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Bundestagspräsident Hermann Ehlers ruft am 23. Januar 1952 die erste Fragestunde im Bundestag auf. © Bundespresseamt
Locker, zügig, bürgernah: Am 23. Januar 1952 eröffnete Bundestagspräsident Dr. Hermann Ehlers (CDU/CSU) die erste Fragestunde des Deutschen Bundestages. In der Fragestunde, die heute in Sitzungswochen immer mittwochs stattfindet, kann der Fragesteller bis zu zwei Fragen zur mündlichen Beantwortung an die Bundesregierung richten. Dabei darf er jede Frage in zwei Unterfragen unterteilen und während der Fragestunde im Plenum weitere Zusatzfragen stellen.
Über das Novum berichtete die Presse damals ausführlich: „Die Fragestunde ist ein nicht zu unterschätzendes Mittel, frischen Wind in die Verwaltung zu bringen", schrieb die Tageszeitung "Die Welt". Die Zeitgenossen versprachen sich von ihrer Einführung, dass die „kleinen Schmerzen der Bevölkerung" vor großem Publikum zur Sprache gebracht werden.
Der noch jungen Bundesrepublik sollte die Fragestunde zu mehr Vertrauen der Wähler in den Bundestag verhelfen. So nahmen sich zum Beispiel die Abgeordneten in der ersten Fragestunde der Sorge der Bevölkerung über zu stark gechlortes Trinkwasser an, das Kaffee und Tee ungenießbar werden ließ.
Durch die Anbringung zusätzlicher Mikrofone auf der Rednertribüne war der Plenarsaal technisch so erweitert worden, dass der fragende Abgeordnete und der antwortende Minister gleichzeitig nebeneinander stehen und sprechen konnten.
Von der „flotten" 33-minütigen Fragestunde wusste die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu berichten, dass „manche Abgeordnete bei der Neuheit des Verfahrens und angesichts der Spannung des ganzen Hauses noch etwas befangen" waren. Vom „Bonner Quiz" berichtete ein Kommentator der Bremer Nachrichten und äußerte die Hoffnung, dass die „mit einiger Spannung erwarte Fragestunde" das Sprechen in freier Rede, „worauf die neue Geschäftsordnung großen Nachdruck legt", unter den Abgeordneten weiter entwickelt und die bis zu diesem Zeitpunkt geübten Praxis des Ablesens ablöst.
Auch die Süddeutsche Zeitung monierte, dass die Minister nicht in freier Rede antworteten, sondern „stets wortgetreu dem vorher ausgearbeiteten Manuskript" folgten. Aber nach den „Erfahrungen des ersten Tages" wurde attestiert, dass „das Experiment einer öffentlichen Fragestunde im Bundestag zu glücken scheint".
Acht Abgeordnete der SPD, FDP, Föderalen Union und KPD reichten elf Fragen ein, zehn wurden aufgerufen. Die erste Frage stellte Heinrich Georg Ritzel (SPD), der sich als Vorsitzender des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität für die Einrichtung und Ausgestaltung der Fragestunde eingesetzt hatte: „Was hat der Herr Bundesminister der Finanzen veranlasst, um die Auszahlung der Versorgungsbezüge von versorgungsberechtigten Beamten und Angestellten des Saargebietes zu sichern, die im Gebiet der Bundesrepublik außerhalb des Saargebietes wohnen?" Die Antwort gab Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU).
Weitere Fragen betrafen die sogenannte Dienststelle Blank, die Vorgängerinstitution des Bundesministeriums für Verteidigung. Es ging darum, ob Vorbereitungen zur Aufstellung von Stammrollen für die Rekrutierung von Soldaten getroffen wurden. Darüber hinaus wurde nach der Übernahme von Filmbürgschaften gefragt, wann das Rundfunkgesetz vorgelegt wird und welche Kohlezechen mit der Verwirklichung des Schuman-Plans geschlossen werden sollen.
Bereits einen Monat vor dieser ersten Fragestunde hatte der Bundestag in seiner ersten Geschäftsordnung das neue Minderheitenrecht beschlossen. Von nun an durfte jeder Abgeordnete mündlich Fragen an die Regierung Fragen stellen. In der entsprechenden Geschäftsordnugsdebatte vom 6. Dezember 1951 hatte Heinrich Georg Ritzel das neue Recht angepriesen, das sich die Abgeordneten des Geschäftsordnungsausschusses des Bundestages vom Bayrischen Landtag abgeschaut hatten.
„Ich glaube, unter den Teilnehmern des Ausschusses gibt es niemanden, der nicht von der Möglichkeit begeistert gewesen ist, in freier Rede und Gegenrede einem nach unserem Wunsch und Willen rechtzeitig vorher informierten Minister in ein Gespräch zu verwickeln", stellte Ritzel die Neuerung als Berichterstatter in der Debatte um die Geschäftsordnung dem Plenum vor.
So könne der Abgeordnete „als Sachwalter seines Wahlkreises oder darüber hinausgehender Interessen in einer Fragestunde in Erscheinung treten".
Die Antworten übernehmen meist die Parlamentarischen Staatssekretäre oder Staatsminister der Bundesministerien, mitunter aber auch die Minister selbst. Das Fragerecht der Parlamentarier sichert eine der wichtigsten Aufgaben des Parlaments: die Kontrolle der Regierung. In 60 Jahren Bundestag wurden bis heute fast 230.000 schriftliche wie mündliche Anfragen und Einzelfragen gestellt. (eis)