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Was in der Umgangssprache gemeinhin als Patchworkfamilie bekannt ist, bezeichneten die Sachverständigen konsequent als Stieffamilie. „Dabei handelt es sich um nichts Neues“, sagte Prof. Dr. Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen vom Institut für Soziologie, Schwerpunkt Familiensoziologie. Gab es früher vor allem ökonomische Gründe, weil Vater oder Mutter starben, die zu einer Wiederverheiratung führten und auf diesem Weg einen neuen Partner in die Familie brachten, führe heute vor allem die Scheidung zu „multiplen Elternschaften“ in Stieffamilien. „Insofern hat sich ihr Charakter in den letzten Jahrzehnten deutlich geändert“, so die Wissenschaftlerin. Statt einem Elternpaar gebe es nun jeweils bis zu zwei Väter und Mütter. Insgesamt nehme der Anteil von Stieffamilien in Deutschland 13,6 Prozent aller Familienhaushalte mit Kindern unter 18 Jahren ein.
Stieffamilien teilen nach Steinbach eine wesentliche Gemeinsamkeit: „Es gibt ein einschneidendes Erlebnis, und zwar den Tod oder die Trennung von Mutter oder Vater.“ Und das Hinzukommen eines neuen, familienfremden Partners. Häufigstes Problem in diesen Familien sei, dass die eindeutige Zuordnung von Entscheidungskompetenzen nicht klar geregelt ist. Neue Partner stünden aus diesem Grund vor einer besonderen Herausforderung, sich einzufügen. Ein Vorteil, den diese Familienmodelle mit sich bringen, könne hingegen sein, dass bei der steigenden Anzahl von Einzelkindern Geschwister dazugewonnen werden. „Außerdem ist das Armutsrisiko für Alleinerziehende am höchsten“, sagte Steinbach. Stieffamilien würden solche Probleme besser abfedern.
Katharina Grünewald sieht Kinder in Stieffamilien jedoch einer schwierigen Zwickmühle ausgesetzt. „Sie haben erlebt, dass die Eltern durch ihre Trennung nicht zuverlässig sind“, sagte sie. „Das bedeutet den Verlust des Urvertrauens.“ Auf der Suche nach neuem Halt würden diese Kinder dazu neigen, sich eine neue Ordnung schaffen zu wollen. „Sie zeichnen sich durch erhöhte Anpassungsfähigkeit aus, möchten pflegeleicht sein, weil die Erwachsenen genug Probleme haben, und sind sehr selbstbeherrscht.“ Der Preis dafür sei die permanente Überforderung des Kindes, das „schon groß sein will“. Oft würden diese Kinder dafür eine Aufwertung ihrer Position nach der Trennung der Eltern erleben, weil sie plötzlich als Gesprächspartner wahrgenommen werden und mitentscheiden dürfen. „Kommt nun ein neuer Partner hinzu, kann das wieder zu einem Positionsverlust führen“, sagte Grünewald. Daraus rühre mancher Konflikt mit den Stiefeltern her.
Um also gute Stiefeltern zu sein, sei Grundvoraussetzung, klare Regeln zu bestimmen und Aussagen zu treffen. „Sowohl zwischen den getrennten leiblichen Eltern als auch den neuen Partnern“, sagte Grünewald. Sonst gebe es eine Vielzahl von Konflikten und Fallstricken, die Alfred Luttermann, Leiter des Ausbildungszentrums für Kinder- und Jugendpsychotherapeuten bei der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, untersucht hat. So gebe es unterschiedliche Dynamiken, die davon abhängen, ob eine Frau oder ein Mann in die Familie neu hinzukommt.
„Für die Stiefmutter ist es schwierig, zu den Kindern Kontakt zu finden, weil sie nicht von ihnen ausgewählt wurde“, sagte Luttermann. Stiefmütter würden sich häufig - entgegen dem Klischee - überfürsorglich verhalten. „Das führt zu Frust durch Abweisung“, wenn dieses Bemühen enttäuscht wird. Männer hingegen würden eher als „Retter“ gesehen. „Nur begehen diese einen häufigen Fehler, indem sie glauben, sie müssten nun Ordnung schaffen“, sagte Luttermann. Als Reaktion der Kinder folge in der Regel der Widerstand.
Je jünger die Kinder sind, desto höher sei aber die Akzeptanz gegenüber neuen Partnern. Jungen gelinge selbst mit Beginn der Pubertät noch gut, eine Bindung mit einem Stiefvater aufzunehmen. Töchter hingegen würden sich enger an die Mutter binden und einen neuen Mann an ihrer Seite eher als störend empfinden. Aber: „Stiefväter haben nicht viel zu erwarten“, sagte Wissenschaftlerin Steinbach, die sich auch mit dem Verhältnis erwachsener Stiefkinder zu ihren Stiefvätern beschäftigt hat. „Die Nähe zueinander hält in späteren Jahren nicht gut an“, sagte sie. In diesem Bereich gebe es noch Forschungsbedarf, der von Bedeutung sei, weil das auch Konsequenzen bis hin zur Altenpflege habe.
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