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Die Grundausrichtung der Verbraucherpolitik soll neu justiert werden. In erster Lesung debattierte der Bundestag am Donnerstag, 22. März 2012, einen Antrag der SPD-Fraktion mit dem Titel "Verbraucherpolitik neu ausrichten" (17/8922), der eine Überarbeitung der verbraucherpolitischen Strategie von der Bundesregierung einfordert. Ein Ziel des Antrags ist es, dass Verbraucherpolitik in Zukunft auch als Sozialpolitik verstanden werden soll.
Ulrich Kelber (SPD) attestierte, dass die deutsche Verbraucherpolitik nicht mehr auf der Höhe der Zeit sei. "Es wurde nicht Schritt gehalten mit der Europäisierung der Märkte", sagte er, "denn die Verbraucher sind nicht mehr auf der Augenhöhe mit den Konzernen."
Notwendig sei ein "Realitätscheck" der Verbraucherpolitik in Europa und Deutschland. Das bisher von der Bundesregierung propagierte Leitbild des "mündigen Verbrauchers" reiche nicht mehr aus. Kelber: "Nicht jeder kann immer Experte für alles sein." Nicht alle könnten bei jeder kleinen Betrügerei vor Gericht ziehen.
"Die SPD will volle Informationen und volle Vergleichbarkeit von Angeboten schaffen", sagte Kelber. Helfen sollen stärkere staatliche Institutionen, die Recht und Gesetz durchsetzen sollen, denn "geschriebenes Recht allein hilft Verbrauchern nicht". Immer wieder würden sich Unternehmen nicht an Vorgaben zum Nachteil der Bürger halten.
Deshalb sollen die Verbraucherschutzorganisationen als Marktwächter mit Muster- und Sammelklagen verbraucherfreundliche Regelungen einfordern können. Auf diese Weise sollen Hilfestellungen für nicht erfahrene Verbraucher eingeführt werden. Schließlich forderte der Sozialdemokrat, dass in der Politik über neue Formen der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ressorts und neue Zuschnitte der Ministerien nachgedacht werden soll.
"Ilse Aigner hat in Europa und Deutschland dem Verbraucherschutz Gewicht und Bedeutung gegeben", erwiderte Dr. Gerd Müller (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, auf die Kritik seines Vorredners. Der Verbraucherschutz sei das einzige Politikfeld, das ausnahmslos alle Deutschen betreffe.
Ilse Aigner (CSU), Bundesverbraucherschutzministerin, habe mit der Einführung des Informationsportals Lebensmittelklarheit.de einen Erfolg vorzuweisen, der von der Opposition nicht genügend gewürdigt werde. "Die Bundesregierung hat die Rechte der Verbraucher beim Abschluss von Telekommunikationsverträgen gestärkt; die Abzocke über Telefon und Handy ist unter der Ministerin schwieriger geworden", sagte der Staatssekretär.
"Wir unterscheiden uns von ihren Vorschlägen, indem wir sagen: Du bist frei", erläuterte Müller den Unterschied zu den Forderungen im SPD-Antrag. "Wir wollen die Informationsrechte stärken, um vor Täuschung zu schützen."
Nach dem Dioxinskandal Ende 2010 sei sofort der Aktionsplan der Ministerin umgesetzt worden. Durch die Mitarbeit an der EU-Spielzeugrichtline habe die Bundesregierung für mehr Sicherheit für die Kinder gesorgt. "Das hat eine europäische Dimension", versuchte Müller Kelbers Vorwurf zu widerlegen.
Doch Caren Lay (Die Linke) teilte die positive Bilanz, die Müller gezogen hatte, nicht: "Der Verbraucherschutzhaushalt spielt im gesamten Etat der Bundesregierung eine untergeordnete Rolle und ist unterfinanziert." Ein Beleg für Lay, dass der Verbraucherschutz durch die Regierung stiefmütterlich behandelt werde.
"Wir wollen einen Finanz-TÜV, der Verbraucher schützen soll und nicht die Banken", stellte Lay für ihre Fraktion die Forderung nach der Modernisierung des Verbraucherschutzes in der Finanzdienstleistungsbranche. "Jeder Kiosk wird kontrolliert, aber die Banken nicht", beschwerte sie sich, dass der Steuerzahler mit Milliardenkrediten die Finanzwirtschaft stütze, aber die Verbraucher mit zu hohen Zinsen für Dispositionskredite gleichzeitig geschröpft würden.
