste sich bekennen – für oder gegen eine Reform der Europäischen Union. Auf dem Tisch des Hauses lag der Vertrag von Lissabon, ohne den nach Meinung vieler auf dem Kontinent nicht mehr viel gehen wird. Neben den Iren waren die Tschechen bis dahin die Letzten, die sich sperrten. Der sich selbst als Europadissident bezeichnende Präsident Václav Klaus sowieso, aber eben auch der Senat. Dass die Kammer Anfang Mai dem Vertrag schließlich doch noch ihren Segen gab, galt zuvor keineswegs als ausgemacht.
Die 81 tschechischen Senatoren sind sehr unabhängig. Zwar werden sie größtenteils von den Parteien vorgeschlagen. Aber sie sind ihnen nicht verpflichtet. Das ist anders als in der ersten Parlamentskammer, dem Abgeordnetenhaus, wo die Parteichefs in der Regel alle Dinge vorab auskungeln. Während im Abgeordnetenhaus schon mal die Fetzen in erbitterten Redeschlachten fliegen – vor allem, wenn das Fernsehen live dabei ist – geht es im Senat weit gesitteter zu. Das hat vielleicht mit der Altersweisheit der Senatoren zu tun: Senator in Prag kann nur werden, wer das 40. Lebensjahr vollendet hat.
Anfangs haben die Tschechen nicht viel vom Senat gehalten. Er machte auf sie den Eindruck eines Auffangbeckens für verdiente ältere Wendepolitiker, für die es nach der Teilung der Tschechoslowakei 1993 keinen anderen lukrativen Posten mehr gab. Dabei ist der Senat keine Erfindung der Nachwendezeit. Einen Senat gab es bereits in der ersten Tschechoslowakischen Republik – im Sinne der österreichisch-ungarischen Tradition und nach den Vorbildern Frankreich und USA.
Viel zu sagen hat der Senat heute nicht. Seine Zustimmung wird bei Gesetzen mit verfassungsänderndem Charakter benötigt. Die Senatoren stimmen gemeinsam mit den Abgeordneten bei der Wahl des Staatsoberhaupts ab. Und schließlich bestätigen sie die Verfassungsrichter, die ihnen der Präsident vorschlägt – oder sie lehnen sie ab. Das ist die einzige Möglichkeit, dem Staatsoberhaupt einmal Kontra zu geben. Und das aus einem Gebäude, das sich General Waldstein als „Antwort” auf die trutzige Prager Burg einfallen ließ. Waldstein greift nach der böhmischen Krone, hieß es während des Dreißigjährigen Krieges. Etwas übertrieben. Der Verdacht, Waldstein könnte mit dem Feind zusammenarbeiten, reichte aber seinerzeit aus, um ihn ermorden zu lassen.
Derlei Unheil droht heute nicht mehr. Wenngleich Präsident Klaus sehr froh gewesen wäre, wenn der Senat den Vertrag von Lissabon abgelehnt hätte: Politisch köpfen kann er keinen der Senatoren, der nicht seiner Meinung ist.
Text: Hans-Jörg Schmidt, Prag
Erschienen am 29. Juni 2009