Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Interview Petra Merkel
Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, Petra Merkel (SPD), fühlt sich von der Bundesregierung bei den Stabilisierungsmaßnahmen für den Euro hintergangen. Dass die Euro-Turbulenzen bereits bei den Beratungen über die Griechenland-Hilfen nicht absehbar gewesen sein sollen, "ist kaum zu glauben", sagt Merkel in einem am Montag, 17. Mai 2010, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Kritisch äußert sich Merkel zur Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Bundestag bei der Verabschiedung des EU-Stabilisierungsprogramms in Brüssel. Das Interview im Wortlaut:
Der Schutzschirm für Griechenland ist gespannt. Würden Sie jetzt griechische Staatsanleihen kaufen?
Ich lege mein Geld ganz konventionell an, und das heißt bei mir in erster Linie auf dem Sparbuch. Aber man kann jetzt auch griechische Anleihen kaufen, denn die sind mit dem europäischen Schutzschirm wieder sicher.
Am Freitag, dem 7. Mai, hat der Bundestag den deutschen Beitrag am Hilfspaket für Griechenland beschlossen. War zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht absehbar, dass die Währung insgesamt und nicht nur Griechenland wankt?
Dass die Euro-Turbulenzen nicht absehbar gewesen sein sollen, ist kaum zu glauben. Die Märkte wurden und werden doch von Kanzleramt und Finanzministerium beobachtet - gerade auch für die Vorbereitung des europäischen Finanzministertreffens am 9. Mai in Brüssel.
Hat die Regierung den Parlamentariern also etwas verheimlicht?
Das frage ich mich auch! Ich persönlich fühle mich schon hintergangen, da nicht vorstellbar ist, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht informiert gewesen sein soll.
Was empfinden Sie, wenn es beim neuen Hilfspaket um Größenordnungen bis zu einer dreiviertel Billion Euro geht?
Ich bekomme eine Gänsehaut, der Betrag ist gruselig. Beim Bankenrettungsschirm 2008 haben wir als Parlamentarier schon gesagt, in dieser Schnelligkeit dürften wichtige Beschlüsse nicht mehr durch das Parlament gehen. Damals musste aber schnell gehandelt werden. Jetzt musste die Griechenland-Hilfe wieder innerhalb einer Woche durch das Parlament gebracht werden. Und kaum ist die Tinte unter dem Gesetz trocken, kommt ein gigantisches Hilfsprogramm für Europa mit einer unvorstellbar hohen Summe von über 700 Milliarden Euro auf die Tagesordnung.
Muss es wieder so schnell gehen?
Ja, ich fürchte, es wird aufs Tempo gedrückt. Es wird in dieser Woche die erste Beratung und eine öffentliche Anhörung geben. Als Abgeordnete verlangen wir aber vor der abschließenden Beratung im Bundestag die Vorlage des gesamten europäischen Vertragswerkes zum Stabilisierungsmechanismus. Uns liegt bisher nur ein Teil der europäischen Übereinkunft vor. Wichtige Details fehlen. So wollen wir genau wissen, ob Deutschland mehr bezahlen muss, wenn ein Mitgliedstaat seinen Anteil nicht bezahlen kann.
Oft ist von gehetzten Parlamentariern die Rede, die kaum Mitwirkungsrechte haben, weil alles im Schweinsgalopp durch die Gremien muss. Ist da was dran?
Wir haben als Abgeordnete das Recht, uns zu informieren und unabhängige Sachverständige anzuhören. Davon machen wir auch Gebrauch. Die Fraktionen beraten, die zuständigen Ausschüsse ebenfalls, und wir diskutieren jeden Gesetzentwurf zweimal im Plenum. Tatsächlich beschäftigen wir uns schon seit Ausbruch der Krise mit der Situation auf den Finanzmärkten. Es sind aber unglaublich komplexe, schwierige Themen. Ich weiß nicht, ob jeder sie bis zum Schluss durchdringen kann. Nichtsdestotrotz muss jeder Abgeordnete schließlich entscheiden. Diese Entscheidung kann einem keiner abnehmen.
Von der Opposition kommen Vorwürfe, die Regierung hätte den Bundestag nicht über die EU-Verordnung zum neuen Hilfspaket informiert, obwohl es vorgeschrieben ist. Sehen Sie das auch so?
