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Nach wie vor ist Richard Pitterle eng verbunden mit seiner früheren Heimat Tschechien. Der Abgeordnete, der 2009 für die Fraktion Die Linke in den Bundestag einzog, arbeitet als Fachanwalt für Arbeitsrecht in einer Kanzlei, die sich für Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften einsetzt. Doch sein zweiter wichtiger Arbeitsschwerpunkt ist Wirtschaftsrecht mit Tschechien.
Als Vizepräsident der zweisprachigen, deutsch-tschechischen Juristenvereinigung organisiert er außerdem Begegnungen von Kollegen aus beiden Ländern, damit sie gegenseitig die Institutionen kennenlernen können: "Wir waren auch schon hier im Bundestag und beim tschechischen Verfassungsgericht." Auch seine Tochter hat er zweisprachig erzogen.
Pitterle wuchs in Tschechien auf, als sich die Gesellschaft zu Zeiten des Prager Frühlings 1968 in einem enormen Aufbruch befand. Der führende Politiker des Prager Frühlings, Alexander Dubcek, wollte einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" schaffen: "Damals war die Gesellschaft unheimlich politisiert, weil es ja noch die Generation gab, die den Aufbruch in das andere politische System, den Sozialismus, erlebt hat, auch mit seinen ganzen negativen Folgen wie dem Stalinismus."
Er war neun Jahre alt, als die sowjetischen Truppen im August 1968 einmarschierten und den Prager Frühling gewaltsam beendeten: "Da bin ich mit den Jugendlichen mitgezogen, die Parolen an die Wände geschrieben und die Straßenschilder umgestellt haben, damit sich die Interventionsarmee nicht zurechtfindet."
Da sein Vater Sudentendeutscher, seine Mutter Tschechin war, stellten sie einen Antrag auf Familienzusammenführung. 1970, als Pitterle elf Jahre alt war, siedelten sie schließlich nach Deutschland um, wo seine Eltern bei Daimler Benz Arbeit fanden.
Zuerst fiel dem Jugendlichen das größere Konsumangebot ins Auge: "Es war alles sehr bunt und es gab Bananen. Später kamen Sachen hinzu, die es nicht gab, die man aber gewöhnt war, wie zum Beispiel die Schulspeisung. Meine Eltern haben sich befragt, warum solch eine reiche Gesellschaft das nicht organisieren kann."
Sein Vater sprach nie mit ihm Deutsch, weil seine Mutter Angst hatte, er würde nicht richtig Tschechisch lernen. So musste er zuerst die Deutsch lernen: "Aber ich hatte natürlich Vorteile gegenüber den anderen Migranten, weil ich gleich einen deutschen Pass hatte."
Rückblickend stellt der Abgeordnete fest, dass seine Integration vor allem über seine politische Arbeit stattfand. Mit 14 Jahren fing er an, sich für Lateinamerika zu interessieren. 1974 traf er auf einer Demonstration zum Jahrestag des Putsches in Chile Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN): "Das waren Menschen, die in Konzentrationslagern, im Widerstand waren, das war für mich eine neue Erfahrung, dass es so etwas überhaupt gibt."
Mit 15 Jahren trat er bei der VVN ein und engagierte sich stark in seinem Wohnort Sindelfingen in Baden-Württemberg: "Irgendwie konnte ich mich leichter identifizieren mit Menschen, die gegen das Naziregime gekämpft haben und das andere Deutschland verkörperten. Auch wenn meine Eltern keine Kommunisten oder Sozialisten waren - die haben ja meist SPD gewählt. Aber sie waren antifaschistisch geprägt, weil sie wussten, was Krieg und Faschismus bedeutet, was mich wiederum auch geprägt hat."
Nach der Bundestagswahl 1990 trat Pitterle in den Landesverband der PDS ein: "Ich wollte das Programm von Gregor Gysi unterstützen. Den Versuch, Sozialismus und Demokratie zu verbinden, sah ich in der Linie von Alexander Dubcek in Tschechien und Salvador Allende in Chile."
Das Freundschaftsband an seinem Handgelenk verrät seine Liebe zu Lateinamerika. Sie manifestiert sich in seiner Begeisterung für Salsa, den rhythmischen Latino-Musik- und Tanzstil, den er seit einer Reise nach Kuba vor acht Jahren praktiziert. Die Musik fasziniert ihn so sehr, dass er sie als Disc-Jockey ab und zu selbst in verschiedenen Bars oder Tanzschulen auflegt.