Navigationspfad: Startseite > Presse > Aktuelle Meldungen (hib) > Juni 2013 > Vorstöße zu Wahlrechts-Änderung bei Experten umstritten
Wie die Grünen-Fraktion in einem Gesetzentwurf (17/12068) schreibt, sind nach dem Bundeswahlgesetz und dem Europawahlgesetz „all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin bestellt ist“. Ebenfalls ausgeschlossen seien Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und aufgrund dessen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Diese Ausschlusstatbestände seien nach geltenden menschenrechtlichen Standards nicht zu rechtfertigen und stünden „im Widerspruch zu den Zielen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht sei. Sie sollen daher nach dem Willen der Grünen-Abgeordneten gestrichen werden.
Ebenso argumentiert die SPD-Fraktion, die in einem Antrag (17/12380) von der Bundesregierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs fordert, der ausschließt, dass der Verlust des Wahlrechts künftig ausschließlich aufgrund der entsprechenden Bestimmungen im Bundes- und im Europawahlgesetz möglich ist. Auch soll die Regierung dem Antrag zufolge einen Gesetzentwurf zur Änderung der beiden genannten Wahlgesetze mit dem Inhalt vorlegen, dass durch die Verwendung von Parteisymbolen und Lichtbildern der Kandidaten auf den Stimmzetteln die Wiedererkennung von Parteien und Bewerbern „und somit die Stimmabgabe erleichtert wird“.
In der Anhörung sagte Valentin Aichele vom Deutschen Institut für Menschenrechte, die zwei Ausschlüsse vom Wahlrecht seien mit den bürgerlichen Menschenrechten nicht zu vereinbaren, „weil sie mehrheitlich Menschen mit Behinderungen treffen und damit eine menschenrechtliche Diskriminierung vorliegt, die unsere Rechtsordnung nicht länger tolerieren darf“.
Professor Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität warb dafür, die entsprechenden Paragraphen „vollständig zu streichen“. Sie entsprächen „in keiner Weise mehr“ den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Feststellung der Betreuung erfolge von den Richtern ohne Rücksicht auf die Frage der Wahlmündigkeit. Eine Entscheidung, die nichts mit dem Wahlrecht zu tun habe, aber einen Ausschluss vom Wahlrecht zur Folge habe, sei eines Rechtsstaates unwürdig.
Gregor Rüberg vom Betreuungsverein Lebenshilfe Dortmund betonte, zu keinem Zeitpunkt des Betreuungsverfahrens werde geprüft, ob die Wahlfähigkeit vorliegt. Er halte eine Streichung der Vorschrift zum Wahlrechtsausschluss von Betreuten „für absolut erforderlich“, weil diese Regelung zu viele Menschen betreffe.
Bernd Schulte, wissenschaftlicher Referent in München, nannte die Argumente für eine ersatzlose Abschaffung der Vorschriften über den Wahlrechtsausschluss „erdrückend“. Er halte ein möglichst rasches gesetzgeberisches Handeln für geboten.
Professor Heinrich Lang von der Universität Greifswald plädierte dagegen dafür, die beiden Regelungen jetzt nicht zu streichen. Man solle lieber „abwarten, was die Forschung zu dem Thema bringt“, fügte Lang hinzu und verwies darauf, dass die Bundesregierung ein entsprechendes Forschungsvorhaben ausgeschrieben habe. Dann solle man erneut über das Thema diskutieren.
Professor Gerd Strohmeier von der Technischen Universität Chemnitz sagte, das Wahlrecht sei ein „äußerst sensibles Feld“ und der Ausschluss vom Wahlrecht sei „möglicherweise der sensibelste Teil dieses Feldes“. Er bedürfe einer Regelung, die auf einer soliden Datenbasis basiere, die gegenwärtig noch nicht vorliege. „Erst wenn die Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen vorliegt, werden wir sachlich und fundiert über eventuell notwendige Reformen diskutieren können“, unterstrich Strohmeier.
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