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Der Bundestag entscheidet am Freitag, 29. Juni 2012, in namentlicher Abstimmung über die schwarz-gelbe Pflegereform. Neben Verbesserungen für Demenzkranke ist in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung" (17/9369) eine Erhöhung des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung um 0,1 Prozentpunkte auf 2,05 Prozent — bei Kinderlosen auf 2,3 Prozent — geplant. Die Koalitionsfraktionen wollen zudem die private Pflege-Zusatzvorsorge finanziell fördern. Die Regierung geht in ihrem Entwurf davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von heute 2,4 Millionen bereits in wenigen Jahrzehnten auf vier Millionen ansteigt. Die 75-minütige Debatte soll um 9 Uhr beginnen. Zur Abstimmung stehen auch Anträge der Fraktionen Die Linke (17/9393) und Bündnis 90/Die Grünen (17/9566 und 17/2924). Der Gesundheitsausschuss hat dazu eine Beschlussempfehlung (17/10157, 17/10171) vorgelegt. In erster Lesung soll der Antrag der SPD-Fraktion (17/9977) "Für eine umfassende Pflegereform" beraten werden.
Die von Union und FDP geplante Reform soll Anfang 2013 in Kraft treten. Aufgrund der Beitragssatzsteigerung rechnet die Koalition in den Jahren 2013 bis 2015 mit Mehreinnahmen in Höhe von insgesamt rund 3,54 Milliarden Euro.
Die Opposition kritisiert am schwarz-gelben Vorhaben vor allem, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht neu definiert wird. Das bedeutet, es wird nicht neu festgelegt, wer welche Ansprüche auf Leistungen der Pflegeversicherung haben soll. Bislang zielt der Pflegebedürftigkeitsbegriff lediglich auf körperliche Defizite ab. Die Neudefinition soll nach dem Willen der Koalition ein Expertenbeirat unter Leitung des Patientenbeauftragten der Regierung, Wolfgang Zöller, vorbereiten.
Gleichwohl ist — als Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff — im Pflegereformgesetz eine bessere Unterstützung von demenziell Erkrankten vorgesehen. Danach erhalten Versicherte ohne Pflegestufe mit "erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz" (sogenannte Pflegestufe 0) erstmals Anspruch auf ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 120 Euro oder Pflegesachleistungen von bis zu 225 Euro. Demenzkranke mit Pflegestufe I ("erhebliche Pflegebedürftigkeit") sollen ein um 70 Euro auf 305 Euro erhöhtes Pflegegeld oder um 215 Euro auf bis zu 665 Euro erhöhte Pflegesachleistungen bekommen.
Demenziell Erkrankte mit Pflegestufe II ("schwere Pflegebedürftigkeit") erhalten den Angaben zufolge ein um 85 Euro auf 525 Euro erhöhtes Pflegegeld oder um 150 Euro auf 1.250 Euro erhöhte Pflegesachleistungen. Die bisher auf Antrag und nach erfolgter Prüfung gewährten zusätzlichen Betreuungsleistungen in Höhe von 100 beziehungsweise 200 Euro — etwa für die Inanspruchnahme einer Tagespflege — bleiben den Angaben zufolge bestehen.
Nach den Plänen der Regierung können Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Leistungen der Pflegedienste künftig flexibler in Anspruch nehmen, indem bestimmte Zeitvolumina für die Pflege gewählt werden. Mit den Pflegediensten zusammen können Pflegebedürftige und Angehörige dann entscheiden, welche Leistungen in diesem Zeitkontingent erbracht werden.
Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, pflegenden Angehörigen eine Auszeit zu erleichtern. Das Pflegegeld soll künftig zur Hälfte weitergezahlt werden, wenn eine Kurzzeit- oder Verhinderungspflege in Anspruch genommen wird. Die Pflegekassen sollen den Angaben zufolge verpflichtet werden, spätestens fünf Wochen nach Eingang über einen Antrag auf Pflegebedürftigkeit zu entscheiden. Ansonsten müssen sie nach dem Willen der Bundesregierung je Tag der Verzögerung zehn Euro an den Antragsteller zahlen.
Künftig werden dem Gesetzentwurf zufolge Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige als Versorgungsalternative zur Pflege zu Hause oder im Heim gefördert. Pflegebedürftige, die in einer solchen ambulant betreuten Wohngemeinschaft leben, bekommen einen Zuschlag von pauschal 200 Euro monatlich.
Der "Pflege-Bahr" sieht vor, Anreize für mehr Eigenvorsorge zu geben, da die soziale Pflegeversicherung lediglich einen Teilkaskoschutz bietet. Wer privat für den Pflegefall mit einer Pflegetagegeldversicherung vorsorgt, soll nach dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vom Bund eine Zulage von fünf Euro pro Monat erhalten. Es müssen zehn Euro im Monat als Mindestbetrag eingesetzt werden.
Zudem muss der Versicherungsvertrag vorsehen, dass im Pflegefall in der höchsten Pflegestufe III mindestens 600 Euro pro Monat ausgezahlt werden. Männer und Frauen sollen dieselben Versicherungsbedingungen erhalten (Unisex-Tarife). Die Versicherungsunternehmen sollen den Angaben zufolge keinen Antragsteller aufgrund gesundheitlicher Risiken ablehnen, wohl aber eine am Alter ausgerichtete Staffelung der Prämien vornehmen dürfen. Der Bund will im kommenden Jahr für die Zulagenförderung zunächst 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
Im sogenannten Omnibusverfahren haben die Koalitionsfraktionen zudem eine Reform der Regelungen zu Schwangerschaft und Mutterschaft in das Gesetzgebungsvorhaben eingebracht. Diese Regelungen sollen von der Reichsversicherungsordnung (RVO) in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) überführt werden. Ferner sollen einige Neuerungen ins Gesetz aufgenommen werden. Unter anderem soll nach dem Willen von Union und FDP künftig ein Säugling Anspruch auf Hebammenhilfe haben, wenn — etwa in Fällen der Adoption oder bei Tod sowie krankheitsbedingter Abwesenheit der Mutter — kein Anspruch der Mutter selbst besteht.
Eine weitere Regelung sieht vor, dass in den Verträgen, die der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den Hebammenverbänden schließen, künftig Anforderungen an die Qualität der Leistungen in der gesamten Hebammenhilfe geregelt werden. Darüber hinaus soll der Anspruch auf ambulante Entbindung ausdrücklich geregelt werden. Als mögliche Geburtsorte werden in der Vorlage das Krankenhaus, eine von einer Hebamme oder einem Entbindungspfleger geleitete Einrichtung, eine ärztlich geleitete Einrichtung, eine Hebammenpraxis sowie die Hausgeburt genannt. (mpi)