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Mit der Vernehmung von drei Verfassungsschützern aus Sachsen setzt der Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zur der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten soll, seine Suche nach Versäumnissen der Sicherheitsbehörden dieses Bundeslands in der sogenannten NSU-Affäre am Donnerstag, 21. März 2013, fort. Die Sitzung unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) beginnt um 10 Uhr im Europasaal 4.900 des Paul-Löbe-Hauses in Berlin.
Manches deutet darauf hin, dass die Geheimdienstler aus Dresden die Verantwortung für die Erfolglosigkeit der Suche nach dem Anfang 1998 in Jena verschwundenen und dann in Chemnitz und Zwickau untergetauchten Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe vor allem bei den Thüringer Kollegen verorten dürften.
Am 14. März hatten bereits Vertreter des sächsischen Landeskriminalamts auf die "Federführung" der Thüringer Polizei bei der Fahndung nach der Jenaer Gruppe verwiesen, aus der später der NSU wurde.
Als Zeugen geladen sind Joachim Tüshaus, von 1993 bis 2004 beim Dresdner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) für Rechtsextremismus zuständig, dessen Nachfolger Olaf Varenhold und Reinhard Boos, der im Sommer 2012 im Zuge der NSU-Affäre von seinem Amt als Präsident des sächsischen Geheimdiensts zurückgetreten ist.
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe konnten von 1998 bis zum Auffliegen des NSU im November 2001 unerkannt in Chemnitz und Zwickau leben. Die Zelle wird verdächtigt, zwischen 2000 und 2007 neun türkisch- oder griechischstämmige Kleinunternehmer und eine deutsche Polizistin erschossen zu haben. Zudem sollen sie für zahlreiche Banküberfälle besonders in Sachsen verantwortlich sein.
Die Bundestagsabgeordneten treibt die Frage um, wieso das Trio über so viele Jahre in dem südöstlichen Bundesland unentdeckt bleiben konnte, zumal bei der Suche nach der untergetauchten Gruppe auch Abhöraktionen und Observationen stattfanden.
Eine Rolle spielen dürften bei der Befragung von Boos die Umstände seines Rückzugs von der LfV-Spitze. Anlass für diesen Schritt war das Auftauchen von zuvor unbekannten Protokollen über eine Telefonüberwachung im Umfeld der Jenaer Zelle, wovon man sich Informationen über deren Aufenthaltsort erhofft hatte. Unmut im NSU-Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags hatte auch das Schreddern von Akten ausgelöst.
Stärker als den Rücktritt von Boos wird das Bundestagsgremium indes wohl die Frage interessieren, wieso die Sicherheitsbehörden dem Trio weder in Chemnitz noch in Zwickau auf die Spur kamen. Vor dem sächsischen Ausschuss hatte der Ex-Chef des Dresdner Geheimdiensts jüngst erklärt, bis zur NSU-Enttarnung im Herbst 2011 hätten in Sachsen nur wenige vage Hinweise auf den Verbleib von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe vorgelegen. Es hätten auch keine Indizien für die These existiert, dass in dem Bundesland Rechtsterroristen aktiv sein könnten.
Kritik übte Boos bei seiner Zeugenvernehmung in Dresden am Thüringer Verfassungsschutz, der wesentliche Informationen zu der Jenaer Gruppe nicht nach Sachsen übermittelt habe. Im Dresdner Untersuchungsausschuss wird jedoch bemängelt, dass man sich in Sachsen bei der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe offenbar zu sehr auf Informationen aus Thüringen gestützt und nicht genügend eigene Aktivitäten entwickelt habe.
Im Landtag konzedierte Boos, dass die Zusammenarbeit der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden auf Bundes- und Länderebene mangelhaft gewesen sei. Es sei versäumt worden, nach dem Abtauchen der Jenaer Gruppe alle bei den diversen Ämtern vorhandenen Erkenntnisse umfassend zusammenzuführen. Offenkundig gab es also kein vollständiges Lagebild.
Näheres wissen wollen dürften die Bundestagsabgeordneten am 21. März von den Zeugen wohl auch über Medienberichte, nach denen der sächsische Geheimdienst eine gegen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und mehrere potenzielle Helfer bereits im Jahr 2000 gestartete Abhörmaßnahme unter dem Titel "Terzett" erst Ende 2010 beendet haben soll – anscheinend ohne Erfolg. Sollten diese Berichte stimmen, wäre nach dem als gefährlich eingestuften Trio noch viele Jahre nach seinem Abtauchen konkret gefahndet worden. (kos/15.03.2013)
Zeit: Donnerstag, 21. März 2013, 10 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900
Interessierte Besucher können sich im Sekretariat des Unterausschusses unter Angabe des Vor- und Zunamens sowie des Geburtstags und des Datums der öffentlichen Sitzung anmelden (E-Mail: 2.untersuchungsausschuss@bundestag.de, Fax: 030/227-30084). Zur Sitzung muss ein Personaldokument mitgebracht werden.
Bild- und Tonberichterstatter können sich beim Pressereferat (Telefon: 030/227-32929 oder 32924) anmelden.