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Sein Praktikum im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendien Programms (IPS) wird Mikheil Sarjveladze in schöner, aber auch in schmerzhafter Erinnerung behalten. Schön, weil der 25-jährige Georgier hier in Berlin im Rahmen des IPS und seiner Tätigkeit im Büro des Bundestagsabgeordneten Harald Koch (Die Linke) "viele tolle Menschen kennengelernt“ hat. Schmerzhaft, weil er sich bei einem Fahrradunfall mehrere Rückenwirbel gebrochen hat. Glück im Unglück hat er dabei wohl gehabt. Ein Titankorsett muss er nun tragen, darf aber froher Hoffnung sein, das Ganze ohne bleibende Schäden zu überstehen.
Seit drei Jahren lebt Mikheil Sarjveladze schon in Deutschland. In Gießen hat er ein Jahr Sozialwissenschaften studiert. In Jena absolviert er nun seinen Masterstudiengang "Geschichte und Politik des 20. Jahrhunderts". Um nicht nur "Politik aus den Büchern“ kennenzulernen, hat er sich für das IPS beworben. "Ich wollte praktische Erfahrungen sammeln, wollte sehen, wie Politik wirklich abläuft“, sagt er. Von außen könne man schließlich nicht erkennen, "wie sich politische Entscheidungen entwickeln“. In seiner Zeit im Bundestag hat er nun gelernt, "wie man innerhalb einer Fraktion miteinander umgeht, aber auch, wie man mit dem politischen Gegner umgeht“.
Dabei hat er große Unterschiede ausgemacht im Vergleich mit der politischen Kultur seines Heimatlandes Georgien. "Bei uns gibt es viel Nachholbedarf“, lautet sein Fazit. Georgien befinde sich im Transformationsprozess, sagt er, und auch, dass die Ausrichtung klar in Richtung Westen ziele.
Es gehe dabei aber nicht darum, in zehn Jahren in die EU zu kommen, sondern darum, dass Georgien "in die westlichen Strukturen einbezogen wird und Beziehungen mit dem Westen intensivieren kann“.
Die Georgier, da ist er sich sicher, brauchten mehr politische Bildung. In diesem Bereich, so hofft Mikheil Sarjveladze, kann er die im Bundestag gemachten Erfahrungen später einbringen. "Meine Landsleute sind sehr politikinteressiert“, sagt er. Es fehle ihnen jedoch an Kenntnissen über Demokratie und Parlamentarismus.
"Bei uns sind Proteste meistens von Gewalt geprägt. Dadurch entsteht aber lediglich Gegengewalt“, lautet seine Einschätzung. Ist das eine Frage der fehlenden politischen Bildung oder eher ein Mentalitätsproblem? Nein, sagt er. Letzteres allein sei es nicht. "Die Mentalität kann man durch politische Bildung lenken“, zeigt er sich zuversichtlich.
Die wichtigsten Probleme seien in Georgien die mangelnde politische Kultur, eine langsame Entwicklung der Zivilgesellschaft und eine Gewaltenteilung auf der politischen Ebene, die nicht so gleichmäßig sei wie sie sein sollte. "20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion findet nun ein Mentalitätswechsel statt“, sagt Sarjveladze und fordert: "Dieser Prozess darf nicht verhindert werden.“ Demokratie - besonders im Postsowjetraum - funktioniere besser, wenn die Gewalt möglichst gleichermaßen verteilt und nicht nur überwiegend an den Präsidenten oder Ministerpräsidenten übertragen wird.
Vielleicht kann seine Generation den Weg dahin ebnen. "Unbedingt“, stimmt Mikheil Sarjveladze zu. "Meine Generation ist in der Sowjetunion geboren, aber im freien Georgien aufgewachsen. Viele haben später eine Ausbildung im Westen genossen. Unsere Aufgabe ist es nun, den Transformationsprozess zu beschleunigen und eine Demokratie zu entwickeln“, sagt er.
