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„Es ist eine ganz besondere Kunst“, sagte Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP) zur Eröffnung der Ausstellung mit Skulpturen der Bildhauerin Gabriele von Lutzau am Freitag, 27. Januar 2012, im Paul-Löbe-Haus des Bundestages in Berlin. Aus verdrehten und verwachsenen Laubbäumen und Baumwurzeln, aus Thujen und auch giftiger Eibe erschaffe die Künstlerin riesige „Wächterinnen“ und Vögel, die die Künstlerin selbst „Lebenszeichen“ nenne. Mit dem Titel „Fiederungen“ greife von Lutzau, so Solms weiter, die Idee einer Feder auf, frei und leicht.
So leicht und filigran die Skulpturen von Gabriele von Lutzaus auch wirken, geformt wurden sie mit schwerem Gerät: „Flammenwerfer und Kettensäge – Geräte, die man eher mit Zerstörung als mit bildender Kunst verbindet“, sagte der Bundestagsvizepräsident. Beides setze die Bildhauerin mit größter Vorsicht ein. Trotzdem bleibe der künstlerische Prozess „eine Gratwanderung zwischen Erschaffen und Zersägen, zwischen Färben und Verbrennen, zwischen Asche und Skulptur: „In diesem Prozess wachsen den Bäumen Flügel.“
Gabriele von Lutzaus Skulpturen scheinen davon fliegen zu können. Sie sollen kämpfen, siegen – auch wenn sie nach geschlagener Schlacht die Spuren von Feuer und Verletzungen tragen. Das sei der Preis, den man für Gegenwehr zahlen muss, erklärt die in Michelstadt im Odenwald lebende Künstlerin. Ihre Figuren bezeichnet sie als Zeugen für Befreiung und Freiheit. „Ihre Botschaft ist stets Leben und Überleben.“
Es ist auch ihr eigenes Lebensmotto: 1977 war die sie, die damals erst 23-jährige Gabriele Dillmann, Stewardess in der von palästinensischen Terroristen nach Mogadischu entführten und später von der GSG 9 befreiten Lufthansa-Maschine „Landshut“. Fünf Tage dauerte damals der Irrflug des gekaperten Flugzeugs, der Deutschland in Angst und Schrecken versetzte.
Ein Krisenkabinett um Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) tagte rund um die Uhr, während die Passagiere in der „Landshut“ um ihr Leben bangten. Unter ihnen Gabriele Dillmann, die es schaffte, die Nerven zu behalten, Passagiere zu beruhigen und zwischen den Terroristen zu vermitteln. Für diesen Einsatz erhielt sie, der „Engel von Mogadischu“, das Bundesverdienstkreuz. Doch dass einer der Terroristen den Piloten der Maschine, Jürgen Schumann, direkt neben ihr erschoss, war für von Lutzau ein Trauma, das sie erst in ihrer Kunst verarbeiten konnte. „Ich will den Ängsten Freiheit und Leichtigkeit entgegensetzen“, sagte sie einmal.
Auch Dr. Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, der zur Eröffnung der Skulpturenausstellung gekommen war, hat eigene Erinnerungen an das Geiseldrama der „Landshut“: „Ich war damals ein junger Mitarbeiter im Innenministerium und dabei, als das Flugzeug aus Mogadischu landete“, berichtete der frühere FDP-Vorsitzende in seinem Grußwort. „Nie werde ich das Bild vergessen, wie sich die Tür öffnete und Gabriele Dillmann als erste die Treppe herunter begleitet wurde.“ Aus diesem Lebensereignis schaffe sie als Künstlerin eine „Wirkungsmacht der Ästhetik, die grandios ist“, lobte Gerhardt.
„Ich versuche, andere Menschen dazu zu bringen, an meinen Denkprozessen teilzuhaben, Dinge mitzudenken, die mich beschäftigen, die mir das Herz schwer machen oder mich beflügeln“, erklärte Gabriele von Lotzau, die bei der Ausstellungseröffnung ebenfalls das Wort ergriff.
So erzählen ihre Skulpturen Geschichten. Sie erinnern an Ereignisse, die eine geschichtliche Dimension haben oder Ereignisse, die für die Künstlerin selbst wichtig und unvergesslich sind: Die auf dünnen, langen Beinen stehende „Friedenstaube“ - eine der Skulpturen, die im Paul-Löbe-Haus zu sehen sind - schuf von Lotzau so zum Beispiel nach der Katastrophe des 11. September 2001.
„Leben und Überleben“, sagte Hermann Otto Solms und griff damit noch einmal von Lotzaus künstlerisches Leitmotiv auf, „das ist eine Botschaft, die gut zu diesem Tag passt.“ Auf den Tag genau vor 67 Jahren, so Solms, sei das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit worden. Seit 1996 erinnere deshalb der Bundestag in einer Gedenkstunde an die Millionen Menschen, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten entrechtet, verfolgt und ermordet wurden.
Auch von Lutzaus Skulptur „Buchenwald“ ist dem Gedenken gewidmet: Ein Flügel, gesägt aus dem Holz einer Buche, die an der Wegkreuzung der so genannten Blutstraße am Konzentrationslager Buchenwald stand. Der Baum sei ihr beim Besuch des KZs sofort ins Auge gesprungen, so von Lutzau, die bei der Eröffnung der Ausstellung selbst das Wort ergriff. „Der Baum stand da, vom Blitz in der Mitte getroffen wie ein riesiger, gerade gelandeter Vogel.“ Als er drei Jahre später austrocknete und gefällt werden musste, war der Künstlerin sofort klar, dass sie aus seinem Holz eine Schwinge gestalten wollte, „die über die Zeit und die Länder hinweg ein Zeichen setzen soll“.
Dieser Flügel bildet nun das Zentrum der Ausstellung im Bundestag. Das Original aus Buchenholz, mit der eigenen Asche geschwärzt, hängt neben einem zweiten Flügel, einem Abguss des Original-Buchenflügels aus Bronze.
„Ich hoffe, dass dieser Flügel einmal einen würdigen Platz hier in Deutschland findet und so eine Brücke schlägt zwischen Israel und unserem Land“, sagte von Lutzau. Die Schwinge aus Buchenholz hat nämlich bereits ihren Platz gefunden - in Yad Vashem. Der Kunstsammlung der Holocaustgedenkstädte in Jerusalem soll sie im Anschluss an die Ausstellung übergeben werden.
Die Ausstellung „Fiederungen“ kann nach vorheriger Anmeldung vom 28. Januar bis zum 24. Februar 2012, jeweils montags bis donnerstags ab 11 Uhr und ab 14 sowie freitags ab 11 Uhr besichtigt werden. Gabriele von Lutzau führt mittwochs und donnerstags persönlich durch ihre Skulpturen.
Ausstellungsbesucher können sich unter der Rufnummer 030/227-38883 oder per E-Mail (info-ausstellungen-plh@bundestag.de anmelden. Zum Ausstellungsbesuch muss ein Personaldokument zum Eingang West des Paul-Löbe-Hauses (Konrad-Adenauer-Straße 21, gegenüber dem Bundeskanzleramt) mitgebracht werden. (sas)