Die Enquete hat ihre Arbeit nach gut zweieinhalb Jahren fertiggestellt. Sie verabschiedete in ihrer letzten Sitzung am 28. Januar 2013 drei Zwischenberichte mit Handlungsempfehlungen und den Schlussbericht. Unter anderem hat die Kommission empfohlen, einen ständigen Bundestagsausschuss zum Thema Internet und digitale Gesellschaft einzurichten.
Die Tagesordnung der letzten Sitzung war lang: Die Beratung und Verabschiedung von nicht weniger als drei Zwischenberichten und dem Schlussbericht standen in der letzten Sitzung der Internet-Enquete unter dem Vorsitz von Axel E. Fischer (CDU/CSU) an.
Einstimmige Handlungsempfehlungen zu Internationales und Internet Governance
Zunächst befassten sich die Mitglieder mit dem Bericht zum Thema Internationales und Internet Governance. Offen waren hier nur noch die Handlungsempfehlungen; die Bestandsaufnahme hatte die Kommission bereits in ihrer vorigen Sitzung zwei Wochen zuvor verabschiedet. Nach kurzer Diskussion sprachen sich die Mitglieder einstimmig für die vorgelegten gemeinsamen Handlungsempfehlungen aus. Die Kommission regt darin die Ausrichtung eines Internet Governance Forums (IGF) in Deutschland an, um das Thema Internet Governance auch hierzulande mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Eine weitere Handlungsempfehlung betrifft die finanzielle Beteiligung Deutschlands an den Treffen des IGF. Um Internationales und Internet Governance besser ressortübergreifend koordinieren zu können, spricht sich die Kommission auch in Verbindung mit dem bereits empfohlenen Bundestagsausschuss für Internet und digitale Gesellschaft dafür aus, eine zentrale Internetkoordinierungsstelle in der Bundesregierung zu schaffen.
Unterschiedliches Verbraucherleitbild
Im Anschluss berieten die Mitglieder das Thema Verbraucherschutz. Hier lagen die Positionen weiter auseinander. Während die Bestandsaufnahme weitgehend unstreitig ausfiel, war es der Projektgruppe nicht gelungen, gemeinsame Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Es sei "sehr kontrovers in der Sache diskutiert" worden, sagte die Sachverständige und Projektgruppenvorsitzende Cornelia Tausch. Habe man bei der Bestandsaufnahme noch in weiten Teilen durch die neutrale Gegenüberstellung der Positionen viele Übereinstimmungen erreichen können, sei dies bei den Handlungsempfehlungen nicht mehr möglich gewesen. Grund dafür ist aus ihrer Sicht auch das unterschiedliche Verbraucherleitbild. Diesen Eindruck bestätigte Halina Wawzyniak (Die Linke). Es gebe eben nicht nur diejenigen, die informiert seien und mit dem Internet umzugehen wüssten. Rund ein Drittel sei unsicher und fühle sich schlecht informiert, sagte Wawzyniak. Aufgabe der Politik müsse es sein, diese Personen durch gesetzliche Maßnahmen zu schützen. Der Sachverständige Dr. Wolf Osthaus nannte es hingegen "Panikmache", wenn in dem Text nur auf die 28 Prozent derjenigen verwiesen würde, die Informationsdefizite hätten. Seiner Ansicht nach dürfe nicht nur auf Risiken hingewiesen werden, sondern auch auf die Chancen des Internets.
Das Problem der Massenabmahnungen
Gleichfalls heftig umstritten war die Frage des Umgangs mit Massenabmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen. Das sei für Millionen von Menschen ein "massiv relevantes Problem", sagte Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen). Es sei ein "Armutszeugnis und ärgerlich", dass die Enquete-Kommission hier "nicht sprechfähig ist". Cornelia Tausch erinnerte daran, dass auch die Bundesregierung das Problem erkannt habe. Das angekündigte Gesetz sei jedoch nicht verabschiedet worden. "Der Verbraucher bleibt auf der Strecke", urteilte sie.
