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Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Rentenexperte Anton Schaaf dringt auf eine Verschiebung der 2012 beginnenden Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Richtig sei, dass man die demografische Entwicklung der Gesellschaft nicht negieren könne, sagt Schaaf in einem am Montag, 19. Dezember 2011, erschienenen Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Eine andere Frage sei indes, ob man 2012 damit beginnt, ein höheres Renteneintrittsalter einzuführen. Das Interview im Wortlaut:
Herr Schaaf, im Januar geht es los, dann startet die Rente mit 67, die Franz Müntefering als Arbeitsminister der Großen Koalition durchgesetzt hat. Dieser nannte die Pläne der SPD zur Aussetzung des Projektes schon im vergangenen Jahr „unredlich“. Verstehen Sie die Kritik?
Wenn er damit meint, dass wir die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft nicht negieren können, dann hat er recht. Die Frage, ob man 2012 anfängt, ein höheres Renteneintrittsalter einzuführen, ist eine andere. Das ist der Unterschied, den man machen muss. Wir sind mehrheitlich der Meinung, dass man es jetzt nicht machen kann. Aber wir denken nicht, dass man es gar nicht machen sollte.
Wir leben ja auch länger und gesünder und können dann doch auch länger arbeiten, oder?
Neueste Statistiken besagen, dass insbesondere Geringverdiener eine mittlerweile geringere Lebenserwartung haben. Das sind die, die weniger vorsorgen können, die schlecht entlohnt werden. Für die ist die Rente mit 67 dann tatsächlich eine Verkürzung von Rentenzeit.
Die SPD will die Rente mit 67 aussetzen, bis die Erwerbstätigenquote bei den 60- bis 65-Jährigen mindestens 50 Prozent beträgt. Nun wusste man um die sehr geringe Erwerbstätigenquote Älterer schon 2007, als der Beschluss gefasst wurde.
Deswegen gibt es in dem jetzt gültigen Gesetz eine Überprüfungsklausel. Die besagt, dass man vor dem Hintergrund der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Situation der Älteren entscheidet, ob man die Rente mit 67 im Jahr 2012 einführt. Und da müssen wir feststellen, dass es noch enorme Defizite gibt. Unsere Schlussfolgerung daraus ist nicht, die Rente mit 67 gar nicht zu machen, sondern erst die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Das ist ein längerer Prozess...
Ja, aber man kann die Übergänge gestalten. Zum Beispiel durch eine verbesserte Erwerbsminderungsrente, hier konkret durch den Verzicht auf Abschläge und veränderte Zurechnungszeiten. Es geht aber auch um gleitende Übergänge. Dazu gehört insbesondere die geförderte Altersteilzeit. Das ist eine echte Chance für die, die nicht mehr so gut können, aber auch für die Betriebe, die Menschen sozialverträglich in Rente zu bringen. Da haben wir viel Vertrauen dadurch zerstört, dass wir es einfach haben auslaufen lassen und die Erwerbsminderungsrente im Zusammenhang mit der Rente mit 67 nicht verbessert haben.
Das SPD hat nun das Modell einer „Teilrente“ bei gleichzeitiger Teilzeitbeschäftigung für über 60-Jährige vorgeschlagen. Für wie sinnvoll halten Sie das?
Für Menschen, die normal oder eher wenig verdienen, ist es eigentlich keine gute Option, weil die Ansprüche sich auch reduzieren. Anders sieht es bei denen aus, die gut verdient haben und sich das leisten können. Deswegen habe ich nichts dagegen. Aber die Teilrente wirkt wahrscheinlich nicht für die breite Masse von Arbeitnehmern. Da ist eher die Frage der Altersteilzeit, also ein echter gleitender Übergang, relevant.
Löst sich das Problem der mangelnden Erwerbsbeteiligung Älterer vielleicht bald von allein – Stichwort Fachkräftemangel?
Das glaube ich nicht. Der klassische alte Familienunternehmer, der kümmert sich um seine Leute, auch wenn die irgendwann alt und kaputt sind. Aber für diese ganzen Interimsmanager, die quasi alle fünf Jahre an ihren Zahlen gemessen werden, geht es nicht um Arbeitnehmer, sondern um „human capital“. Die gehen da einfach anders mit um. Und da braucht es gesetzliche Schutzmechanismen. Sinnvoll wäre zum Beispiel ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer, die nicht mehr in ihrem Beruf als Maurer oder im Dreischichtsystem arbeiten können. Denn es gibt genug gesellschaftliche Arbeiten, die getan werden müssen.
