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Sie ist die jüngste Abgeordnete im Bundestag, und die 24-Jährige ist die erste und einzige mit einem Lippenpiercing. In dem Übergangsbüro von Agnes Malczak sind die Spuren des Umzugs nach Berlin noch präsent: Ein Kabelwust liegt auf dem Tisch, ein Karton für ein Keyboard lehnt an der Wand, neben der Tür stehen zwei Koffer und ein Paar hochhackige Schuhe. Diese hat Malczak gegen ein Paar bequeme Sneakers eingetauscht.
Sie hat ihre erste konstituierende Sitzung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen bereits hinter sich: "Das war ganz aufregend und es gab natürlich auch viele Fragen. Aber ich bin eigentlich nicht jemand, der vor Ehrfurcht erstarrt.“
Die Studentin der Politikwissenschaft, Philosophie und des Öffentlichen Rechts mit den hennarot gefärbten Haaren hat den Vorteil, aus dem Bundesland zu kommen, aus dem relativ viele Abgeordnete der Grünen-Fraktion stammen: Baden-Württemberg. Dort stand sie als elfte auf der Landesliste zur Bundestagswahl.
Agnes Malczak, deren Vorname eigentlich Agnieszka lautet, wurde in 1985 in Liegnitz (Legnica) in Niederschlesien (Polen) geboren. Als sie vier Jahre alt war, zog ihre Familie kurz vor dem Mauerfall 1989 nach Deutschland. Ihr Großvater stammt aus Deutschland, doch es gab noch einen anderen Grund: "Für meine Eltern war es auch ein Stück weit eine politische Entscheidung. Sie haben sich von der Demokratie hier mehr versprochen.“
Ihre Eltern erzogen Malczak dazu, ihre Meinung zu sagen und Dinge zu hinterfragen: "In der Schule habe ich immer eifrig diskutiert bis geschimpft. Irgendwann habe ich die Einsicht bekommen, anstatt die ganze Zeit zu meckern und sich aufzuregen wäre es sinnvoller, selber etwas zu tun und mitzugestalten.“ 2004 trat sie den Grünen und der Grünen Jugend bei.
Dass sie ihre Kindheit in Polen verbracht hat, hilft ihr bei ihrer politischen Arbeit in zweierlei Hinsicht: Einerseits identifiziert sie sich leichter mit Menschen aus dem osteuropäischen Kulturkreis wie beispielsweise den Wahlbeobachtern aus Weißrussland, die den Bundestagswahlkampf in Ravensburg begleiteten: "Ich habe das nicht so bewusst miterlebt, aber ich kannte den Sozialismus aus den Erzählungen meiner Eltern und die Sehnsucht nach Demokratie. Dadurch habe ich relativ schnell einen Zugang zu den Wahlbeobachtern gefunden, und wir hatten sehr bewegende Gespräche.“
Auf der anderen Seite kennt sie die Situation von Menschen, die neu in Deutschland sind und sich hier integrieren: "Ich weiß, wie es ist, nicht erwünscht zu sein oder anders behandelt zu werden, weil man woanders geboren wurde.“
Für sie waren es überhaupt keine schlimmen Erlebnisse, aber Geschichten, an die sie sich heute noch erinnern kann: "Meine Grundschullehrerin hat zu mir gesagt, ich würde in der deutschen Sprache nie eine Eins haben.“ Sie war die Einzige in ihrem Abiturjahrgang, die 15 Punkte, also die höchste Punktzahl, in der Deutsch-Prüfung erreichte.
Malczak identifiziert sich mit ihrer früheren Heimat und kann sich auch beispielsweise vorstellen an der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe teilzunehmen. Eigentlich wollte sie auch ein Auslandssemester in Polen machen, was sich aber jetzt durch ihr Mandat erledigt hat. "Das ist schon etwas, was ich mir auch erhalten will. Zum Beispiel möchte ich meine Sprache mehr pflegen, weil meine Polnischkenntnisse abnehmen."
Außerdem ist ihr das Thema Integration wichtig ist: "Das ist ja auch etwas, was meinen Blick auch auf die politischen Diskussionen prägt." Dennoch bewegen sie friedenspolitische Themen mehr.
Dass die Zahl der Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Bundestag zunimmt, findet sie erfreulich: "Für mich ist der Bundestag auch ein Spiegel der Gesellschaft." Bei ihrer Bewerbungsrede auf dem Parteitag der Grünen sagte sie, dass sie sich darin nicht unbedingt wiederfinde: "Es gibt mehrheitlich ältere Männer dort. Ich finde es wichtig, dass mehr Frauen im Parlament vertreten sind, mehr Menschen, die keinen akademischen Abschluss haben und auch Menschen mit Integrationserfahrungen, damit sie diese auch in die politischen Diskussionen und Prozesse einbringen können. Diese Vielfalt kann bereichernd sein.“
Von ihrem Lippenpiercing will sie sich nicht so schnell verabschieden: "In meinem Wahlkreis war das hochbrisant, weil es dort teilweise sehr ländlich und konservativ ist. Aber ich sage auch immer: Es ist wichtiger, was aus dem Mund rauskommt, als was am Mund dran ist.“
Dadurch hat sie sich in eine ausweglose Situation gebracht: "Sobald ich den Ring rausnehme, heißt es, ich verbiege mich oder mache es, weil ich jetzt im Bundestag bin.“ Deswegen bleibt er erst mal drin.