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Das Reichstagsgebäude und seine Umgebung werden gern als "Berliner Regierungsviertel" bezeichnet. Das ist falsch, denn im Reichstagsgebäude ist der Bundestag, also das Parlament, untergebracht, und auch die Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft, die nach dem Umzug von Bonn nach Berlin entstanden sind, sind Parlamentsgebäude. Das einzige Regierungsgebäude, das Bundeskanzleramt, liegt also gewissermaßen am Rande des Parlamentsviertels. Drei Gebäude des Bundestages gruppieren sich um den alten Reichstag: das Jakob-Kaiser-Haus, das Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, benannt nach parlamentarischen Persönlichkeiten aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik.
Das Jakob-Kaiser-Haus, der größte Parlamentsneubau, wurde im Januar 2002 fertiggestellt. Das ehemalige Reichstagspräsidentenpalais, jetzt Teil des Jakob-Kaiser-Hauses, bietet der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft sowie dem Bundestag für repräsentative Anlässe Raum. Unter der Erde verbindet ein Versorgungstunnel alle Neubauten des Bundestages mit dem Reichstag. Oberirdisch stellen zwei Brücken die Verbindung zwischen den beiderseits der Straße befindlichen Gebäudekomplexen her.
Das Jakob-Kaiser-Haus dient im wesentlichen der Unterbringung von etwa 60 Prozent der Abgeordnetenbüros, der Fraktionsstäbe und ihrer Sitzungsräume, der Arbeitsräume der Vizepräsidenten sowie der Verfügungsräume für den Bundesrat und die Bundesregierung. Ferner werden hier unter anderem die Büros der Parlamentsdienste vorgehalten, der Bereich "Presse und Kommunikation" des Bundestages, Mediendienste und zwei Sitzungssäle für Untersuchungsausschüsse.
Besondere Bedeutung kommen den Kopfbauten entlang der Spree zu. Hier sind die Ausschusssitzungssäle, die Räume der Fraktionsvorstände und der Gastronomie. Die Abgeordneten und Fraktionen sind in Einheitsbüros gleicher Größe aber mit unterschiedlicher Ausstattung untergebracht. Die 18-Quadratmeter-Standardbüros sind bei der Raumbelegung flexibel und lassen sich effektiv nutzen. Um den urbanen Charakter des Parlamentsquartiers zu fördern, sind Läden im Erdgeschoss entlang der Wilhelmstraße angesiedelt.
Nur wenige Meter vom Reichstagsgebäude entfernt liegt das Paul-Löbe-Haus. Benannt nach dem letzten demokratischen Reichstagspräsidenten der Weimarer Republik, gehört das lichte Gebäude im Spreebogen zum "Band des Bundes", das die beiden früher durch die Mauer getrennten Teile der Hauptstadt über die Spree hinweg verbindet. Das "Band des Bundes" besteht aus dem neuen Kanzleramt, dem Paul-Löbe-Haus auf der Westseite des Flusses und dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus auf der Ostseite.
Anders als beim Reichstagsgebäude konnten mit dem Paul-Löbe-Haus, losgelöst von den Vorgaben der Geschichte, eigene Akzente gesetzt werden. Das ist dem Architekten Stephan Braunfels nach dem einhelligen Urteil von Fachleuten und Laien gelungen: Der achtgeschossige Neubau mit seinen jeweils fünf markanten Seitenkämmen und den acht charakteristischen gläsernen Zylindern wirkt wie ein kraftvoller "Motor der Republik".
Bestimmt ist das rund 200 Meter lange und 102 Meter breite Gebäude vor allem für drei Arbeitsbereiche des Deutschen Bundestages: die Ausschüsse, die Öffentlichkeitsarbeit und die zentrale Besucherbetreuung. Zudem können Besuchergruppen im Paul-Löbe-Haus in Seminar- und Ausstellungsräumen etwas über das politische System in Deutschland erfahren.
Die Transparenz des Hauses beginnt bereits am Haupteingang, der auf der Westseite liegt. Die riesige Fläche ist verglast und spiegelt das gegenüberliegende Kanzleramt wider. Schon von weitem soll dem Besucher signalisiert werden, dass er im Paul-Löbe-Haus willkommen ist. Am Abend, wenn die gewaltige Glasfläche von innen beleuchtet ist und die rechts und links symmetrisch aufsteigenden Innentreppen ihre skulpturale Wirkung entfalten, ist der einladende Effekt noch größer.
