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Das Oberbergische Land gilt als Regenloch. An diesem Tag macht der Landstrich in Nordrhein-Westfalen seinem Ruf alle Ehre. In Wipperfürth gießt es in Strömen. Windböen peitschen über den Marktplatz und zerren an den Ständen der Händler, die hier rund um den Brunnen Gemüse, Obst, Fisch und sogar Häkeldeckchen anbieten. Besonders wacklig wirkt ein Stand in weiß- orange: Direkt neben einem Café hat die CDU zwei Sonnenschirme und ein Bistrotischchen zu einem Canvassing-Stand drapiert.
Darunter drängen sich tapfer lächelnd sechs Lokalpolitiker und ein Bundestagsabgeordneter: Klaus-Peter Flosbach (CDU). In Berlin kennen den 60-Jährigen – der sich gerade mit einem violett gepunkteten Schirm bewaffnet in den Regen vorwagt, um einer Passantin eine gelbe Rose und ein Flugblatt in die Hand zu drücken – vor allem Politikinteressierte als finanzpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, versierten Steuerrechtsfachmann und Euro-Experten.
In seinem Wahlkreis, dem Oberbergischen Kreis, hingegen kennen ihn viele als "den Klaus-Peter". Als er kurz vor halb neun am Morgen seinen Geländewagen in der Wipperfürther Altstadt parkt und sich zu Fuß auf die Suche nach einer Parkuhr macht, muss er mehrfach stehen bleiben, um zu grüßen und Hände zu schütteln.
In dieser Stadt zu sein ist für den 1. FC Köln-Fan Flosbach stets ein Heimspiel: Auch wenn er schon seit mehr als 30 Jahren mit seiner Frau, einer Anwältin für Familienrecht, und den drei inzwischen erwachsenen Söhnen in Waldbröl lebt – hier wurde er geboren, wuchs nur wenige Meter entfernt als eines von vier Kindern des Lebensmittelhändlers Flosbach in der Marktstraße auf. "Da drüben in der Kirche war ich Messdiener", erzählt er gutgelaunt und zeigt hinüber zur Pfarrkirche St. Nikolaus, deren Kirchturm man gut vom Canvassing-Stand aus sehen kann.
Auch mit einem anderen Gebäude am Marktplatz verbindet er Erinnerungen: dem Rathaus. Drei Jahre, von 1979 bis 1982, gehörte er dem Stadtrat an. Zu dieser Zeit war er CDU-Kreisvorsitzender. Doch mit drei kleinen Kindern zu Hause blieb nicht genug Zeit für die ehrenamtliche Politik. Der diplomierte Betriebswirt machte "Politikpause" und konzentrierte sich auf den Beruf: 13 Jahre arbeitete er bei einem Finanzunternehmen, 1992 machte er sich als Wirtschaftsberater selbstständig. Doch schon 1989 kehrte er als Schatzmeister zurück in die Oberberger CDU – seine politische Heimat seit fast 40 Jahren.
"Einen Tag vor der Wiederwahl Willy Brandts (SPD) zum Bundeskanzler, am 18. November 1972, bin ich eingetreten", erinnert er sich. 1999 wurde Flosbach Mitglied im Kreistag, 2002 zog er schließlich per Direktmandat in den Bundestag ein. Schon 1998 hatte er kandidiert, war aber gegen Friedrich Julius Beucher unterlegen. Dem einzigen SPD-Abgeordneten, der es jemals geschafft hat, den als "tiefschwarz" geltenden Wahlkreis für sich zu gewinnen.
Es ist ein dicker Strauß weißer und gelber Rosen, die Heribert Berster, stellvertretender Wipperfürther Bürgermeister, Flosbach gerade anreicht. Dass der Bundestagsabgeordnete sich Zeit nimmt und "an der Basis Präsenz zeigt", gefällt dem gemütlich wirkenden Vollbartträger. Am Tag zuvor ist Flosbach leicht gebräunt von einer viertägigen Delegationsreise aus Indonesien zurückgekehrt, wohin er zusammen mit anderen Parlamentariern und Wirtschaftsvertretern die Bundeskanzlerin begleitet hatte.
