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Welche Funktion hat Immunität? Und wird diese im europäischen Vergleich unterschiedlich definiert? Um diese und andere Fragen ging es am Mittwoch, 30. Mai 2012, beim W-Forum der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Schöler zum Thema "Das Problem von strafrechtlicher Immunität und Korruption von Amtsträgern im europäischen Vergleich". Dr. Tilman Hoppe, Leiter eines Antikorruptionsprojekts im Europarat, machte deutlich, dass die Funktion von Immunität, die — grob definiert — staatliche Amts- und Mandatsträger für die Dauer ihres Mandates oder — wie in einigen Ländern — zeitlich unbegrenzt vor Strafverfolgung schützt, im europäischen Vergleich tatsächlich unterschiedlich bewertet wird.
Während sie etwa in Deutschland als Schutzfunktion für das gesamte Parlament verstanden werde, um dessen Handlungs- und Funktionsfähigkeit zu garantieren, gelte sie in anderen Ländern als "Privileg des einzelnen Abgeordneten". Gerade in vielen Ländern Osteuropas sei zudem die Liste der Funktionsträger, die Immunität genießen würden, länger als in westeuropäischen Staaten, in denen zumeist lediglich das Staatsoberhaupt und die Parlamentarier vor Strafverfolgung geschützt seien.
Doch auch wenn Immunität für Regierungsmitglieder, Beamte, Richter und Notare in einigen Ländern Osteuropas festgeschrieben worden sei, könne die Region damit keineswegs als "Paradies der Immunitäten" gelten, erklärte Hoppe. "In vielen Ländern gibt es eine eindeutige Tendenz, die Immunitäten wieder zu reduzieren." Als Beispiele nannte er Rumänien und Kroatien, die die Listen derjenigen, die Immunität genießen — auch mit Blick auf den Beitritt zur Europäischen Union — inzwischen gekürzt hätten oder dies planten.
Damit praktizierten sie eine striktere Immunitätsvergabe als die EU selbst, deren Regelung die europaweit weitreichendste sei mit der Folge, dass alle 23.000 EU-Beamten in allen 27 Mitgliedsländern immun seien. Für Hoppe Anlass zur Kritik: "Wenn in Europa Regeln für einen gemeinsamen Markt gelten und eingehalten werden sollen, wie soll dann vermittelt werden, dass EU-Beamte vor der Strafverfolgung bulgarischer oder belgischer Gerichte geschützt werden müssen?"
In seinem Vortrag machte Hoppe deutlich, dass die Diskussion über Immunität gerade hinsichtlich möglicher Korruptionsvorwürfe "besonders misslich" sei. Schließlich werde in diesen Fällen "genau das Amt oder Mandat, das vor Strafverfolgung geschützt ist, zum eigenen Vorteil genutzt".
Im Zusammenhang mit dem weiten und zugleich juristisch nicht definierten Begriff der Korruption verdeutlichte im Anschluss Steffi Menzenbach, wie der Straftatbestand der Bestechung in Deutschland geregelt beziehungsweise im Hinblick auf Abgeordnete und angesichts internationaler Konventionen bislang nicht ausreichend geregelt ist.
Es gebe zwei maßgebliche Übereinkommen — das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates sowie das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption — die Deutschland 1999 beziehungsweise 2003 zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert habe, erläuterte Menzenbach, die als Juristin in der Bundestagsverwaltung arbeitet. Dies liege vor allem daran, dass die Bundestagsfraktionen sich bislang nicht auf eine Reform der Abgeordnetenbestechung hätten einigen können.
In den meisten Unterzeichnerstaaten ist das anders: Von den insgesamt 47 Mitgliedern des Europarates haben 42 Staaten das Übereinkommen ratifiziert, hinsichtlich der UN-Konvention gilt das für 140 von 160 Staaten. Beide Übereinkommen sehen unter anderem vor, Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten unter Strafe zu stellen.
Definiert werde dieser Straftatbestand in beiden Konventionen ähnlich, erläuterte Menzenbach, nämlich anhand von vier Merkmalen. So werde die Bestechlichkeit eines Abgeordneten daran festgemacht, dass er — erstens — einen ungerechtfertigten Vorteil — zweitens — unmittelbar oder mittelbar fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, und zwar — drittens — für sich selbst oder eine dritte Person, und das als — viertens — Gegenleistung dafür, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandats eine Handlung vornimmt oder unterlässt.
Zwar kenne auch das deutsche Strafrecht diese Merkmale, so Menzenbach, allerdings lediglich bezogen auf sogenannte Amtsdelikte, die folglich auch nur für Amtsträger — Beamte, Richter und Regierungsmitglieder — gelten. Abgeordnete hingegen verstehe das nationale Recht aufgrund ihres besonderen, verfassungsrechtlich verbürgten Status nach Artikel 38 des Grundgesetzes nicht als Amtsträger.
Deshalb gibt es für sie Spezialregelungen. Eine davon ist Paragraf 108e des Strafgesetzbuches, der seit 1994 festschreibt, dass Abgeordnetenbestechung dann vorliegt, wenn es jemand "unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen". Eindeutig erfasst davon seien, so erklärte Menzenbach, Abstimmungen im Plenum oder in Ausschüssen, nicht aber Abstimmungen in den Arbeitskreisen der Fraktionen.
Damit regelt das Strafgesetzbuch nur einen Teil der Vorgaben, die nach den internationalen Konventionen auch für Abgeordnete gelten sollen. "Der wohl weitreichendste Unterschied ist", erklärte Menzenbach, "dass die Übereinkommen alle Handlungen und Unterlassungen bei der Mandatsausübung als Anknüpfung nehmen, während die Abgeordnetenbestechung sich eben auf Abstimmungen im Plenum und in den Ausschüssen beschränkt."
In drei Gesetzentwürfen schlagen deshalb die Fraktionen von SPD (17/8613) , Bündnis 90/Die Grünen (17/5933) und Die Linke (17/1412) eine Erweiterung des Paragrafen 108e vor. Alle drei Entwürfe orientierten sich eng an den Vorgaben der Übereinkommen, sagte Menzenbach; im Detail gebe es allerdings Unterschiede. "Diese Unterschiede betreffen unter anderem die Frage, wie der Tatbestand hinreichend begrenzt werden kann mit Blick auf die freie Ausübung des Mandats."
Konkret sollten etwa solche Verhaltensweisen, die "im politischen Kontext üblich sind", von vornherein aus der Strafbarkeit ausgeklammert werden. Das betreffe etwa die Annahme von symbolischen Geschenken oder Einladungen zu gemeinsamen Abendessen.
Am 17. Oktober dieses Jahres wird sich der Rechtsausschuss in einer öffentliche Anhörung mit dem Thema befassen. Dann wird auch darüber diskutiert werden, warum Deutschland anders als die meisten anderen Länder Europas die internationalen Konventionen bislang nicht umgesetzt hat. (nt)