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Das Mantra der Vielfalt, frischen Optik und der ständigen Verfügbarkeit von Lebensmitteln ist nach Ansicht von Prof. Dr. Petra Teitscheid von der Fachhochschule Münster ein wesentlicher Grund für Lebensmittelverschwendung. Wenn der Verschwendung in Zukunft ein Riegel vorgeschoben werden soll, müssen "alle etwas dazu beitragen", sagte die Wissenschaftlerin am Montag, 23. April 2012, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Thema Lebensmittelverschwendung unter Vorsitz von Hans-Michael Goldmann (FDP).
Die Sitzung wird am Dienstag, 24. April, ab 15 Uhr zeitversetzt im Parlamentsfernsehen, im Web-TV auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Mit ihrer Aussage betonte Teitscheid, dass sie in der Frage nicht nur den Verbraucher in der Pflicht sieht. Eine Ansicht, die in der Runde der Sachverständigen diskutiert wurde, denn Franz-Martin Rausch vom Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels plädierte dafür, dass die Verbraucher besser über die Bedeutung der Mindesthaltbarkeitsdauer auf Produkten informiert werden müssen.
Auf diese Weise könne vermieden werden, dass pauschal Lebensmittel den Weg in die Mülltonne finden würden, die nur aufgrund des Verfalls des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verzehrt werden, obwohl diese in der Regel gut seien.
Klaus-Peter Feller von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie pflichtete bei: "Die Verbraucher müssen befähigt werden, sorgsam mit Lebendmitteln umzugehen." Von rund elf Millionen Tonnen weggeworfener Lebensmittel würden etwa 6,6 Millionen Tonnen im Hausmüll entsorgt. Feller schlug vor, mehr für die Verbraucherbildung zu tun, indem in der Früherziehung und an Schulen mit der Sensibilisierung für das Thema begonnen wird.
Er lehnte jedoch die Forderung ab, das Mindesthaltbarkeitsdatum als Orientierung abzuschaffen. "Es grenzt sich klar vom Verfallsdatum ab und ist zu verstehen." Neue Begriffe müssten ebenfalls erst eingeführt werden und könnten auch missverstanden werden.
Jürgen Benad vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband machte deutlich, dass es nicht im Interesse der Gastronomie sei, Lebensmittel zu verschwenden. Zum einen sei die gewerbliche Entsorgung teuer, und zum anderen würde kein Unternehmer gerne auf den Kosten unverbrauchter Lebensmittel sitzenbleiben wollen.
"Die Weitergabe übriggebliebener Lebensmittel an Tafeln ist nicht einfach", erklärte er. Was an Gäste nicht verkauft und mitgegeben wurde, unterliege bei der bloßen Weitergabe für gute Zwecke strengen Vorschriften: "Ein Risiko, das die Gastronomen scheuen." So müssten bei einem Weitertransport die Einhaltung der Kühlkette sowie Desinfektionsschutzgesetze und Hygieneverordnungen beachtet werden, die über den bloßen guten Willen zu extra Kosten und mehr Verantwortung führen.
Der Journalist Stefan Kreutzberger widersprach seinen Vorrednern jedoch, dass das Problem in erster Linie ein Problem der Verbraucher sei. "Es müssen auch mal die Äcker genau angeschaut werden", sagte er. Viele Lebensmittel würden untergepflügt, weil sie nicht den Normen entsprächen oder die Preise nicht gut genug seien. "Diese werden bloß nicht als Lebensmittel betrachtet", kritisierte er. "Klar, dass dann in den Studien nur noch die Verbraucher übrig bleiben." Auch glaubt er, dass es dem Handel im Grunde egal sei, wie viel die Kunden wegwerfen: "Hauptsache, es wird viel verkauft."
Kreuzberger schlug vor, die Normen zu lockern, wie Lebensmittel auszusehen haben. Auf diese Weise könnten Lebensmittel unterschiedlicher Qualitätsstufen angeboten werden, statt diese zu entsorgen, und vermeintlich "hässliche" Gurken oder Möhren könnten in den Handel kommen.
Der Koch Michael Schieferstein von der Baron Gastronomie GmbH erzählte den Ausschussmitgliedern von seinen Erfahrungen als Ausbilder: "Es ist wichtig seine Lehrlinge zu erziehen, alle Lebensmittel zu verwerten." Er sieht in der Gastronomie, in den Bäckereien, Metzgereien und den übrigen Betrieben in der Lebensmittelwirtschaft die Verantwortung in der Ausbildung.
Petra Treitscheid differenzierte auf der Grundlage einer eigenen Studie: "So wird Fleisch von Verbrauchern sehr wohl wertgeschätzt." Schwierig verhalte es sich hingegen mit Frischeprodukten wie Obst und Gemüse. Sowohl Verbraucher als auch Händler würden aufgrund fehlender frischer Optik und der ständigen Verfügbarkeit Verluste einkalkulieren oder den Salatkopf auch einfach wegwerfen.
Dennoch sieht sie Lösungsmöglichkeiten: "Aber wichtiger ist, dass sich alle Beteiligten einmal zusammensetzen." Die Wissenschaftlerin glaubt, dass jeder vom Acker bis zum Küchentisch an der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung interessiert ist, "doch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist noch nicht hoch genug".
Auch der Journalist Valentin Thurn machte das Mantra der Vielfalt, frischen Optik und der ständigen Verfügbarkeit von Lebensmitteln als wesentliche Ursache für die Verschwendung aus und kritisierte die Lebensmittelindustrie und den Handel dafür, sich bei der Kritik an den Verbrauchern vor der eigenen Verantwortung zu drücken, denn der Verbraucher müsse genauso ins Boot geholt werden wie die Produzenten und die Industrie.
Thurn trat dafür ein, dass die Normierung von Lebensmitteln abgeschafft, das Wegwerfen von Lebensmitteln verteuert und die Weiterverwertung gestärkt wird. (eis)