Heute steht er mit einer Wachsjacke unter einem triefnassen Sonnenschirm und zeigt stolz sein Smartphone herum. Angela Merkel, in deren Nähe er im Flieger nach Jakarta saß, hat für seinen Sohn einen Video-Geburtstagsgruß aufgenommen. "Herzlichen Glückwunsch! Du hast übrigens einen ganz tollen Papa!"
Der Meinung sind offenbar auch die Lokalpolitiker. Sie sind froh, dass Flosbach zum Canvassing gekommen ist, vor allem, weil das Flugblatt, das sie neben den Rosen verteilen, trotz Euro-Krise für Vertrauen in die europäische Gemeinschaftswährung wirbt. Da passe es gut, dass ein ausgewiesener Finanzexperte dabei sei. "Für uns als Kommunalpolitiker ist es manchmal sehr schwer, den Leuten zu erklären, was da eigentlich in der Krise passiert und wie man den Euro retten kann", sagt Margit Ahus, die seit über 20 Jahren Stadträtin ist und hauptberuflich die CDU-Kreisgeschäftsstelle in Gummersbach leitet.
Aber auch Flosbach gibt zu, dass die "30 Seiten Pressespiegel", die er täglich dazu auf seinen Schreibtisch bekommt, verwirren können. Die Eurorettung ist nicht nur in Berlin zum Thema Nr. 1 für Flosbach geworden. Regelmäßig ist der Abgeordnete in seinem Wahlkreis unterwegs, um zu erklären, weshalb die Gefahr trotz mehrerer Schutzschirme noch immer nicht gebannt ist. "Das Thema beschäftigt die Leute sehr", sagt er.
Auf dem Markt in Wipperfürth allerdings hält sich der Gesprächsbedarf in Grenzen: "Darf ich Ihnen eine Rose schenken – und hier noch ein paar Infos zum Euro dazu", ruft Flosbach einer eiligen Mittfünfzigerin zu, die ihren Einkaufskorb offenbar schnell ins Trockene bringen will. "Der Euro – ach....", seufzt sie. Die Blume nimmt sie trotzdem.
9:15 Uhr. Alle 200 Rosen sind verschenkt, die Canvassing-Truppe löst sich auf. Klaus-Peter Flosbach macht sich mit dem Auto auf den Weg zurück zur CDU-Kreisgeschäftstelle. Um 10 Uhr hat er dort seinen nächsten Termin: Ein Student aus Duisburg will ihn für seine Masterarbeit über das veränderte Selbstverständnis des Bundestages in der Euro-Krise befragen. Wieder also dieses Thema – es lässt ihn nicht los.
Vorerst aber liegen 14 Kilometer Fahrt vor ihm. Viel auf Achse zu sein, gehört zur Wahlkreisarbeit für ihn dazu. Der Oberbergische Kreis ist groß, rund 80 Kilometer misst er vom nördlichsten bis zum südlichsten Zipfel. "Pro Jahr kommen da schon so 25 000 Kilometer zusammen", sagt Flosbach.
9:25 Uhr. Flosbach dreht plötzlich das Radio lauter. "Radio Berg" ist auf Sendung. Der Moderator kündigt betont gutgelaunt eine Umfrage unter bergischen Politikern an und verrät: "Zum Ferienbeginn haben wir unter anderem Klaus-Peter Flosbach gefragt, ob er wegfährt – nein, hat er uns gesagt, er bleibt hier und macht allenfalls eine Radtour durchs Oberbergische." Flosbach verzieht kurz das Gesicht: "Die haben mich gestern am Flughafen interviewt, als ich aus Berlin zurückkam", erklärt er und stellt das Radio wieder leiser.