Im Grundgesetz ist eindeutig geregelt, dass die Bundesregierung vor ihrer Mitwirkung an Rechtsakten der Europäischen Union dem Parlament Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss. Die Regierung ist mit dem Ministerratsbeschluss zum Stabilisierungsmechanismus einen Rechtsakt eingegangen, der gravierende Auswirkung auf die Bundesrepublik und auf die Mitwirkungsrechte des Parlaments hat. Ob gegen geltendes Recht verstoßen wurde, werden wir prüfen lassen. Die Bundesregierung sollte sehr vorsichtig sein: Wenn die Rechte des Parlaments nicht beachtet werden, könnten sich Klagemöglichkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht ergeben. Ich erinnere daran, dass in der Vergangenheit sogar Verfassungsklagen von Mitgliedern der Regierungsfraktionen erhoben worden sind.
Was hätte die Regierung tun müssen?
Die Regierung hätte - selbst in der Nacht - wenigstens die Fraktionsspitzen telefonisch von ihrer beabsichtigten Zustimmung zu der EU-Verordnung in Kenntnis setzen sollen und um eine Stellungnahme bitten müssen. Das wäre auch eine Beteiligungsform gewesen, aber dass sie die Information erst am nächsten Tag gegeben hat, macht die Sache schwierig.
Wenn von den Gewährleistungen Teile fällig werden und der Bund einspringen muss, wird der Haushalt schwer belastet. Die Koalition hat sich bereits von der Steuerreform verabschiedet. Stehen öffentliche Leistungen wie der Anspruch auf Kita-Plätze auf dem Spiel?
Es sieht im Moment nicht danach aus, dass die eingegangenen Bürgschaften fällig werden. Aber unabhängig davon kann der Haushalt nur durch ziemlich drastische Sparmaßnahmen die Schuldenbremse einhalten. Der Bund muss ohnehin ab 2011 zehn Milliarden Euro pro Jahr sparen. Darin sind die Bürgschaften, mögliche Zinserhöhungen und andere sonstige Zusagen der Bundesregierung noch nicht einmal enthalten. Ich fände es jedoch fatal, wenn, wie von Teilen der CDU vorgeschlagen, bei den Bildungsausgaben gespart würde.
EU-Währungskommissar Olli Rehn will sich in die Haushaltspolitiken der Mitgliedsländer einmischen und fordert die Vorlage der Etatentwürfe in Brüssel. Wäre das das Ende des Budgetrechts des Parlaments?
Unsere Haushalte sind immer öffentlich. Brüssel kann sich die Entwürfe jederzeit besorgen. Wenn Herr Rehn allerdings den Etat kontrollieren oder gar in ihn eingreifen möchte, dann steht das Budgetrecht des Deutschen Bundestages in der Tat auf dem Spiel. Das Budgetrecht werden wir nicht aufgeben. Es kann nicht einfach so weggefegt werden. Wenn Brüssel allerdings daran denken sollte, eine Art haushaltspolitisches Frühwarnsystem einzurichten, wäre das eine gute Idee.
Während der Bundestag ein Rettungspaket nach dem anderen verabschiedet, gehen die Spekulationen munter weiter.
Die Bundesregierung unternimmt viel zu wenig gegen die Spekulation. Deshalb hat sich die SPD-Fraktion bei der Abstimmung über das Griechenland-Paket enthalten. Rettung und Regulierung müssen Hand in Hand gehen. Es ist fahrlässig, das Schwungrad mit Milliarden-Bürgschaften weiter zu drehen, aber die Regulierung zum Beispiel durch Einführung einer Finanztransaktionsteuer und ein Verbot von Leerverkäufen von Aktien zu unterlassen. Keinesfalls können wir warten, bis sich die ganze Welt auf eine Finanztransaktionsteuer geeinigt hat. Europa muss hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Die Kanzlerin meint, dass Haushaltssünder aus der Währungsunion ausgeschlossen werden sollen. Eine gute Idee?
Nein. Zum jetzigen Zeitpunkt geht das ohnehin nicht, weil die Spekulation sich gleich auf das nächste Land der Eurozone stürzen würde. Mit einer Regulierung der Finanzmärkte und der Installation eines Frühwarnsystems, um Defizitsündern rechtzeitig auf die Spur zu kommen, wäre schon viel gewonnen. Etwas kommt hinzu: Die harten Reformen, die Griechenland jetzt umsetzen muss, wirken auf jeden potenziellen Defizitsünder abschreckend. Die Verhältnisse in Europa sind am ehesten mit einer Familie zu vergleichen. Da gibt es auch immer mal Meinungsverschiedenheiten, und es werden auch Fehler gemacht, aber man setzt nicht einfach ein Familienmitglied vor die Tür.