Transparenz kennzeichnet auch die 200 Meter langen und 23 Meter hohen Seitenfassaden, die durch jeweils fünf Seitenflügel mit dazwischen liegenden begrünten Lichthöfen strukturiert werden. Mit ihren verglasten Seitenwänden stehen sie im Kontrast zu dem grauen Sichtbeton der Außenmauern. Da sowohl die Büros der Abgeordneten als auch die Sekretariate und die Sitzungssäle der Ausschüsse auf die Lichthöfe führen, haben nicht nur die Parlamentarier eine gute Aussicht, sondern auch die Bürger von außen eine gute Einsicht in die Arbeit der Volksvertreter.
Dort, wo das Gebäude an die Spree grenzt, lädt eine Uferpromenade zum Spaziergang ein. Einen imposanten Anblick bietet hier beispielsweise die zweigeschossige Fußgängerbrücke, die hoch oben in der Luft eine interne Verbindung zwischen dem Paul-Löbe-Haus und dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus schafft und deren untere Ebene öffentlich zugänglich ist.
Auch im Inneren des Hauses mit seinen rund 1.000 Büros und über 20 Sitzungssälen herrschen Transparenz und weitgehende Offenheit. Das ist vor allem der riesigen Halle mit ihrem glasgedeckten Rasterdach zu verdanken, die den Gebäudekomplex von West nach Ost durchzieht. Hier können die Blicke durch den gesamten Komplex schweifen, hinauf zu den acht offenen Stockwerken mit ihren seitlichen Laufgängen und den relingartigen Geländern, zu den Zuschauergalerien, den die Halle überquerenden Brücken und den 16 gläsernen Fahrstühlen. Im Westen und Osten öffnen sich große Glasfassaden, die eine faszinierende Aussicht bieten, zum einen auf das Kanzleramt, zum anderen – jenseits der Spree – auf die gläserne Bibliothek des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.
Das Paul-Löbe-Haus ist mit innovativer und umweltschonender Haustechnik ausgestattet. So nutzt das Blockheizkraftwerk ausschließlich regenerierbare Primärenergien (Biodiesel) und gewährleistet durch das System der Kraft-Wärme-Kopplung gleichzeitig eine verbesserte Wirtschaftlichkeit und geringen Schadstoffausstoß.
Um das vorgegebene Energiesparkonzept umzusetzen, entwickelten die Technikplaner eine 3.230 Quadratmeter umfassende Photovoltaikanlage, deren Solarmodule in die Architektur des großen Rasterdaches integriert sind und zugleich als Verschattungselemente die direkte Sonneneinstrahlung dämpfen. Zur Technik gehört auch die Anbindung des Hauses an das unterirdische Erschließungssystem des Parlamentsviertels. In diesem Tunnelsystem können Materialien transportiert werden. Das entlastet die oberirdischen Straßen.
Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist der dritte Parlamentsneubau an der Spree und wurde im Dezember 2003 mit der feierlichen Schlüsselübergabe eingeweiht. Es vollendet das "Band des Bundes", das mit dem von Axel Schultes entworfenen Bundeskanzleramt beginnt. Das Band wird durch eine Freifläche unterbrochen, da das Bürgerforum nicht gebaut wurde. Es setzt sich jedoch mit dem Paul-Löbe-Haus (PLH) fort und findet mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (MELH) seinen Abschluss.
Die Brücke zwischen PLH und MELH schließt die Verbindung zwischen West und Ost. Architekt Stephan Braunfels nennt es den "Sprung über die Spree". Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus überbaut den ursprünglichen Verlauf der Berliner Hinterlandmauer. In einem öffentlich zugänglichen Mauermahnmal sind Segmente dieser Mauer wieder an ihrem ursprünglichem Ort aufgebaut.
Der Spreeplatz am westlichen Ufer, der über eine lange, leicht geschwungene Treppe zur Spree hinunterführt, korrespondiert auf der Seite des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses mit einer sich nach oben weitenden Freitreppe. Vom Spreeplatz aus hat man auch den besten Blick auf die gläserne Bibliothek des Hauses und auf die große runde Öffnung in der Betonfassade, hinter der sich der Sitzungssaal für öffentliche Anhörungen befindet.
