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Der Vorsitzende der Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Gunther Krichbaum (CDU/CSU), fordert als Konsequenz aus der Griechenland-Krise eine Stärkung der EU-Kommission "in einem entscheidenden Punkt". Um eine Situation wie in Griechenland künftig zu verhindern, schlug Krichbaum in einem am Montag, 3. Mai 2010 erschienenen Interview der Wochenzeitung "Das Parlament" vor, der europäischen Statistikbehörde Eurostat einen direkten Zugriff auf die Haushaltszahlen der Mitgliedstaaten einzuräumen. Eurostat "sollte nicht auf die Zahlen vertrauen müssen, die die Mitgliedstaaten liefern". Die Regel sollte allerdings nur für Staaten gelten, die die EU-Defizitkriterien verletzen. Das Interview im Wortlaut:
Der Bundestag soll in dieser Woche über Finanzhilfen für Griechenland entscheiden. Ist das ein Fass ohne Boden?
Das könnte es werden, wenn wir jetzt nicht rasch handeln. Daher ist oberste Priorität, dass sich die Finanzmärkte wieder beruhigen und Griechenland in die Lage versetzt wird, sich am Markt zu refinanzieren.
Welche Rolle spielt der Bundestag?
Bei derart wesentlichen Entscheidungen muss das Parlament schon aus Verfassungsgründen beteiligt werden. Um eines klarzustellen: Es wird kein Geld aus dem Bundeshaushalt nach Griechenland fließen, sondern Deutschland bürgt für den KfW-Kredit.
Viele Menschen sind aber gegen Finanzhilfen für Griechenland. Können wir uns diese Solidarität überhaupt leisten?
Ja, denn wir dürfen nicht vergessen, dass diese Hilfsmaßnahmen auch in unserem ureigensten Interesse erfolgen. Ein finanzpolitischer Dominoeffekt würde auch uns treffen. Wir müssen immer auch das europäische Gesamtinteresse im Blick haben und dafür sind rasche Hilfen, die von einer möglichst breiten Mehrheit im Parlament getragen werden, alternativlos.
Was schlagen Sie konkret vor, um eine Situation wie in Griechenland in Zukunft zu verhindern?
Wir müssen die Europäische Kommission in einem entscheidenden Punkt stärken: Die europäische Statistikbehörde Eurostat muss auf die Haushaltszahlen der Mitgliedstaaten direkt zugreifen können. Sie sollte nicht auf die Zahlen vertrauen müssen, die ihr die Mitgliedstaaten liefern. Denn diese können richtig oder falsch sein, wie man am Beispiel Griechenland sieht. Das ist der Grund, weshalb ich den Vorschlag von Olli Rehn begrüßt habe. Ich bin allerdings für eine Einschränkung: Die Regel sollte nur für Staaten gelten, die die EU-Defizitkriterien verletzen.
Welche Sanktionen könnten Sie sich vorstellen?
Für mich war es nie einleuchtend, warum ein Staat, der die Euro-Defizitkriterien aufgrund finanzieller Schwierigkeiten verletzt, zusätzlich mit einer Strafzahlung belangt werden soll. Darin erkenne ich keinen Sinn, weil es die Situation nur noch verschärft. Eine Möglichkeit, tatsächlich Druck auszuüben, wäre für mich, die Stimmrechte in der Euro-Gruppe zeitweise zu suspendieren. Ein Mitgliedstaat, der keinen Beitrag zur Stabilität des Euro liefert, sondern diese gefährdet, müsste dann damit rechnen, dass er von der weiteren Mitbestimmung für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen wird.
EU-Währungskommissar Olli Rehn hat vor kurzem vorgeschlagen, dass die EU-Kommission die Haushalte der Mitgliedstaaten stärker kontrollieren soll. Ist das nicht ein Angriff auf das Budgetrecht der nationalen Parlamente?
Ich warne hier vor reflexartigen Reaktionen. Natürlich wird jeder Parlamentarier darauf hinweisen, dass die Aufstellung und die Kontrolle des Haushalts die Königsdisziplin jedes Parlaments ist. Das muss auch so bleiben. Auf der anderen Seite darf sich so etwas wie in Griechenland nicht wiederholen. Daher muss die Klinge des Stabilitätspaktes geschärft werden. Wir dürfen nicht erst handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und nur hektisch versuchen, den Rettungsring hinterherzuwerfen.
Wäre ein europäischer Währungsfonds, wie ihn Finanzminister Schäuble jüngst vorgeschlagen hat, eine Lösung?
