Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011
Die neue Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" hat am Montag, 17. Januar 2011, ihre Arbeit aufgenommen. In seiner Eröffnungsrede zur konstituierenden Sitzung appellierte Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert an das neue Gremium, der Versuchung sowohl der Vereinfachung als auch der Übertreibung zu widerstehen und eine klare Bestandsaufnahme zu liefern sowie Perspektiven im Kontext einer sozialen Marktwirtschaft aufzuzeigen. Vorsitzende ist die Leipziger SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe, ihr Stellvertreter der Abgeordnete Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) aus Frankfurt am Main.
Lammert sagte eingangs, das Thema sei nicht ganz neu und werde bereits seit Jahren in der Öffentlichkeit diskutiert. Nach den Erfahrungen mit den Turbulenzen auf den Finanzmärkten im Herbst 2008 werde es aber Zeit, diese Fragen wieder aufzugreifen und in die Arbeit dieses Gremiums einzubringen.
Es sei kein Zufall, dass der Titel der neuen Enquete-Kommission die drei Schlüsselwörter "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" enthalte, die in engem Verhältnis zueinander stünden, sagte Lammert. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an das Wort des früheren Bundeswirtschaftsministers und Bundeskanzlers Ludwig Erhard: "Wohlstand ist die Grundlage, aber kein Leitbild für die Lebensgestaltung.“
Der Bundestag hatte am 1. Dezember 2010 beschlossen, diese Enquete-Kommission einzusetzen, als er einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen (17/3853) annahm. Die Kommission besteht aus 17 Bundestagsabgeordneten und 17 externen Sachverständigen, die von den Fraktionen vorgeschlagen wurden.
Sechs der 17 Abgeordneten stellt die CDU/CSU, vier die SPD, drei die FDP und jeweils zwei die Linksfraktion sowie Bündnis 90/Die Grünen.
Die Kommission hat den Auftrag, einen neuen Fortschrittsindikator zu entwickeln, der sich zwar weiterhin auch auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße stützt, es aber durch neue Kriterien ergänzt. Anlass für diesen Vorstoß ist eine verbreitete Kritik am BIP als bislang alleinigem offiziellen Maßstab für Wachstum und Wohlstand, der das, was als Lebensqualität gilt, nur unvollständig oder verzerrt abbilde.
Das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen solle weiterentwickelt und etwa um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzt werden.
Daniela Kolbe betonte, dass die verbleibenden zweieinhalb Jahre bis zum Ende der Wahlperiode als Zeitrahmen knapp bemessen seien: "Nicht gerade viel angesichts der Aufgabe, die vor uns liegt.“ Immerhin gelte es, auf große Fragen große Antworten zu finden.
"Wir haben uns viel vorgenommen“, kündigte Kolbe an und betonte, Ziel dieses Gremiums sei es, ergebnisorientiert zu arbeiten und am Ende der Legislaturperiode Resultate vorzulegen.
Ambitioniert zeigten sich auch die bereits zuvor benannten Obleute der fünf Fraktionen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) bedauerte, dass in der Berichterstattung der Medien im Vorfeld zu sehr die Frage nach dem zu definierenden Indikator für Wohlstand eingegangen worden sei. Man dürfe sich in der Arbeit der Enquete-Kommission jedoch nicht hierauf beschränken, sondern müsse auch den Stellenwert von Wachstum für das Gemeinwesen betrachten und der Frage nachgehen, ob Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden kann.
Peter Friedrich (SPD) betonte, es gebe vier parallele Entwicklungen, die derzeit nicht ausreichend abgebildet seien, und nannte die Krise des Vertrauens in die soziale Marktwirtschaft, die Überforderung der alltäglichen Lebensgrundlage, die demografische Veränderung sowie die Entkopplung von gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt.
Claudia Bögel (FDP) appellierte an die Abgeordneten, "lebhaft miteinander zu diskutieren, unabhängig von der politischen Couleur“. Es gehe nun darum, klare Analysen und innovative Empfehlungen zu erarbeiten. Zwar sei wirtschaftliches Wachstum unverzichtbar, doch müsse der Abbau der natürlichen Ressourcen vermieden werden, sagte Bögel.
Ulla Lötzer von der Linksfraktion hob hervor, dass das Bruttoinlandsprodukt zwar gestiegen sei, nicht jedoch der Wohlstand. Die Armutsquote sei ebenso angestiegen wie der öffentliche Schuldenberg. Und auch die ökologische Krise habe sich angesichts der näherrückenden Grenzen des Ressourcenverbrauchs verschärft. Daher müsse das Gremium den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft kritisch beleuchten, sagte Lötzer.
Dies forderte auch Kerstin Andreae (Bündnis 90/Die Grünen. Sie betonte, die Frage nach der Endlichkeit der Ressourcen sei auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Die Gleichung "Wohlstand gleich Wachstum gleich Arbeitsplätze“ funktioniere so nicht mehr. Man dürfe bei der Bewertung des Wachstums nicht nur die Geschwindigkeit, sondern müsse auch Verbrauch und Drehzahl messen.
Andreae betonte, man wolle in der Kommission die öffentliche Debatte nicht nur aufnehmen, sondern auch weiterführen. Als Enquete-Kommission komme es dabei darauf an, gemeinsam und nicht gegen einander zu arbeiten.
Ihr Arbeitsprogramm wollen die Kommissionsmitglieder bei einer nichtöffentlichen Klausurtagung am 6. und 7. Februar debattieren, die erste Arbeitssitzung des Ausschusses ist für den 14. März geplant. Das Gremium will einmal im Monat tagen, und zwar jeweils während der ersten Sitzungswoche des Bundestages im betreffenden Monat.
Vorgesehen ist die Einsetzung von Projektgruppen, die sich um einzelne ausgewählte Themen kümmern sollen. (jmb)