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Viele hatten schon nicht mehr an ein gutes Ende geglaubt: Ende Januar 2012 wurde der ägyptische Militärkritiker und Blogger Maikel Nabil Sanad nach zehnmonatiger Haft und mehrwöchigem Hungerstreik in einem Kairoer Gefängnis begnadigt und freigelassen — auch dank des intensiven Engagements von Klaus Brandner (SPD), der im Rahmen des Programms "Parlamentarier schützen Parlamentarier" eine Patenschaft für den jungen Mann übernommen hatte.
Dezember 2011: Schon seit Wochen befindet sich Maikel Nabil Sanad im Hungerstreik, nimmt phasenweise nicht einmal Flüssigkeit zu sich. Im März 2011 Jahres ist der ägyptische Blogger von einem Militärgericht in Kairo zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden — wegen "Beleidigung des Militärs", "Verbreitung falscher Informationen" und "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit". Seine Eltern, sein Bruder Mark und seine Freunde fürchten um das Leben des damals 25-Jährigen, der während seines Hungerstreiks schon mehrfach ins Koma gefallen ist.
Auf öffentlich wirksamen Protest seiner Landsleute gegen seine Haft kann der junge Mann nicht hoffen — zum einen sind die Gefängnisse in den unruhigen Monaten vor und nach dem Sturz des ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak im Februar 2011 voll von Menschen, die willkürlich verhaftet worden sind; das Schicksal eines Einzelnen geht da leicht unter.
Zum anderen sind die politischen Positionen Sanads in weiten Teilen der ägyptischen Gesellschaft bis heute tabu. Als "liberal, proisraelisch, feministisch, atheistisch" hatte sich der arbeitslose Tierarzt aus Asjut im Süden des Landes in seinen Blogs geoutet, hatte im Herbst 2010 als einer der ersten Ägypter überhaupt den Militärdienst verweigert.
Ein gesellschaftlicher Außenseiter also, der auch auf ausländische Unterstützung angewiesen ist, um dem sich abzeichnenden Hungertod im Kairoer El-Marg-Gefängnis zu entgehen. In dieser Situation bittet der Bund für soziale Verteidigung den SPD-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe Klaus Brandner darum, eine Patenschaft für Sanad zu übernehmen.
Brandner sagte sofort zu und setzte alle Hebel in Bewegung, um eine baldige Freilassung seines Schützlings zu erreichen. "Mir war es wichtig, in dieser Sache offensiv Flagge zu zeigen", erzählt der Abgeordnete aus Gütersloh. "Denn ich finde, dass man als Parlamentarier eines Landes, in dem Gott sei Dank andere Freiheitsrechte gelten als etwa in Ägypten, Verantwortung über nationale Grenzen hinweg übernehmen sollte."
Natürlich spielte auch Brandners besonderes Interesse an Ägypten und dem politischen Umbruch dort eine Rolle bei dem Entschluss, sich für Sanad zu engagieren. "Als Sprecher der deutsch-ägyptischen PG habe ich natürlich viele Kontakte in das Land und damit ganz andere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, als jemand, der diese politische Funktion nicht hat", sagt er.
Über die deutsche Botschaft in Kairo nahm er Kontakt mit Sanads Bruder auf, der dem vom Hungerstreik Geschwächten bei einem Besuch im Gefängnis von der Unterstützung durch den Abgeordneten aus Deutschland berichtete. "Maikel hat mir später erzählt, dass ihn das sehr aufgebaut habe", erinnert sich Brandner, der mit großer Zuneigung von seinem "Patenkind" spricht.
Ein persönliches Treffen mit Sanad im Gefängnis sei ihm zwar verwehrt worden, aber "allein dadurch, dass man den Wunsch nach einem solchen Treffen äußert, bezieht man ja schon Position gegenüber einer anderen Regierung", meint der 63-Jährige.
Nur wenig später, am 24. Januar 2012, wurde Sanad, der am Neujahrstag 2012 seinen Hungerstreik nach 130 Tagen beendet hatte, vom Militärrat in Ägypten begnadigt und freigelassen — wohl auch dank des intensiven Einsatzes von Klaus Brandner. "Er hat sich dann sofort bei mir gemeldet und sich für die Unterstützung bedankt", so der Parlamentarier, der kein Hehl daraus macht, wie sehr ihn diese spontane Geste seines Schützlings berührt und gefreut hat.
Einige Monate später, im Mai 2012, trifft er Sanad in Kairo dann zum ersten Mal persönlich — und ist sofort sehr angetan von diesem "offenen, warmherzigen Menschen", den er nach dieser ersten Begegnung zwei Mal nach Berlin einlädt.
Derzeit ist der Kontakt zwischen den beiden enger denn je: Denn inzwischen lebt der heute 26-Jährige in Deutschland. In Erfurt absolviert er einen Studiengang in "Public Policy". Zwei Jahre wird er voraussichtlich hier bleiben, um Abstand zu gewinnen von den traumatischen Erlebnissen der Haft in Ägypten — es ist das vorläufige gute Ende einer Geschichte, die auch ganz anders hätte ausgehen können. (nal)