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Die Auseinandersetzung um das Volkszählungsgesetz in den achtziger Jahren etablierte ein neues Verständnis von Datenschutz. © py/akg
Einstimmig verabschiedet haben die Abgeordneten des neunten Deutschen Bundestages am Donnerstag, 4. März 1982, das Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung. Mit dem sogenannten Volkszählungsgesetz 1983 hatten die Parlamentarier nach den Volkszählungsgesetzen 1981 und 1982 bereits zum dritten Mal ein Volkszählungsgesetz einstimmig verabschiedet.
Die ursprünglich in der achten Legislaturperiode für das Jahr 1981 und dann in der neunten Legislaturperiode für das Jahr 1982 geplante Zählung war an der mangelnden Zustimmung des Bundesrates zu den Gesetzesvorhaben gescheitert. Bund und Länder hatten sich nicht auf eine Finanzierung einigen können.
Der Bundesrat wollte nur zustimmen, wenn der Bund einen Teil der Kosten, die Ländern und Gemeinden aufgrund der Volkszählung entstehen, übernehmen würde. Erst mit der Zustimmung des Bundesrates zum Volkszählungsgesetz 1983 (9/1350) endete ein über drei Jahre währendes Gesetzgebungsverfahren.
Trotzdem konnte die für den 27. April 1983 angesetzte Volkszählung nicht durchgeführt werden. Mit dem Ziel, aktuelle Informationen über Bevölkerungsstand, räumliche Verteilung der Bevölkerung, ihre Zusammensetzung nach sozialen und demografischen Merkmalen und ihre wirtschaftliche Betätigung zu ermitteln, sollten alle Einwohner Deutschlands mittels einer sogenannten Totalerhebung statistisch erfasst werden.
Nach der Veröffentlichung des umfangreichen Fragenkatalogs hatten zahlreiche Bürger gegen das Volkszählungsgesetz Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Bürgerinitiativen und Prominente riefen zum Boykott auf. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die Absicht, Volkszählungsdaten zum Abgleich für die Melderegister zu verwenden, aber auch gegen den umfangreichen Fragebogen und die Ausführlichkeit der Fragen, die Rückschlüsse auf die Identität des Befragten zulasse.
Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 15. Dezember 1983 war die Volkszählung aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Gerichts zunächst ausgesetzt und nachdem die Verfassungsrichter einige der Vorschriften des Volkszählungsgesetzes 1983 für verfassungswidrig erklärt hatten, abgesagt worden.
In der als "Volkszählungsurteil" bekannt gewordenen Grundsatzentscheidung zum Datenschutzrecht etablierte das Bundesverfassungsgericht das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung". Das sich aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und aus der Menschenwürde herleitende informationelle Selbstbestimmungsrecht gewährt dem Einzelnen die Befugnis, selbst darüber zu bestimmen, ob und inwiefern persönliche Daten verwendet und preisgegeben werden (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz).
Beschränkungen dieses Rechts sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse und aufgrund einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage zulässig. Der Gesetzgeber hat organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken.
Nicht zuletzt sei dabei zu beachten, dass Einzeldaten der Einwohnerinnen und Einwohner nicht weitergegeben werden dürfen, so die Karlsruher Verfassungshüter. Erst im Jahr 1987 und aufgrund geänderter Rechtslage konnte die Volkszählung durchgeführt werden. (klz)