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Von Altersarmut bis Zeitarbeit - die Themen, mit denen sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales befasst, betreffen irgendwann jeden Menschen, ob alt, ob jung, ob Arbeitnehmer oder Rentner, selbstständig oder ohne Beschäftigung. Wie zentral das Politikfeld ist, für das der Ausschuss mitverantwortlich ist, zeigt auch ein Blick auf die Zahlen: Für kein anderes Ressort gibt der Staat so viel Geld aus wie für das Arbeits- und Sozialministerium. 2011 waren es rund 131 Milliarden Euro - knapp zwei Drittel der Steuereinnahmen des Bundes. Zudem betrifft ein Großteil der Gesetzgebung die sozialen Sicherungssysteme und die Arbeitsmarktpolitik.
Dementsprechend hoch ist auch das Arbeitsaufkommen im Ausschuss. Kaum ein anderer beruft beispielsweise so viele Experten-Anhörungen ein wie der Arbeits- und Sozialausschuss. "Wir haben in der letzten Zeit fast an jedem Montag eine durchgeführt, an manchen sogar zwei", sagt Katja Kipping (Die Linke), die seit seit Beginn der Legislaturperiode im Herbst 2009 die Ausschussarbeit leitet. Mit ihren 34 Jahren ist sie derzeit die jüngste Ausschussvorsitzende im Bundestag. Dennoch ist die Abgeordnete aus Dresden mitnichten ein Parlamentsneuling: Bevor sie 2005 das erste Mal in den Bundestag einzog, war sie bereits sechs Jahre Mitglied des sächsischen Landtags.
Und auch fachlich hat sich die Slawistin und Literaturwissenschaftlerin längst profiliert: Seit 2005 ist sie sozialpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. 2007 wurde die junge Frau mit den hennaroten Haaren zudem Vizevorsitzende der Partei Die Linke.
Im Arbeits- und Sozialausschuss ist Kippings Stellvertreter der Unionsabgeordnete Max Straubinger, der die bayerischen Landkreise Dingolfing-Landau und Rottal-Inn repräsentiert. Insgesamt hat der Arbeits- und Sozialausschuss 37 Mitglieder - und ist damit einer der größten Ausschüsse im Bundestag.
14 Mitglieder stellt davon die CDU/CSU-Fraktion, neun die SPD und sechs die FDP. Jeweils vier Abgeordnete gehören der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an. Das berufliche Spektrum reicht vom Kfz-Mechaniker bis zum Juristen, von der Baustofftechnologin bis zum Pfarrer. Außerdem finden sich Journalisten, Pädagogen, Politologen und ein Landwirt. Auch Gewerkschafter und Aufsichtsratsmitglieder sind im Gremium vertreten.
Ein bunte Mischung also, doch für die Vorsitzende Kipping ist vor allem eines entscheidend: der Bezug zur Praxis. "Viel wichtiger als das, was ein Abgeordneter als Erwerbsarbeit gelernt hat, ist aus meiner Sicht, dass er die Rückkopplung hat, welche Auswirkungen die Gesetze haben, die wir hier in Berlin verabschieden."
Sie selbst hält im Wahlkreis bewusst Kontakt zu Gruppen und Interessenvertretungen: "Ich besuche regelmäßig Behindertenwerkstätten, Beratungsstellen oder Erwerbsloseninitiativen." Es sei wichtig, die Stimme der Selbstorganisationen zu hören, findet sie.
Natürlich holt sich auch der Ausschuss Expertise von außen. Fast immer finden diese Anhörungen auch öffentlich statt. Anders als zu den die normalen Sitzungen des Ausschusses, die in Sitzungswochen zwischen 9.30 und 13 Uhr im Paul-Löbe-Haus stattfinden, sind hier Journalisten und die "interessierte Öffentlichkeit" zugelassen.
Laut Geschäftsordnung haben Ausschusssitzungen selbst nichtöffentlich stattzufinden. Gibt es aber unter den Mitgliedern eine Mehrheit dafür, dass eine Sitzung ausnahmsweise nicht hinter verschlossenen Türen abgehalten werden soll, so kann der Ausschuss dies beschließen. Grundsätzlich behandelt er Gesetzentwürfe in zwei Lesungen - nach der so genannten Einbringung folgt oft eine Anhörung, dann schließt sich eine erneute Beratung an. Bei großem Diskussionsbedarf kann eine weitere Beratung vereinbart werden.
Anträge werden dagegen in der Regel nur einmal beraten. Auch Anhörungen finden dazu selten statt. "Es sei denn, es wird ein bestimmtes Quorum erreicht." Als eine weitere Form der Informationsbeschaffung hat der Ausschuss die Möglichkeit, die Bundesregierung zur Befragung einzuladen. Zwar ist ein Vertreter des Arbeits- und Sozialministeriums, in der Regel der parlamentarische Staatsekretär, stets bei Ausschusssitzungen dabei. Doch schon eine Fraktion kann durch Stellung eines so genannten Berichtsantrags erreichen, dass die Ministerin selbst in den Ausschuss gebeten wird. "In der Sozialpolitik unterscheiden sich die Parteien eben ganz grundsätzlich in ihren Positionen", gibt Kipping zu bedenken.
Fällt es ihr da nicht besonders schwer, die neutrale Moderatorenrolle als Ausschussvorsitzende zu übernehmen? "Nein. Wenn ich eine Sitzung leite, kann ich keine Parteiposition vertreten", stellt Kipping klar. "Gibt es aber einen Punkt, der mir politisch so wichtig ist, dass ich als Linke zugespitzt argumentieren möchte, übergebe ich die Sitzungsleitung an meinen Stellvertreter und wechsele den Platz." So sei dann auch optisch klar, dass sie nicht mehr als Vorsitzende spreche.
Dennoch bleibt es ein Spagat für die Politikerin, deren Aufgabe es schließlich auch ist, als sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion pointiert Stellung zu Themen zu nehmen. Ganz bewusst hat Kipping aber entschieden, gleichzeitig den Ausschussvorsitz zu übernehmen - wenn auch nicht aufgrund des vermeintlich großen Gestaltungsspielraums: "Am Anfang meiner Tätigkeit habe ich Bürgerbriefe bekommen, die klangen so, als sei ich eine Autorität wie Obama", schmunzelt Kipping. "Herzlichen Glückwunsch, Sie sind jetzt einen Monat im Amt. Wir hoffe, Sie hauen als Linke jetzt auf den Tisch und beenden die Rentenungerechtigkeit!"
Doch die Möglichkeiten einer Vorsitzenden seien begrenzt - und Mehrheitsverhältnisse ließen sich eben nicht umdrehen. Dass sie die Aufgabe trotzdem reizte, liegt vor allem an der Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen. Eine Vielzahl von Vereinen, Verbänden und Initiativen wenden sich stets mit der Bitte um ein Treffen an die Ausschussvorsitzende. (sas)