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Die Brüsseler EU-Kommission oder nationale Parlamente wie der Bundestag sollen sich zwar nicht in Details der Mediengesetzgebung anderer Staaten einmischen, aber EU-weit auf die Beachtung grundlegender Standards bei der Pressefreiheit dringen, fordert Gabriele Molitor, stellvertretende Vorsitzende des Europaausschusses. Schließlich verstehe sich die EU als "Wertegemeinschaft". Die FDP-Abgeordnete im Interview: "Allerdings müssen wir auch unsererseits bereit sein, solche Kritik einzustecken." Am Donnerstag, 26. April 2012, diskutiert das Plenum über die Medienfreiheit auf EU-Ebene auf der Basis eines Antrags von Bündnis 90/Die Grünen (17/6126) und einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien (17/8203). Das Interview im Wortlaut:
Frau Molitor, steht es dem Bundestag zu, sich in innere Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, in diesem Fall gegenüber Ungarn, Frankreich und Italien beim Thema Medienfreiheit? Deutsche Abgeordnete würden es sich wohl verbitten, wenn ihnen Parlamente anderer Länder vorschreiben wollten, was sie zu tun und zu lassen haben.
In einem demokratischen Europa sollten sich nationale Volksvertretungen wie der Bundestag durchaus mit der Frage befassen, wie es in den EU-Ländern um die Wahrung von Grundrechten wie der Medienfreiheit bestellt ist. Die Brüsseler Union begreift sich als Wertegemeinschaft, und dazu gehört auch die Beachtung wesentlicher Freiheitsnormen auf nationaler Ebene. Wenn nötig, sollte sich der Bundestag nicht scheuen, Kritik an bedenklichen Vorgängen in EU-Staaten üben. Allerdings müssen wir auch unsererseits bereit sein, solche Kritik einzustecken.
Laut dem Antrag der Grünen soll der Bundestag Brüssel mit dem Ziel unter Druck setzen, vor allem in Ungarn einzugreifen und dort auf eine Revision der Mediengesetzgebung zu dringen. Soll der Bundestag in die EU-Politik hineinregieren?
Die Brüsseler Kommission hat ja gegenüber Budapest schon ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Dabei geht es um mehrere Aspekte wie etwa die Unabhängigkeit der Notenbank oder den Datenschutz, aber auch um die Presse. Die EU prüft also bereits, ob die ungarischen Mediengesetze mit dem EU-Presserecht vereinbar sind oder mit dessen Vorgaben kollidieren. Es kann nicht schaden, von Deutschland aus dieses Brüsseler Vorgehen politisch zu unterstützen.
Wie weit reicht überhaupt die Kompetenz von EU-Instanzen gegenüber Mitgliedsstaaten in der Medienpolitik?
Brüssel hat nicht die Macht, Details der Pressegesetzgebung auf nationaler Ebene zu dekretieren, eine solch weitgehende Einmischung wäre auch abzulehnen. Die EU kann jedoch darauf pochen, dass die einzelnen Länder beim Thema Medienfreiheit grundlegende Standards einhalten, die in internationalen Verträgen wie der EU-Grundrechtecharta postuliert sind. Dazu gehören nicht zuletzt die Unabhängigkeit und Staatsferne des Rundfunks. Die EU-weite Sicherstellung solcher Normen sollte auch ein Anliegen nationaler Abgeordnetenhäuser wie des Bundestages sein.
Wie steht es eigentlich um die Pressefreiheit in der EU? Wird in deren Mitgliedsländern eine unabhängige und kritische Berichterstattung tatsächlich bedroht oder gar unterdrückt?
Nein, so verhält es sich nicht. Auf EU-Ebene existiert bei der Medien- und Informationsfreiheit alles in allem ein recht hohes Niveau. Das schließt aber nicht aus, dass es hie und da zu Verletzungen dieser Grundrechte kommt. In vielen Staaten decken Journalisten politische Skandale auf, ohne Pressefreiheit ist das unmöglich. Indes sollten wir über Medienfreiheit auch bei uns kritisch diskutieren. Ein Beispiel: Lange Zeit konnten Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat juristisch belangt werden, wenn sie Dokumente veröffentlichten, die ihnen aus dem Staatsapparat heraus von Amtsträgern vertraulich zugespielt wurden. Erst jüngst hat der Bundestag diese Regelung endlich gestrichen.
Die Koalitionsmehrheit im Kulturausschuss appelliert an das Plenum des Bundestages, den von SPD und Linken unterstützten Antrag der Grünen abzulehnen. Ein Argument lautet so: In Ungarn spielten restriktive Aspekte des Mediengesetzes in der Praxis keine Rolle. Hat sich die Kritik an Budapest inhaltlich erledigt?
Keineswegs, diese Schlussfolgerung lässt sich aus dem Votum der Koalitionsfraktionen nicht ziehen. Im Mai will Ungarn einen Entwurf für ein revidiertes Mediengesetz vorlegen, und diese Debatte muss aufmerksam verfolgt werden. Die zentrale Frage ist, ob die Änderungen die demokratische Rolle von Rundfunk und Presse stärken. Falls erforderlich, ist weiterhin freundschaftliche Kritik an Ungarn geboten.
Der Antrag der Grünen geht auch mit dem weitreichenden Einfluss des Staats und besonders von Präsident Nicolas Sarkozy auf französische TV-Sender ins Gericht. Sind solche Vorwürfe berechtigt?
Ich maße mir kein abschließendes Urteil an. Was für Ungarn gilt, trifft aber im Kern auch auf Frankreich zu: Weder die EU noch andere Nationen sollten sich in Details der französischen Medienpolitik einmischen, doch es gilt, in unserem Nachbarland ebenfalls auf die Wahrung grundlegender Standards in Sachen Pressefreiheit zu achten. Speziell im Blick auf die Staatsferne des Rundfunks sollten wir uns freilich an die eigene Nase fassen: Die parteipolitische Dominanz in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender wirft manch kritische Frage auf.
(kos)