Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Datenhandbuch > 10. Gesetzgebung > 10.8 Unionsvorlagen
Stand: 31.3.2010
Im Zuge der Vertiefung der europäischen Integration seit 1990 wurden die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der EG bzw. der EU stetig gestärkt und konkretisiert. Die entscheidende Wegmarke dabei bildet die Schaffung einer verfassungsrechtlichen Basis für die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der EU durch Artikel 23 GG im Rahmen des Ratifizierungsprozesses zum Vertrag von Maastricht. Weitere Schritte waren die Umsetzung dieser grundgesetzlichen Regelung durch das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der EU (EUZBBG) vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 311), die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der EU (BBV) vom 28. September 2006 (BGBl. I S. 2177) sowie die Begleitgesetzgebung1 zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon im Lichte der Entscheidung den Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 2009 (BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Absatz-Nr. [1–421]).
Um seine Rechte angemessen wahrnehmen zu können, entwickelte der Deutsche Bundestag zudem seine internen Beratungs- und Behandlungsstrukturen laufend fort. Von zentraler Bedeutung war hierbei die Einrichtung des EG-Ausschusses in der 12. Wahlperiode im Jahr 1991 sowie die erstmalige Konstituierung des heutigen Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur 13. Wahlperiode im Jahr 1994. Weiterhin wurden entsprechende Änderungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) vorgenommen, die insbesondere auf die Effektivierung der Überweisung und Beratung von Initiativen der EG bzw. EU zielten.
Seit der am 15. Dezember 1994 beschlossenen Änderung der GOBT legte der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU gem. § 93 Abs. 3 GOBT a.F. dem Präsidenten einen Überweisungsvorschlag für die eingegangenen Unionsvorlagen2 vor. Der Präsident überwies diese dann im Benehmen mit dem Ältestenrat an einen Ausschuss federführend und an andere beteiligte Ausschüsse zur Mitberatung. Somit wurden alle Unionsvorlagen im Sinne der GOBT a.F. an die Ausschüsse des Deutschen Bundestages zur Beratung überwiesen.
Durch die Ausweitung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages nach Unterzeichnung der BBV und dem damit einhergehenden Anstieg an Dokumentenzuleitungen in Angelegenheiten der EU3 wuchs die Notwendigkeit einer stärkeren Konzentration der Beratungsprozesse auf bedeutsame EU-Initiativen und eine weitere Effektivierung des Überweisungsverfahrens der entsprechenden Vorlagen. Diesem wurde durch die Änderung der GOBT, die in der 166. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. Juni 2008 beschlossen wurde (vgl. BGBl. I S. 1712), Rechnung getragen. Seitdem kommen gem. § 93 Abs. 3 GOBT Unionsdokumente, die einem in einer Positivliste aufgeführten Dokumententyp4 entsprechen, grundsätzlich für eine Überweisung in Betracht. Bei der Vorbereitung der Überweisungsentscheidung wird zudem die Beratungsrelevanz des Dokuments in Abstimmung mit den Fraktionen bewertet (Priorisierung). In der Praxis erstellt hierzu das Europareferat (PA 1) des Deutschen Bundestages einen Priorisierungsvorschlag, über den die Fraktionen im Benehmen entscheiden. Somit werden seit der letzten Änderung der GOBT nur noch Unionsdokumente überwiesen, zu denen zumindest von einer Fraktion ein entsprechender Wunsch angemeldet wurde. Weiterhin überweist der Präsident diese Unionsdokumente gem. § 93 Abs. 5 GOBT nunmehr im Benehmen mit den Fraktionen und nicht mehr mit dem Ältestenrat. Hierdurch wurde die Überweisungsentscheidung grundsätzlich von den Sitzungswochen des Bundestages entkoppelt, wodurch ein höheres Maß an Flexibilität erreicht wurde. Insgesamt führte das Priorisierungsverfahren seit seiner Einführung im Juli 20075 zu einer deutlichen Konzentration der Beratungsprozesse. Von den 3 306 dieses Verfahren durchlaufenen Unionsdokumenten wurden 1 559 an die Ausschüsse zur Beratung überwiesen. 6
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der entsprechenden Begleitgesetze ist die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der EU auf eine neue Basis gestellt worden. Durch die Festschreibung und Ausweitung des Begriffs der EU-Vorhaben in § 3 EUZBBG7 wird die Menge der für eine Überweisung in Betracht kommenden Unionsdokumente zunehmen. Weiterhin bedingen die zusätzlichen Informationsrechte des Bundestages einen Aufwuchs der entsprechenden Unterrichtungsdokumente der Bundesregierung gem. §§ 4 und 5 EUZBBG. Hinzu kommt die direkte Zuleitung von Dokumenten durch die Organe der EU an den Deutschen Bundestag, die dieser aufgrund der Stärkung der Rechte der nationalen Parlamente im Vertrag von Lissabon erhält. Die Anpassung der GOBT an die neuen Rechtsgrundlagen befindet sich derzeit in der parlamentarischen Beratung.