Die Koalition plant eine Zuschussrente, die verhindern soll, dass Geringverdiener im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind. Die Kritik daran ist massiv.
Niemand konnte mir bisher erklären, was an diesem Instrument sinnvoll ist und wie es bezahlt werden soll. Man kann ja wollen, dass Frauen in der Rente besser dastehen. Aber dafür eine neue Rentenart einzuführen und überhaupt keinen Schritt zu machen hin zur Armutsbekämpfung im Alter, das erklärt sich mir nicht. Die Bedingungen sind zudem ja unerfüllbar: Man muss erst mal 45 Jahre gearbeitet und 35 Jahre in eine Riester-Rente eingezahlt haben. Aber: Wenn man 45 Jahre lang gearbeitet und 35 Jahre geriestert hat und dann nicht über 850 Euro Rente kommt, dann stimmt etwas im System gar nicht mehr. Da brauche ich auch keine Zuschussrente. Da stimmt etwas bei den Löhnen, den Beiträgen und den Leistungshöhen in der Rentenversicherung nicht. Mit einer solchen Rente legitimiert man im Nachhinein den Niedriglohnsektor.
Aber selbst Durchschnittsverdiener werden in Zukunft nicht mehr viel Rente bekommen, wenn das Sicherungsniveau von derzeit 51 Prozent auf 45 Prozent im Jahr 2025 absinkt.
Wir haben ein Rentensystem, das auf drei Säulen beruht. Wobei eine im Moment, zumindest für Geringverdiener, ein totaler Ausfall ist, das ist die Riester-Rente. Dann stellt sich aber die Frage: Sollten wir eigentlich in Zukunft ein relativ erfolgloses Instrument weiter fördern, oder können wir die Förderung nicht in die erste Säule der Beitragszahlungen stecken, um Altersarmut zu vermeiden?
Das andere Thema der Woche ist die Ost-West-Angleichung der Renten. Die SPD will ein einheitliches Rentensystem in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen. Wie?
Das geht nur einher mit einer ehrlichen Debatte über die Angleichung der Löhne in Ost und West. Es ist nicht in Ordnung, dass es 20 Jahre nach der Einheit noch unterschiedliche Tarifverträge gibt. Wenn man zum Beispiel einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro hätte, dann würde man damit den Verdienst Hunderttausender ostdeutscher Arbeitnehmer deutlich anheben. Da wäre allen mit geholfen: Den Arbeitnehmern, der Rentenversicherung und selbst der Steuerkasse, weil man nicht mehr so viele Aufstocker hätte. Deswegen ist es auch nicht nachvollziehbar, dass man sich dem so verweigert.
Der Transfer des DDR-Rentensystems in das bundesdeutsche Modell wird gemeinhin als Erfolg gewertet. Wo liegen die Schwachstellen?
Man hätte Anfang der 1990er-Jahre gleich ein Rentenüberleitungsabschlussgesetz mitbeschließen müssen, in dem man die vielen komplizierten Einzelfragen sozialpolitisch löst. Denn rentenpolitisch sind die meisten von ihnen nicht mehr zu lösen. Ich habe vorgeschlagen, dafür einen Härtefallfonds einzurichten.
Wem sollte der konkret nutzen?
Zum Beispiel den Geschiedenen der DDR. Wem soll ich denn heute noch, nach all den Jahren, einen Versorgungsausgleich aufdrücken? Der Rentenversicherung? Oder dem ehemaligen Mann? Wie soll das denn gehen? Aber das muss nicht bedeuten, dass es einer ehemals in der DDR geschiedenen Frau schlechtgehen muss. Oder was ist mit der Krankenschwester, die aufgrund der Rentenansprüche, die ihr in der DDR versprochen worden sind und die sie nun verloren hat, in der Grundsicherung landet? Rentenpolitisch kann man da nichts machen. Aber für beide könnte der Härtefallfonds eine Lösung bieten.
Ist die Höherbewertung der ostdeutschen Einkommen heute überholt?
Nein, noch nicht. Es wäre dann überholt, wenn wir zumindest in weiten Tarifbereichen einheitliche Löhne und auch einen gesetzlichen Mindestlohn hätten. Beides gleichzeitig, eine Aufwertung der Renten Ost bei Beibehaltung des Höherwertungsfaktors, ist wohl kaum finanzierbar.
(che)