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Betreuungsgeld, Solarförderung, Rüstungskooperation mit Pakistan – nur drei von insgesamt 82 Themen, zu denen Abgeordnete des Bundestages Fragen für die Fragestunde (17/9001) am Mittwoch, 21. März 2012, eingereicht haben. Harald Weinberg, Obmann der Linksfraktion im Gesundheitsausschuss, will sich nach den Plänen der Bundesregierung zur Praxisgebühr erkundigen. Die 2004 eingeführte 10-Euro-Abgabe, die Kassenpatienten einmal im Quartal beim Besuch eines Arztes, Zahnarztes oder Psychotherapeuten bezahlen müssen, ist innerhalb der Koalition umstritten: Während die FDP die Gebühr abschaffen oder zumindest aussetzen möchte, hält die Union weiterhin an ihr fest. Die Bundesregierung wird Weinbergs Frage schriftlich beantworten. Weshalb er das Instrument der Zuzahlung grundsätzlich für unbrauchbar und unsozial hält, erklärt der Nürnberger Abgeordnete im Interview:
Herr Weinberg, seit bekannt geworden ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen über ein üppiges Finanzpolster von fast 20 Milliarden Euro verfügen, wird über die Praxisgebühr wieder viel diskutiert. Sie wollen dies nun auch in der Fragestunde zum Thema machen. Wieso?
Die Linke ist schon seit Jahren gegen die Praxisgebühr, wir waren schon gegen die Einführung. Nun besteht die Möglichkeit, sie abzuschaffen.
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) würde die Gebühr offensichtlich auch gern kippen. Zur Begründung heißt es, sie sei bürokratisch und habe nicht die erhoffte Wirkung erbracht, die Arztbesuche der Patienten zu steuern und so zu reduzieren. Wie sehen Sie das?
Diese Steuerungswirkung hat die Praxisgebühr in der Tat nicht erbracht – wenn, dann hat sie nur eine Wirkung entfaltet, die man nicht haben wollte: Leute, die wenig Geld haben, versuchen Arztbesuche zu vermeiden. Dadurch können aber aus akuten Krankheiten unter Umständen chronische werden. Für das Gesundheitssystem bedeutet das wiederum höhere Folgekosten. Was die Kritik am Bürokratieaufwand angeht, treffen sich ein Stück weit unsere Interessen mit denen der FDP. Wir sehen allerdings das Argument unter dem Gesichtspunkt der Entlastung der Patienten. Der FDP geht es eher um die Entlastung der Ärzte.
Aber Ihr Hauptargument gegen die Praxisgebühr ist, dass sie unsozial ist?
Genau. Es gibt eine Studie der Universität Mainz, die speziell die Gruppe der nicht so betuchten Einkommensbezieher in den Blick genommen und so nachgewiesen hat, dass die Praxisgebühren – aber im Übrigen auch andere Zuzahlungen – negative Auswirkungen haben: Arztbesuche werden vermieden, ausgestellte Rezepte nicht eingelöst und Krankheiten dadurch verschleppt.
Dennoch gehen die Deutschen international gesehen sehr häufig zum Arzt, trotz Praxisgebühr immer noch durchschnittlich 17 Mal im Jahr...
Ich bin nicht überzeugt, dass dies überhaupt auf der individuellen Ebene über Geld zu steuern ist. Union und FDP sind zwar der Meinung, es müsse über den Markt und damit im Wesentlichen über monetäre Anreize gelenkt werden, aber es zeigt sich doch, dass dies in dem Bereich nicht funktioniert. Vielleicht sollte man stattdessen über die freie Arztwahl nachdenken, die es übrigens in der Form, wie wir sie kennen, in vielen anderen europäischen Ländern gar nicht gibt. Aber das ist eine „heilige Kuh“, an die wird man so schnell nicht rankommen.
Gibt es andere Punkte, an denen Sie ansetzen würden?
Schauen wir uns doch erstmal an, weshalb die Zahl der Arztbesuche hierzulande so hoch ist. Das liegt ja nicht daran, dass es die Leute so gesellig finden zum Arzt zu gehen. Es hat vor allem damit zu tun, dass sie sich eine zweite oder dritte Meinung auch von Fachärzten einholen. Das treibt die Zahl in die Höhe. Hinzu kommt, dass wir in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sehr restriktiv handhaben. Ein Arbeitnehmer muss, wenn er krank ist, innerhalb von drei Tagen eine Bescheinigung des Arztes beim Arbeitgeber vorlegen.
Und das lässt die Zahl der Arztbesuche steigen?
Na klar. Es gibt differenziertere Statistiken, die das belegen: Selbst wenn man den Arzt nur kurz sieht, um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu bekommen, zählt das als Arztbesuch. Genauso, wenn man ein Rezept abholt.
Sind Sie denn grundsätzlich der Auffassung, dass die Zahl der Arztbesuche zu hoch ist und dass lenkend eingegriffen werden müsste?
Ich halte die Zahl auch für ziemlich hoch. Die Frage ist aber, wie man damit umgeht. Viele Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, befürworten eine Steuerung. Ihre Vorschläge gehen allerdings dahin, dass Patienten die Kosten der Behandlung zunächst selbst übernehmen und sich dann von den Krankenkassen erstatten lassen. Doch das kann natürlich nicht unser Weg als Linke sein, dass der Patient in Vorleistung gehen muss. Es steht zu befürchten, dass dann notwendige Arztbesuche wieder nicht stattfinden. Meiner Meinung nach müsste stattdessen darüber nachgedacht werden, wie man die Patientenströme mehr steuert – zum Beispiel über eine Hausarztzentrierung oder medizinische Versorgungszentren als erste Anlaufstelle.
(sas)