Das Thema sei schon Thema in der Projektgruppe Urheberrecht gewesen, erinnerte Wolf Osthaus. Man habe sich daher um eine Darstellung der Sachlage, einschließlich der aktuellen Rechtsprechung bemüht. Dies habe gezeigt, dass sich "viele Dinge lösen", so Osthaus. Die Praktiken unseriöser Inkasso-Unternehmen müssten selbstverständlich begrenzt werden, machte Osthaus deutlich. Gleichzeitig sagte er, Abmahnungen als etablierte außergerichtliche Verfahren zur Klärung von rechtlichen Konflikten dürften "nicht per se ins negative Licht gerückt werden".
Recht auf Datenportabilität
Auch beim Thema Portabilität gehen die Ansichten auseinander. Während in dem Text der Koalition gefordert wird, dass der Verbraucher beim Kauf eines digitalen Werkes darüber informiert werden müsse, ob zum Abspielen etwa eine bestimmte Software benötigt wird oder das Werk nur auf einem Gerät abgespielt werden kann, spricht sich die Opposition für ein gesetzliches Recht auf Datenportabilität aus.
Bei der Abstimmung fanden dann jeweils die von der Koalition formulierten Handlungsempfehlungen eine Mehrheit. Der Bericht zum Verbraucherschutz wird nun zwei Abschnitte mit Handlungsempfehlungen enthalten: Die mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommenen Formulierungen einerseits sowie die davon abweichenden Texte der Opposition andererseits. Diese gehen als Sondervotum in den Bericht ein.
Diskussion um öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet
Im nächsten Teil der Sitzung ging es um den Zwischenbericht der Projektgruppe Kultur, Medien, Öffentlichkeit. Auch hier war die Bestandsaufnahme in weiten Teilen konsensual, die Handlungsempfehlungen hingegen an mehreren Stellen streitig. Vor allem zum Punkt öffentlich-rechtlicher Rundfunkangebote im Online-Bereich stiegen die Mitglieder in eine längere Diskussion ein. Umstritten ist, unter welchen Bedingungen diese zulässig sein sollen.
Die Koalitionsfraktionen und die Mehrheit der Sachverständigen plädieren dafür, dass solche Angebote nur zulässig sein sollen, "wenn sie im Vergleich zu den Angeboten Privater einen Mehrwert begründen". Die Opposition lehnt dies ab. In einem eigenen Textentwurf fordert sie, auch im Online-Bereich an dem Konzept festzuhalten, "dass öffentlich-rechtliche Angebote keine Lückenfüller-Funktion haben, sondern in den publizistischen Wettbewerb mit Angeboten kommerzieller und nicht-kommerziell tätiger Privater treten können".
Vollversorger vs. Qualitätsversorger
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse, "wenigstens im Bereich des Internets", von einem "Vollversorger zu einem Qualitätsversorger" werden, forderte der Sachverständige Professor Hubertus Gersdorf in einem leidenschaftlichen Statement. Dieser Paradigmenwechsel sei nötig, da nicht einzusehen sei, "dass mit öffentlichen Geldern etwas bereitgestellt werden soll, was die Zivilgesellschaft und die privaten Anbieter auch generieren", sagte Gersdorf.
"Keine Lückenfüller-Position"
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich bewegen, damit er erhalten bleibe, räumte Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) ein. Für die von der Koalition erhobene Forderung zeigte sie dennoch kein Verständnis. "Diesem Satz kann ich nicht zustimmen", sagte sie. Bestand und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei zudem durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Der Sachverständige und Projektgruppenvorsitzende Professor Wolfgang Schulz verwies darauf, dass der Vorschlag der Koalition ignoriere, dass es zwischen Privaten und öffentlich-rechtlichem Rundfunk eine Wechselwirkung gebe. Statt einer "Arbeitsteilung" gebe es einen publizistischen Wettbewerb. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf nicht nur eine Lückenfüller-Position haben", warnte Schulz. Die Koalition wolle offenbar das öffentlich-rechtliche Prinzip austrocknen, sagte Petra Sitte (Die Linke). Es sei zudem völlig unklar, wie der angesprochene Mehrwert bestimmt werden solle. Ihre Fraktion, so Sitte, werde diese Forderung nicht mittragen. Der Unionsabgeordnete Thomas Jarzombek schlug schließlich vor, die Grundversorgung als einen weiteren Grund für die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Angebote in den umstrittenen Satz einzufügen. Bei der anschließenden Abstimmung fand der in dieser Form abgeänderte Text trotz der Ablehnung durch die Oppositionsfraktion und mehrere Sachverständige eine Mehrheit.