Dass für ihn der Urlaub in diesem Sommer in heimischen Gefilden stattfinden wird, hat einen bestimmten Grund: Die Euro-Krise. Der Bundestag wird zu einer Sondersitzung zusammenkommen müssen, um über Hilfen aus dem europäischen Rettungsschirm EFSF für Spaniens marode Banken abzustimmen. "Ich bereite meine Rede aber für die nächste Woche vor", sagt Flosbach. Er behält recht: Mitte Juli ist es soweit. Der Bundestag billigt das Hilfspaket.
9.50 Uhr. Sein brauner Geländewagen rollt auf den Parkplatz vor der Geschäftsstelle. Rasch eilt Flosbach in sein Wahlkreisbüro im ersten Stock, wo Sekretärin Simon bereits Kaffee gekocht und belegte Brötchen bereitgestellt hat. Den quadratischen Konferenztisch in der Mitte ziert demonstrativ eine schwarz-rot-goldene Tischflagge, die Schreibtischecke ein überdimensionales Foto von Konrad Adenauer: Nachdenklich schaut der CDU-Gründervater und allererste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland über einen Stapel Akten hinweg in die Ferne. Dagegen wirkt Flosbachs Schreibtisch geradezu jungfräulich. "Ich arbeite ja meistens gar nicht hier, sondern von meinem Büro in Waldbröl aus", erklärt er.
10 Uhr. Der Student im schwarzen Anzug ist pünktlich, gut vorbereitet, aber nervös. Ohne viele Floskeln packt er sein Aufnahmegerät auf den Tisch, und das Interview beginnt. Die von Frau Simon liebevoll auf einem Tablett drapierten Brötchen rührt er nicht an. Stattdessen fragt er nach dem Ausbruch der Krise, erkundigt sich nach dem Selbstverständnis des Parlaments und der Verantwortung des einzelnen Abgeordneten.
"Hat sich die Arbeit des Bundestags verändert", will er schließlich wissen. Flosbach kaut an seinem Kochschinkenbrötchen, wirkt aber konzentriert. Er kennt die Materie, antwortet präzise, plaudert sogar dann und wann ein bisschen aus dem Nähkästchen. Nach 45 Minuten ist das Interview beendet und der junge Mann glücklich. Leichtes Spiel für Flosbach – anders der Termin, der nun folgt.
10:55 Uhr. Gleich sollen "die Milchbauern" kommen, fünf Vertreter der nordrhein-westfälischen Sektion des Bundesverbands der Milchviehbauern. "Der vertritt eine deutlich andere Position als der Bauernverband", sagt Flosbach. Sie wollten einen stärkeren Eingriff der Politik in die Milchwirtschaft, erklärt er, während Frau Simon den Tisch neu mit Kaffeetassen und Tellern eindeckt. "Sie verlangen mehr oder weniger, dass wir ihnen feste Preise garantieren. Aber da sind wir natürlich anderer Meinung." Konfliktstoff berge zudem die Tatsache, dass der Landesvorsitzende des BDM seit einiger Zeit im Kreisvorstand der Grünen in Oberberg sitze. "Da kann es gleich heftig werden."
Pünktlich um 11 Uhr sind die Bauern da. Die Stimmung ist angespannt. An Brötchen und Kaffee ist nicht zu denken. Der Wortführer der Landwirte, Landesvorsitzender Michael Braun, kommt gleich zur Sache: "Wir würden mit Ihnen gern über verschiedene Punkte sprechen, die aus unserer Sicht falsch laufen", sagt er, während die anderen mit verschränkten Armen dasitzen und schweigen. Flosbach, der sich Stift und Block geholt hat, nickt und hört zu, wie die Bauern sinkende Milchpreise monieren, hohe Energiekosten und eine verfehlte Agrarpolitik in Berlin.