Ein Problem dabei ist, dass viele der gut ausgebildeten Georgier im Westen bleiben. Könnte das bei ihm auch der Fall sein? Ein ganz klares "Nein“ gibt es dazu als Antwort: "Ich will meinem Land helfen.“ Scherzhaft fügt er hinzu: "Die Demokratie in Deutschland ist ausreichend gut entwickelt. Da wird meine Hilfe nicht gebraucht.“
Während seines Praktikums im Büro Koch half er gleichwohl mit, die parlamentarische Arbeit der Opposition voranzubringen, wobei er anfangs mit den Themen des Finanzausschusses, in dem Harald Koch Mitglied ist, "nicht so viel anfangen konnte“. Doch das änderte sich: "Ich habe viel recherchiert und auch kleine Abhandlungen geschrieben zu dem Themen, die in den Anträgen der Linksfraktion aufgegriffen wurden“, sagt er. Das seien durchaus anspruchsvolle Aufgaben gewesen, die "erledigt werden mussten und nicht geschaffen wurden, damit ich mich nicht langweile“.
Gleichzeitig habe Harald Koch ihm viele Freiräume gelassen, um auch andere Veranstaltungen zu besuchen. "Ich war öfter im Europaausschuss, weil mich das Thema sehr interessiert.“ Nahezu gerührt war er, wie sich Koch und seine Mitarbeiter ebenso wie viele andere IPSler und auch Vertreter des für die Austauschdienste zuständigen Bundestagsreferates nach seinem Unfall um ihn gekümmert haben.
"Das war wie eine Ersatzfamilie und hat mir wirklich viel bedeutet“, sagt er. Nach dem Ende des Praktikums möchte er mit dem IPS auf jeden Fall in Kontakt bleiben und im Alumni-Verein in Georgien aktiv sein.
Im Unterausschuss " Bürgerschaftliches Engagement", dem Koch ebenfalls angehört, war Mikheil Sarjveladze nicht so häufig. Findet er es aus georgischer Sicht nicht seltsam, dass sich das deutsche Parlament mit solchen Themen beschäftigt? Nein, sagt er. Deutschland habe eben ein Niveau erreicht, "wo solche Sachen wichtig sind“. Sein Land habe andere Sorgen, wie beispielsweise die "Sezessionskonflikte“ in Bezug auf die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien.
"Ich wäre glücklich, wenn in Georgien Diskussionen über freiwilliges bürgerschaftliches Engagement zu den wichtigeren Problemen gehören würden.“ Auf der anderen Seite, so Sarjveladze, habe Georgien in den letzten Jahren auch Fortschritte gemacht. Etwa bei der Bekämpfung der Korruption oder bei der Polizeireform, "wovon die meisten Länder aus dem Postsowjetraum nur träumen können“.
Nicht zuletzt angesichts der persönlichen Erfahrungen ist Mikheil Sarjveladze ein Gegner von Krieg und Gewalt. Aufgewachsen im Norden Georgiens unweit von Abchasien habe er 1992 als Siebenjähriger erlebt, dass Kampfflugzeuge über sein Haus flogen. "Solche Kriegserlebnisse begleiten einen das ganze Leben“, sagt er. Die kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 2008 hätten zudem die positiven Entwicklungen, etwa im Bereich des Tourismus erneut aufgehalten.
Sarjveladze bleibt dennoch optimistisch und fordert zugleich mehr Engagement seitens der Europäischen Union. "Wenn die EU als Konfliktmanager im Kaukasus agiert, sollte sie uns helfen, die Probleme tatsächlich zu regeln und nicht nur aus eigenem Interesse handeln“, fordert er. Dafür müsse aber auch die Bereitschaft Georgiens groß genug sein. "Georgiens Entscheidung, Richtung Westen zu streben, soll aber nicht dazu führen, dass wir mit unseren Nachbarn schlechte Beziehungen haben“, sagt Mikheil Sarjveladze. (hau)