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Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, SPD-Obfrau Eva Högl, Vorsitzender Sebastian Edathy, CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger © DBT/Melde
Die Verhinderung einer neuen Mordserie sei wichtiger als der Schutz der Klarnamen von V-Leuten, betonte am Donnerstag, 18. Oktober 2012, Sebastian Edathy als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin zwischen 2000 und 2007 durchleuchten soll.
Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hingegen sagte, dem Gremium würden alle Unterlagen zur NSU-Affäre bis auf V-Mann-Klarnamen übermittelt, deren Nennung keine Vorteile für die Arbeit des Ausschusses bringe. Der Staatssekretär, für den der Einsatz von V-Leuten in extremistischen Milieus "unverzichtbar" ist, verwies auf ein "Spannungsverhältnis" zwischen parlamentarischer Aufklärung und dem Quellenschutz aus Gründen des Staatswohls.
Edathy indes unterstrich, angesichts der Mordserie sei das Aufklärungsinteresse höher zu bewerten als Vertraulichkeitszusagen an Informanten. Es genüge nicht, so der SPD-Abgeordnete, auf die Tätigkeit einiger V-Leute im Umfeld des NSU zu verweisen: "Da muss mehr Butter bei die Fische." Aus Sicht Fritsches soll geprüft werden, wie der Einsatz von V-Leuten "optimiert" und die parlamentarische Kontrolle gestärkt werden kann.
Zum Auftakt der Zeugenvernehmung kritisierte Edathy, dass Fritsche 2003 als Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) die Existenz einer "braunen RAF" sehr "apodiktisch" verneint habe. Damals hatte Fritsche erläutert, es gebe keine Hinweise auf eine Gruppe in der rechtsextremistischen Szene nach dem Muster der RAF, die sich etwa über Raubüberfälle finanziert hatte.
Zu den drei 1998 untergetauchten Thüringer Bombenbauern, die im Herbst 2011 als NSU-Trio aufflogen, hatte er angemerkt, sie hätten – "soweit erkennbar" – keine Gewalttaten begangen. Diese Bewertung von 2003 habe dem damaligen Kenntnisstand entsprochen, verteidigte sich der Zeuge. Auch für eine Prüfung von seinerzeit fünf ungeklärten Banküberfällen in Sachsen und Thüringen, die heute dem NSU zugerechnet werden, habe er damals keinen Anlass gesehen: "Bundesweit kommt es immer wieder zu solchen Überfällen."
In einem einleitenden Referat warnte der Staatssekretär vor einem "Skandalisierungswettbewerb" bei der NSU-Affäre, mit dem "Wissen von heute" werde über die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden "Hohn und Spott" gegossen. Er wehre sich gegen den Vorwurf, es solle etwas "vertuscht" werden und die Regierung lasse es an Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Ausschuss mangeln.
Die Zusammenarbeit seitens der Ministerien gehe vielmehr über die gesetzlichen Vorschriften hinaus. Fritsche räumte Mängel in der "Sicherheitsarchitektur" ein, doch habe das Innenressort bereits eine Reihe von Maßnahmen zur besseren Bekämpfung des Rechtsterrorismus ergriffen. Der Zeuge: "Die Sicherheitsbehörden sind weder auf dem einen noch auf dem anderen Auge blind."
Es habe ihn "fassungslos" gemacht, so Fritsche, als er im Juni dieses Jahres erfahren habe, dass wenige Tage nach der NSU-Enttarnung am 4. November 2011 im BfV am 11. November Akten vernichtet wurden. Diese Unterlagen standen im Zusammenhang mit einem Spitzeleinsatz beim rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz". Der Zeuge: "Das Fehlverhalten eines Referatsleiters hat das BfV in Verruf gebracht."
Edathy wollte wissen, warum das Innenministerium erst im Juli 2012 und nicht sofort nach dem Auffliegen des NSU einen Stopp jeder Vernichtung von Akten angeordnet habe. Fritsche entgegnete, im November 2011 habe es dafür keinen Anlass gegeben, da niemand mit einem Schreddern gerechnet habe.
Nach Fritsche wollte der Ausschuss Hans-Georg Engelke vernehmen, der als Sonderermittler die Aktenvernichtung im BfV untersucht hat. Im öffentlichen Teil des an sich geheimen Berichts heißt es, eine "etwaige Vertuschungsabsicht" als Motiv des Schredderns sei auszuschließen. Der Referatsleiter, so Engelke, habe vielmehr "Nachfragen, Wiedervorlagen und Prüfarbeiten" zu Akten vermeiden wollen, die ohnehin bereits unter Löschungsfristen gefallen wären.
Engelke stieß indes auf fast 300 weitere Akten zum Rechtsextremismus, die von diversen BfV-Mitarbeitern nach dem 4. November ebenfalls vernichtet wurden. Laut Bericht liege in den meisten Fällen keine Verbindung zum NSU-Umfeld vor. Und dort, wo es solche Querbezüge gebe, existierten keine Hinweise auf eine "Verheimlichungsabsicht". Vor Engelkes Anhörung äußerten jedoch mehrere Fraktionsobleute Zweifel an der Bewertung des Sonderermittlers. (kos/18.10.2012)