Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Datenhandbuch > 1. Bundestagswahlen > 1.13 Überhangmandate
Stand: 31.3.2010
Hat eine Partei in einem Land mehr Wahlkreismandate mittels der Erststimmen erzielen können als ihr nach dem Verhältnis der in diesem Land für alle Parteien abgegebenen Zweitstimmen eigentlich zustehen, so erhält diese Partei die Direktmandate. Damit wird erreicht, dass der Partei die Direktmandate erhalten bleiben. Zugleich erhöht sich die im Bundeswahlgesetz festgesetzte Zahl der Abgeordneten um die Zahl der Überhangmandate.
Von der 1. bis 11. Wahlperiode gab es insgesamt 17 Überhangmandate.
Überhangmandate fielen bei Wahlen zum Deutschen Bundestag in den Jahren 1949, 1953, 1957, 1961, 1980, 1983, 1987, 1990, 1994, 1998, 2002, 2005 und 2009 an. Sieht man von der dritten Wahlperiode (Wahljahr 1957) ab, schieden nach jeder dieser Wahlen direkt gewählte Abgeordnete von Parteien aus, zu deren Gunsten in dem jeweiligen Land Überhangmandate angefallen waren. In der ersten Wahlperiode wurden die Nachfolger noch im Wege der Ersatzwahl bestimmt (§ 15 Bundeswahlgesetz [BWG] 1949). Nachdem das Prinzip der Listennachfolge grundsätzlich auch auf direkt gewählte Bewerber erstreckt worden war (erstmals § 54 BWG 1953; heute § 48 Abs. 1 BWG), wurden die Nachfolger seit der zweiten Wahlperiode (Wahljahr 1953) auch in diesen Fällen aus den jeweiligen Landeslisten berufen. In einem Wahlprüfungsverfahren wurde diese Rechtspraxis erstmals in einem Verfahren beanstandet, das dem angefochtenen Beschluss vorausgegangen ist.
Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 26. Februar 1998 (Aktenzeichen: BvC 28/96; Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 97, S. 317 ff.) u. a. beschlossen:
Verfügt eine Partei in einem Land über mehr Direktmandate als ihr Listensitze zustehen, so wird diese Unterschiedszahl von Sitzen nicht auch von dem Zweitstimmenergebnis getragen […]. Solche Überhangmandate haben nicht im Wege der Anrechnung auf das Sitzkontingent der Liste einen Listensitz verdrängt. In diesen Fällen gibt es daher auf der Liste keine Reservesitze, die durch Rückabwicklung der Anrechnung der Direktmandate wieder aufleben könnten, um einen Listenbewerber nachrücken zu lassen. Für solche Fälle hält die Landesliste daher mitgewählte Ersatzleute nicht vor.
Scheidet ein direkt gewählter Abgeordneter aus dem Bundestag aus und verfügt die Partei dieses Abgeordneten in dem betreffenden Land über ein Überhangmandat, so kann dieser Sitz nicht durch einen Listenkandidaten ersetzt werden. Im Laufe einer Wahlperiode können somit für eine Fraktion oder Gruppe Mandate verloren gehen1.
Der durch § 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 und 5 Bundeswahlgesetz bewirkte Effekt des "negativen Stimmgewichts" kann dazu führen, dass in bestimmten Konstellationen abgegebene Zweitstimmen für solche Parteien, die Überhangmandate in einem Land gewinnen, insofern negativ wirken, als diese Parteien in demselben oder einem anderen Land Mandate verlieren. Umgekehrt ist es auch möglich, dass die Nichtabgabe einer Wählerstimme der zu unterstützenden Partei dienlich ist.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied mit Urteil vom 3. Juli 2008, dass der Effekt des negativen Stimmgewichts die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl verletze. Die Regelung des Bundeswahlgesetzes ist daher, soweit hierdurch der Effekt des negativen Stimmgewichts ermöglicht wird, grundgesetzwidrig. Der Wahlfehler wirkte sich zwar auf die Zusammensetzung des 16. Deutschen Bundestages aus, führt aber nicht zu dessen Auflösung, da das Interesse am Bestandsschutz der im Vertrauen auf die Verfassungsmäßigkeit des Bundeswahlgesetzes zusammengesetzten Volksvertretung überwiegt. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, spätestens bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen.
1 Zur Veränderungen der Fraktionsstärke vgl. die Übersicht Kapitel 5.4 Fraktionsstärke und Fraktionswechsel.
Angaben für den Zeitraum bis 1990 s. Datenhandbuch 1949 – 1999, Kapitel 1.19.