Einrichtung einer Koordinierungsinstanz
In dem Zwischenbericht der Projektgruppe finden sich allerdings auch mehrere konsensual erarbeitete Leitlinien und Empfehlungen. Dazu gehören zum Beispiel Vorschläge zu gesetzlichen Rahmenbedingungen für Intermediäre wie Suchmaschinenen oder Soziale Netzwerke, etwa zu Fragen der Haftung. So soll das Haftungsregime danach unterscheiden, ob der Inhalt von Äußerungen beurteilt werden muss – oder eben nicht. Die Kommission verabschiedete auch die Empfehlung an Bund und Länder, die Einrichtung einer Koordinierungsinstanz zu prüfen, in der Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt und die Organe der Landesmedienanstalten Querschnittsfragen diskutieren.
Verweildauer von öffentlich-rechtlichen Inhalten im Netz
Zur Frage, wie lange öffentlich-rechtliche Inhalte im Internet verfügbar sein dürfen, empfiehlt die Enquete-Kommission, die im Rundfunkstaatsvertrag festgeschriebene Depublikationspflicht nach sieben Tagen grundsätzlich aufzuheben, also eine unbegrenzte Verfügbarkeit zur Regel zu machen. Nach Ansicht der Koalition und mehrerer Sachverständiger soll die Sieben-Tage-Regelung allerdings nur für Angebote entfallen, die einen qualitativen Mehrwert darstellen.
Verbesserung der Situation von Kreativen und Urhebern
Die Enquete empfiehlt auch eine Novellierung des Urhebervertragsrechts. Dabei soll in Verträgen mit Urheberinnen und Urhebern, zum Beispiel Journalisten, eine Vertragszweckbindung gelten; so genannte Total-Buyout-Verträge sollen so gestaltet werden, dass das vereinbarte Pauschalhonorar dem Umfang der Nutzung angemessen ist; der Anspruch auf eine angemessene Vergütung soll durchsetzungsstark ausgestaltet werden und die Kündigungs- und Rückrufrechte der Urheber sollen gestärkt werden.
Zur Digitalisierung des kulturellen Erbes empfiehlt die Enquete-Kommission zu prüfen, inwieweit zusätzliche Finanzierungsquellen für die Deutsche Digitale Bibliothek erschlossen werden können. Außerdem richtet die Enquete-Kommission den Appell an Medienanbieter und -schaffende, ihre Inhalte standardmäßig barrierearm zu gestalten.
Schlussbericht: Online-Bürgerbeteiligung
Schließlich berieten die Mitglieder den Schlussbericht der Kommission. Anders als bei vorangegangenen Enquete-Kommissionen enthält der Schlussbericht keine Zusammenfassung aller Themen. Stattdessen hat jede der zwölf Projektgruppen der Enquete-Kommission einen eigenen Bericht vorgelegt. Der Schlussbericht enthält persönliche Einschätzungen der sachverständigen Kommissionsmitglieder und ein Kapitel zur Online-Bürgerbeteiligung. Darin empfiehlt die Enquete-Kommission künftigen Bundestagsausschüssen und Enquete-Kommissionen die Nutzung von Online-Beteiligungswerkzeugen, wenn sie dies wollen.
Zum Ende der sechsstündigen Sitzung zogen alle Fraktionen eine positive Bilanz zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission. Den Auftrag des Deutschen Bundestages habe die Kommission "voll erfüllt", sagte Axel E. Fischer. Zwischen Mai 2010 und Januar 2013 hatte die Enquete in 20 Gesamtsitzungen und 179 Projektgruppensitzungen getagt. Insgesamt wird die Enquete-Kommission zwölf Zwischenberichte, einen Tätigkeitsbericht und den Schlussbericht vorlegen. "Die insgesamt zweitausend Seiten spiegeln ein umfassendes Bild der digitalen Gesellschaft wider: eine bisher beispiellose Beschreibung der Potentiale, der Problemfelder und der Lösungsansätze", sagte Fischer. (kfo/hau)