Der Sprung zu einem europäischen Währungsfonds würde nicht ohne eine Vertragsänderung gehen. Die letzten Erfahrungen mit einer Vertragsänderung - dem Vertrag von Lissabon - waren ernüchternd. Der Prozess hat etwa zehn Jahre gedauert und forderte beträchtliche Anstrengungen. Deshalb sollten wir schauen, dass wir zunächst Maßnahmen finden, die unterhalb der Schwelle zur Vertragsänderung liegen.
Der Vertrag von Lissabon ist seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft. Merken Sie das bereits in Ihrer täglichen Arbeit?
Unsere Rechte als Parlamentarier wurden nicht nur durch den Lissabon-Vertrag, sondern vor allem auch durch die deutschen Begleitgesetze zum Vertrag entscheidend gestärkt. Mehr Rechte bedeutet aber auch mehr Verantwortung, die wir jetzt wahrnehmen müssen.
Sind die Abgeordneten selbstbewusster geworden?
Ja, das größere Selbstbewusstsein zeigt sich beispielsweise darin, dass der Bundestag verstärkt Stellungnahmen zu europäischen Themen abgibt. Ein anderes Beispiel: EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat noch vor seiner Anhörung im Europäischen Parlament bei uns im Europaausschuss seine Vorstellungen von seinem zukünftigen Amt erläutert.
Ist das nicht ein Dilemma: Der Bundestag will die Europapolitik aktiv mitgestalten, die Regierung soll aber bei europäischen Verhandlungen nicht zu stark eingeschränkt werden?
Es ist richtig und wichtig, dass ein Parlament der Regierung auf die Finger schaut, schließlich kontrolliert das Parlament die Regierung und nicht umgekehrt. Auf der anderen Seite darf das Parlament nicht vergessen, dass die Regierung in Europa auch handlungsfähig bleiben muss.
Was heißt das in der Praxis?
Wir wissen, dass die Regierung bei Verhandlungen in Brüssel oft Kompromisse eingehen muss. Da wäre es kontraproduktiv, wenn sie sich bei jedem Schritt ans Telefon hängen müsste, um die Zustimmung aus Berlin einzuholen. Wenn die Regierung aber von unserer Linie abweicht, muss sie dem Parlament Rede und Antwort stehen.
Nach den neuen Begleitgesetzen hat die Bundesregierung den Bundestag möglichst früh über EU-Vorhaben zu informieren. Wie zufrieden sind Sie damit bislang?
Wir haben natürlich schon vor dem Lissabon-Vertrag Informationen von den Bundesregierung bekommen und waren damit in 80 Prozent der Fälle zufrieden. Vieles ist jetzt aber verbindlicher geregelt: So erhalten wir beispielsweise die Berichte aus den so genannten Ratsarbeitsgruppen, die sehr wichtig sind, weil dort neue Vorschläge für europäisches Recht vorbereitet werden.
An Informationen mangelt es nicht?
Die größte Herausforderung ist doch, bei all dieser Informationsflut die richtigen Informationen herauszufiltern. Theoretisch könnte jeden Tag ein Lkw voller Papiere aus Brüssel und Straßburg vorfahren. Es ist deshalb wichtig, dass Fachleute im Bundestag vorsortieren, welche Dokumente für unsere Beratungen relevant sind.
Bevor ein Dokument vorliegt, ist in Brüssel aber schon viel passiert. Wie informieren Sie sich im Vorfeld?
Der Bundestag hat ein eigenes Verbindungsbüro in Brüssel. Es setzt sich zur Hälfte aus Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung und der Fraktionen zusammen. Sie beobachten dort: Was wird in Europa gesprochen, was wird gedacht, in welche Richtungen gehen die Diskussionen? Manche bezeichnen das als "Frühwarnsystem". Ich halte wenig von dem Begriff, weil er den Eindruck vermittelt, als müssten wir bei allem gewarnt werden, was aus Europa kommt. Das ist der falsche Grundsatz. Europa muss gestaltet werden, Deswegen wäre "Frühwecksystem" passender.
Wenn ein Bürger auf Sie zukommt, der - vielleicht auch wegen der Griechenland-Krise - an Europa zweifelt und Sie nach dem Sinn der Europäischen Union fragt: Was antworten Sie ihm?
Wir hatten noch nie eine so lange Friedensperiode auf diesem Kontinent, wir haben das Glück, heute wirklich von Freunden umgeben zu sein. Europa hat aber nicht nur Frieden, sondern auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand gebracht. Vielleicht gehen wir mit alldem manchmal zu selbstverständlich um.