1 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschen Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 (BGBl. I S. 3026), Gesetz zur Stärkung und Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 22. September 2009 (BGBl I S. 3022), Gesetz zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon vom 1. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3822), Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93) vom 8. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1926)
2 Unionsvorlagen im Sinne des § 93 Abs. 3 GOBT a.F. waren Vorhaben gemäß §§ 3 bis 5 des EUZBBG a.F. und gemäß Artikel 2 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der EWG und EURATOM sowie Unterrichtungen des Europäischen Parlaments
3 Nach dem 2. Monitoringbericht der Bundestagsverwaltung (PA 1) vom 9. Dezember 2008 erreichten den Deutschen Bundestag vom 1. September 2007 bis zum 31. August 2008 ca. 16 400 Dokumente in Angelegenheiten der EU.
4 Positivliste gem. Anlage 8 GOBT: 1. Entschließungen des Europäischen Parlaments; 2. Vorhaben im Sinne der Anlage 1 zur Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union in Ausführung des § 6 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union; 3. Unterrichtungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie über Maßnahmen bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit und die Handelspolitik; 4. Unterrichtungen über die Einlegung eines Parlamentsvorbehalts; sofern eine Stellungnahme des Bundestages in einem ihrer wesentlichen Belange im Rat nicht durchsetzbar ist; 5. Unterrichtungen über die Absicht des Rates, einen Beschluss zum Übergang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen zu fassen, und die entsprechende Willensbildung der Bundesregierung; 6. Unterrichtungen über die Absicht des Rates, einen Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen zur Vorbereitung von Beitritten zur Europäischen Union zu fassen, und die entsprechende Willensbildung der Bundesregierung; 7. Unterrichtungen über die Absicht des Rates, einen Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen zu Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union zu fassen, und die entsprechende Willensbildung der Bundesregierung.
5 Der Deutsche Bundestag beschloss auf seiner 109. Sitzung vom 6. Juli 2007 das Verfahren der Priorisierung im Hinblick auf eine Änderung der GOBT zu erproben. Die entsprechende Änderung der GOBT erfolgte durch Beschluss des Bundestages auf seiner 166. Sitzung am 5. Juni 2008 (BGBl. I S. 1712).
6 Zeitraum 22. Juni 2007 bis 31. März 2010
7 EU-Vorhaben sind gem. § 3 EUZBBG insbesondere: 1.Vorschläge und Initiativen für Beschlüsse zur Aufnahme von Verhandlungen zu Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union, 2. Vorschläge und Initiativen für Beschlüsse zur Aufnahme von Verhandlungen zur Vorbereitung von Beitritten zur Europäischen Union, 3. Vorschläge für Gesetzgebungsakte der Europäischen Union, 4. Verhandlungsmandate für die Europäische Kommission zu Verhandlungen über völkerrechtliche Verträge der Europäischen Union, 5. Beratungsgegenstände, Initiativen sowie Verhandlungsmandate und Verhandlungsrichtlinien für die Europäische Kommission im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik und der Welthandelsrunden, 6. Mitteilungen und Stellungnahmen der Europäischen Kommission, 7. Berichte der Organe der Europäischen Union, 8. Aktionspläne der Organe der Europäischen Union, 9. Grünbücher der Europäischen Kommission, 10. Weißbücher der Europäischen Kommission, 11. Politische Programme der Organe der Europäischen Union, 12. Empfehlungen der Europäischen Kommission, 13. Interinstitutionelle Vereinbarungen der Organe der Europäischen Union, 14. Haushalts- und Finanzplanung der Europäischen Union sowie Vorschläge und Initiativen der EU, bei denen eine Mitwirkung des Bundestages nach dem Integrationsverantwortungsgesetz vom 22. September 2009 (BGBl. I S. 3022) erforderlich ist.
Quelle: Europäisches Parlament, Verbindungsstelle der Bundestagsverwaltung (Europabüro), Bearbeitet von Paul Göttke und Herbert Walther; Deutscher Bundestag, Referat Parlamentsdokumentation
Angaben für den Zeitraum bis 1990 s. Datenhandbuch 1949 – 1999, Kapitel 11.17.