11:30 Die Diskussion wird plötzlich hitzig. Es geht um den NRW-Landtagswahlkampf. Bitter beklagen sich die Milchviehhalter, dass die Oberberger CDU eine Podiumsdiskussion des BDM gemieden, dafür aber an Veranstaltungen des Bauernverbands teilgenommen habe. "Und dabei war die CDU immer meine Partei", empört sich ein junger Bauer. Flosbach bewahrt trotzdem Ruhe und versucht, herauszuhören, welche politischen Forderungen die Bauern haben und was sie konkret von ihm erwarten.
"Ich werde Ihre Anliegen mit Frau Aigner besprechen", verspricht er schließlich. Damit sind die die Bauern einverstanden. Als Flosbach dann noch ein nächstes Treffen anregt und aus dem Effeff die Telefonnummer des Verbandsvorsitzenden parat hat – "7733, das war doch die Nummer, oder?" – da wirken die Bauern fast zufrieden. Frau Simon jedoch ist es nicht: Ihre belegten Brötchenhälften stehen immer noch unberührt auf dem Tisch.
12 Uhr. Mittagspause in einem Bistro um die Ecke. Bei Sauerkrautauflauf und Salat besprechen Flosbach und Margit Arhus, die nach dem Canvassing in Wipperfürth auch in der Kreisgeschäftsstelle eingetroffen ist, die Termine des Tages. Um 13.15 sitzt Flosbach wieder im Auto. Zum ersten Mal an diesem Tag hat der Regen aufgehört.
Nun geht es bei Sonnenschein vorbei an Fichtenwäldern, Kuhweiden und kleinen Ortschaften nach Reichshof-Wenrath zum Fahrradreifenhersteller Schwalbe. Mit Geschäftsführer Holger Jahn – der aussieht, als teste er alle seinen Rennradreifen höchstpersönlich – ist er zu einer Betriebsbesichtigung verabredet. Ein klassischer Termin der Kontaktpflege. Als Abgeordneter, dem die Unternehmen in seinem Wahlkreis am Herzen liegen, will sich Flosbach nach der wirtschaftlichen Situation erkundigen. Flosbach wirkt entspannt. Nach dem Ärger mit den Bauern ein angenehmerer Termin für den Politiker.
Punkt 14 Uhr trifft Flosbach im schmucken Gewerbegebiet des Ortes Wenrath ein, wohin Schwalbe vor gut zehn Jahren den Hauptfirmensitz verlegt hat. Vor dem Eingang Händeschütteln: Auch Vertreter der örtlichen CDU und der Mittelstandsvereinigung sind zum Termin erschienen. Nach einem Cappuccino im repräsentativen Besprechungsraum folgt die Besichtigung des Logistikzentrums.
Rolltore öffnen sich, Gabelstabler sausen umher, beeindruckt folgt die Gruppe dem Geschäftführer im Gänsemarsch durch riesige Hallen und Korridore, voller Regale, in denen sich Reifen und Schläuche bis zur Decke stapeln. Hier und da bleibt Flosbach stehen, fragt nach Verkaufs- und Exportzahlen oder lässt sich Besonderheiten in der Beschaffenheit des Kautschuks erklären, den das Unternehmen für die Produktion verwendet.
15 Uhr. Flosbach verabschiedet sich. Der letzte Termin des Tages führt ihn in den Nachbarort Feld, wo im früheren Familienferienwerk Oberberg ein neues Pflegeheim entstehen soll. Flosbach soll ein paar grüßende Worte zur offiziellen Schlüsselübergabe sprechen.
Als er ankommt, sind die örtlichen Honoratioren und ein Fotograf schon da, um den Moment festzuhalten. Doch da klingelt Flosbachs Mobiltelefon. Es ist sein Berliner Büro. Ob er nicht noch kurz ein Statement für das Handelsblatt zu den Finanzhilfen für die spanischen Banken abgeben könne? Flosbach kann. Auch im kleinsten oberbergischen Dorf, zwischen Kuhweiden und Wald, ist die große Politik wieder ganz nah. Und mit ihr die Euro-Krise. (sas)