Das Innere des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses ist geprägt vom Licht, das durch die Kassettendecke in das Gebäude fährt und die klaren Formen der Haupthalle immer wieder zu verändern scheint. Man kann die rechteckige Halle auf einer umlaufenden Galerie von allen Seiten betrachten. Immer wird man beeindruckt sein vom Herzstück des Hauses, der Bibliotheksrotunde am westlichen Ende der Halle.
Unter der Informations- und Beratungsebene des Rundbaus, durch dessen zwei große Fensterfronten der Blick über die Spree zum Reichstagsgebäude geht, ist in einem sonst leeren Raum ein Stück der Berliner Mauer erhalten. Das Teilstück folgt ihrem einstigen Verlauf und verweist somit auf die Geschichte des Ortes. Über der Gedenkstätte sind fünf Ebenen und zwei Lesesäle angeordnet. Aus den Tiefen des Hauses kommen über ein ausgeklügeltes Transportsystem die gewünschten Bücher aus den Magazinen.
Beeindruckend ist auch der große Anhörungssaal, in dem vor allem Untersuchungsausschüsse arbeiten. Von hier aus geht der Blick über die Spree auf das Paul-Löbe-Haus und auf das Reichstagsgebäude. Unter dem 290 Quadratmeter großen Raum liegt eine Treppe der besonderen Art, die so genannte Bramante-Treppe.
Aber auch andere Treppen im Haus sind durch ihre Verspieltheit und Formenvielfalt Blickfänge – die Trompetentreppe an der Rotunde oder die "Himmelsleiter", die zur Galerie hinaufführt. Die 600 Büros sind in Gebäudekämmen untergebracht, von denen zwei nur halbe Kämme sind.
Das 23 Meter hohe Marie-Elisabeth-Lüders-Haus beherbergt das parlamentarische Gedächtnis und ist zugleich wissenschaftliches Dienstleistungszentrum für die Abgeordneten. Die Parlamentsbibliothek, die Pressedokumentation, das Parlamentsarchiv sowie die Parlamentsdokumentation finden hier Raum unter einem Dach. Ein Anhörungssaal mit Galerie dient vor allem der Ausschussarbeit.
Mit den Fachbereichen arbeitet ein großer Funktionsbereich der Wissenschaftlichen Dienste im Gebäude. Büros und Besprechungsräume komplettieren den Arbeitsort, an dem auch die Postdienste, die Reisestelle und der Fahrdienst des Bundestages untergebracht sind. Eine Terrasse mit Skulpturenschmuck und ein großer Ausstellungsraum unterhalb der Terrasse und der Freitreppe sind öffentlich zugänglich.
Mit diesem Neubau am östlichen Ufer der Spree ist auch das "Band des Bundes" vollendet worden. Dieses städtebauliche Symbol für die Vereinigung der einst in West und Ost geteilten Stadt verbindet das Parlamentsgebäude am Ostufer der Spree mit dem Paul-Löbe-Haus und dem Kanzleramt auf der Westseite.
Mit dem ersten Spatenstich wurde am 9. November 2010 der zweite Bauabschnitt des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses eröffnet. In die Erweiterung investiert der Bund 190 Millionen Euro. Im Zentrum des Ostflügels entsteht ein 36 Meter hoher Turm. Neben 300 neuen Büroräumen werden ein repräsentativer Eingangsbereich an der Luisenstraße und ein Bistro mit 50 Innenplätzen und 150 Außenplätzen auf der Spreeseite des Hauses geschaffen. Bistro und Gebäude werden öffentlich zugänglich sein.
Die Halle wird für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung stehen und Platz für rund 1.200 Gäste bieten. Ende 2014 soll das dann rund 44.000 Quadratmeter große Parlamentsgebäude fertiggestellt sein. In der Rotunde der Halle wird die Skulptur "Kosmos 70" von Bernhard Heiliger, die vonf 1970 bis 1994 im Reichstagsgebäude hing, wieder einen Platz finden. (vom/eis)