"Niemand kann heute die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Unternehmen ohne Jurastudium verstehen", sagte Lay. Doch statt Abhilfe zu leisten, würden CDU/CSU und FDP mit ihrem Mantra des mündigen Verbrauchers die Verantwortung abschieben, statt zur Verbesserung beitragen.
Für die Liberalen hielt Prof. Dr. Erik Schweickert (FDP) gegen die Vorwürfe, dass die SPD in ihrer Regierungszeit die Hedgefonds zugelassen, die Bundesregierung jedoch ungedeckte Leerverkäufe verboten hat. "Verbraucherpolitik ist für uns ein wichtiges Bürgerrecht", sagte Schweickert. "Wir geben nicht vor, was der Verbraucher zu kaufen, zahlen oder zu gebrauchen hat."
Dass sich die Banken nach wie vor einen "schlanken Fuß machen", gestand er ein. "Doch da wird die Regierung nachsteuern." Schließlich habe die aktuelle Bundesregierung den grauen Kapitalmarkt reglementiert. "Wir machen auch Schluss mit Betrügereien im Internet, denn der Button, der auf zahlungspflichtige Bestellungen hinweist, wird Pflicht."
Zu guter Letzt habe Schwarz-Gelb eine Schlichtungsstelle eingeführt, über die Kunden Ansprüche geltend machen können. "Und seit 2011 gibt es eine Schlichtungsstelle für Energie, um die Verbraucher zu stärken", unterstrich Schweickert die Leistungen der Koalitionsfraktionen.
Nicole Maisch (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Verbraucherschutzministerin eine unlautere Strategie vor: "Sie tut so wenig wie möglich, redet aber so viel wie möglich darüber." So sei Ilse Aigner in der Frage zur Regelung der Honorarberatung in der Finanzberatung Taten schuldig geblieben. "Es gab ein Eckpunktepapier, aber es geschieht nichts Konkretes."
Ebenfalls kritisierte Maisch, dass die Bundesregierung die Stiftung Warentest mit "Almosen" abspeise, statt "grundsätzlich etwas zu verändern". Aigner würde den Verbraucherschutz nur auf Pressekonferenzen verhandeln, aber die Parlamentarier raushalten.
Es ist nach Ansicht der Grünen geboten, die sogenannte Nährwertampel eizuführen. Durch die Farben Rot, Gelb und Grün würde dem Verbraucher leicht verdeutlicht, wie gesund ein Lebensmittel sei. "Das ist keine Bevormundung, wenn den Menschen die Wahrheit gesagt wird", sagt Maisch, die hinter dem Konzept des mündigen Verbrauchers der Regierungsfraktionen eine Politik der Verschleierung vermutete.
Mechthild Heil (CDU/CSU) widersprach jedoch der Forderung im SPD-Antrag, den Verbraucherschutz als Sozialpolitik zu begreifen: "Für uns sind Verbraucher nicht in erster Linie Schutzbefohlene." Jeder könne sich frei entscheiden und soll selbstbestimmt sein. Die CDU/CSU setze aus diesem Grund auf das Verbraucherinformationsgesetz.
"In der Verbraucherpolitik geht es um Vertrauensschutz, der nicht gesetzlich verordnet werden kann", sagte Heil. "Vertrauen kann man nicht verdienen, nur schenken." Deshalb forderte sie die Oppositionsfraktionen auf, gemeinsam die vertrauensvolle Beziehung zwischen Verbrauchern und Anbietern zu stabilisieren, statt schlechte Einzelfälle zu überhöhen und dadurch Misstrauen zu schüren.
Es kann laut Heil nicht schaden, verbraucherpolitische Strategien neu zu entwickeln. "Unsere Konzepte stehen, und wir sind verlässliche Partner", sagte die Unionspolitikerin, die der SPD anbot, bei der Konzeptfindung zu helfen.
Der Antrag der Sozialdemokraten wurde im Anschluss an die Debatte in die Ausschüsse überwiesen. (eis)