Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > April 2012 > Ex-Chef der Soko Bosporus plädiert für zentrale Ermittlungen
Geier erklärte, er halte in einem länderübergreifenden Fall mit solchen Dimensionen eine „zentrale Ermittlungsführung für besser“. Dies sei jedoch 2004 vom Bundeskriminalamt (BKA) abgelehnt worden. Die Polizei habe aber über Ländergrenzen hinweg im Rahmen einer bundesweiten Steuerungsgruppe unter Einbeziehung des BKA eng kooperiert. Auf eine entsprechende Frage von SPD-Obfrau Eva Högl betonte der Zeuge, die Soko Bosporus habe nie versucht, den Generalbundesanwalt aus den Ermittlungen herauszuhalten.
Detailreich erläuterte Geier, welch gigantischer Aufwand zur Aufklärung der damals rätselhaften, zwischen 2000 und 2006 ohne Bekennerschreiben verübten Morde an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern betrieben wurde; der NSU wird zudem für die Tötung einer Heilbronner Polizistin 2007 verantwortlich gemacht. Bei den Ermittlungen habe man schwerpunktmäßig nach Hintergründen etwa im Drogenmilieu, in der Organisierten Kriminalität, bei links- oder rechtsextremistischen türkischen Gruppen oder bei ausländischen Geheimdiensten gesucht. Verdeckte Ermittlungen hätten auch im Umfeld der Opfer stattgefunden.
Nach den Worten des Zeugen wurden über 30 Millionen Daten unterschiedlichster Herkunft herangezogen. Unter anderem seien Zehntausende von Daten über Reisebewegungen und von Visaunterlagen einreisender Türken ausgewertet worden. Nach Geiers Angaben wurden Kreditkarten, Hotelübernachtungen, Bilder von Überwachungskameras, Angaben aus Melderegistern und Telefonverbindungen massenhaft überprüft. Allein in München seien Hunderte türkischer Kleinunternehmer nach nützlichen Hinweisen befragt worden, so der Zeuge. Der Aufwand zum Aufspüren der Herkunft der Ceska-Tatwaffe war ebenfalls enorm. Selbst die Mitglieder von Nürnberger Schützenvereinen gerieten unter Verdacht und wurden durchleuchtet. Auch wurden über 100 Rasterfahndungen eingeleitet. Nirgends habe sich jedoch „eine heiße Spur“ ergeben.
Gleichwohl erfuhr der Ausschuss, dass die Soko Bosporus am NSU erstaunlich dicht dran war. Laut Geier wurde auch die Theorie von Serientätern entwickelt, der eine Abneigung gegen Türken habe und sich als Rechtsextremist aus dieser Szene zurückgezogen habe, um unter dem Motto „Taten statt Worte“ militant zu agieren. Bei der umfangreichen Überprüfung von Rechtsextremisten, die im Zusammenhang mit Waffen oder Straftaten aufgefallen waren, habe man sich auf Nürnberg als „wahrscheinlichsten“ Verankerungspunkt der Täter beschränkt, wo die meisten Morde verübt wurden. Unions-Obmann Clemens Binninger wollte wissen, ob es keine Kontakte nach Sachsen und Thüringen gegeben habe, wo der NSU beheimatet war. Dazu sagte der Zeuge, man habe neben der Kooperation zwischen den Ermittlerteams noch über viele andere Kanäle in anderen Bundesländern auf die Mordserie aufmerksam gemacht: „Ich wäre froh gewesen, wenn wir Informationen über das Abtauchen des NSU bekommen hätten.“
Viele Fragen aus dem Kreis der Abgeordneten zielten auf Schwachstellen bei der Zusammenarbeit zwischen polizeilichen und geheimdienstlichen Instanzen. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) wollte von Geier erfahren, ob er etwas über eine vom FBI ans BKA übermittelte Analyse wisse, wonach bei der Tötungsserie von einem fremdenfeindlichen Hintergrund auszugehen sei. Dazu der Zeuge: „Das kenne ich nicht.“ Ob es denn „normal“ sei, dass der bayerische Verfassungsschutz erst nach mehrmonatigem Hin- und Her Geiers Team eine Liste mit Nürnberger Rechtsextremisten übermittelt habe, hakte Edathy bei einem anderen Punkt ein. Der Zeuge: „Das ist nicht normal, deshalb haben wir immer wieder nachgebohrt.“ Binninger nannte es ein „Trauerspiel“, dass man beim Verfassungsschutz um Informationen habe betteln müssen.
Nach Geier wollte der Ausschuss noch drei weitere Zeugen vernehmen, u.a. Oberstaatsanwalt Walter Kimmel, dem die Verantwortung für die Ermittlungen zu den fünf Morden oblag, die in Nürnberg und München verübt wurden.
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