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Es ist einiges anders als sonst an diesem Mittwoch, 12. September 2012, bei der traditionellen Generaldebatte über die Politik der Bundesregierung. Schon der Zeitpunkt der üblicherweise am Morgen beginnenden Aussprache war ungewöhnlich: Um das für 10 Uhr angekündigte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rettungsschirm ESM und zum Europäischen Fiskalpakt abwarten zu können, wurde zunächst über den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung debattiert, bevor Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert den Haushalt von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) kurz vor 12 Uhr aufrief. Und dann ging es — ganz im Lichte der Karlsruher Entscheidung — um die Krise der Gemeinschaftswährung und den richtigen Weg zu ihrer Stabilisierung, aber auch um die aktuellen innenpolitischen Fragen zu Renten und Altersarmut, zur Energiewende und zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Frank-Walter Steinmeier begrüßte zum Auftakt der Debatte das Karlsruher Urteil. "Politisch können und müssen wir über den richtigen Weg aus der europäischen Krise streiten. Aber wir müssen es auf verfassungsrechtlich gesichertem Grund tun", sagte Steinmeier und fuhrt fort: "Europäische Integration kann es nur mit parlamentarischer Beteiligung und Kontrolle geben" — und das sei die zentrale Botschaft des Urteils.
Ansonsten aber ließ der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion am Kurs der Bundesregierung kein gutes Haar: Ob Krise in Europa, Energiewende, Zuschussrente, steuerliche Behandlung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften oder die Verfolgung von Steuersündern: "Nichts geht mehr in dieser Regierung", resümierte der Sozialdemokrat.
Nach drei Jahren taumle die Koalition "wie ein angeschlagener Boxer" ihrem Ende entgegen. Immer wieder habe die Regierung etwa in der Krisenpolitik beim Euro rote Linien gezogen, nur um dann das als Erfolg zu verkaufen, was sie selbst zuvor als "Untergang des Abendlandes" gebrandmarkt habe, sagte Steinmeier mit Blick auf eine Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 7. September, unbegrenzt Staatsanleihen angeschlagener Euro-Mitglieder zu kaufen.
Dass nun die EZB als "einzig verbliebene handlungsfähige europäische Institution" einen großen Teil der Rettungsmaßnahmen übernehme — ohne hinreichende demokratische Kontrolle und ohne die gebotene Transparenz — sei auch einer verfehlten Politik der Bundesregierung anzulasten, sagte Steinmeier.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach mit Blick auf die Entscheidung der Karlsruher Richter von einem "guten Tag" für Deutschland und für Europa.
Indem das höchste deutsche Gericht den Weg für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalvertrag freigemacht und die Rechte des Parlaments bekräftigt habe, sende Deutschland heute ein "starkes Signal" an Europa.
Einmal mehr nehme die Bundesrepublik ihre "Verantwortung als größte Volkswirtschaft und verlässlicher Partner in Europa entschlossen wahr", sagte Merkel.
Die Kanzlerin bezeichnete Deutschland als "Stabilitätsanker" und "Wachstumsmotor" in Europa. "Deutschland geht es gut", und das sei ein Erfolg der Menschen in diesem Lande, aber auch der christliche-liberalen Koalition, die an drei Grundprinzipien festhalte: solide Finanzen, Solidarität mit den Schwachen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.
"Das gilt sowohl für unser Vorgehen in Europa, als auch für unsere Politik hier zuhause", sagte Merkel und stellte zugleich klar: Deutschland werde es auf Dauer nur gut gehen, wenn den Nachbarn in Europa gut gehe.
Als wichtiges Anliegen formulierte Merkel bei allen Schritten in Europa die Wiederherstellung von Glaubwürdigkeit und die Verbindlichkeit der untereinander vereinbarten Regeln. Es gehe ausdrücklich auch um die demokratische Legitimierung, also die Ausgestaltung der Rolle von Europäischem Parlament und der nationalen Parlamente, betonte die Kanzlerin.
Aus Sicht von Dr. Gregor Gysi hat die Klage seiner Fraktion gegen den ESM und den Fiskalpakt die Demokratie in Deutschland "bereichert": "Wir haben die Haftungsbegrenzung erreicht und mehr Mitsprache des Bundestages", sagte der Vorsitzende der Fraktion Die Linke. Er stellte klar, dass seine Fraktion die Gemeinschaftswährung nicht ablehne: "Deutschland braucht dringend den Euro."
Allerdings sei die Politik der "harten Kürzungsauflagen" der falsche Weg. Statt unter der Überschrift der Wettbewerbsfähigkeit eine Sparpolitik voranzutreiben, die stets die Löhne senke und Sozialleistungen kürze und von "unten nach oben verteilt", gelte es mit höheren Löhnen und Renten die Binnennachfrage anzukurbeln — in Deutschland wie in den kriselnden Euroländern. "Wir brauchen Aufbau- und nicht Abbaukredite, wir brauchen einen Marshallplan in diesen Ländern", sagte Gysi.
Der Fraktionschef der FDP, Rainer Brüderle, stellte der Koalition ein gutes Zeugnis aus: "Deutschland steht besser da als die meisten Länder der Welt. Das ist kein Zufall", sagte Brüderle. Dies sei das Resultat "harter Arbeit" der Menschen, erfolgreicher Unternehmen, "vernünftiger Tarifpartnerschaft", aber eben auch ein Resultat der schwarz-gelben Koalition. Sie habe die Weichen für Wachstum und Beschäftigung gestellt und betreibe eine "wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik".
Brüderle verwies auf die Unabhängigkeit der EZB, betonte aber zugleich, dass seine Fraktion "eine dauerhafte Staatenfinanzierung durch die Notenpresse" für falsch halten würde. Geldwertpolitik sei "stille Sozialpolitik", stabiles Geld die "Magna Charta" der sozialen Marktwirtschaft.
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, warf der Bundesregierung vor, einen "Wahlkampfhaushalt" für das kommende Jahr vorgelegt zu haben. Der Koalition fehle der Mut zu "strukturellen Entscheidungen", das Land sozial und ökologisch weiterzuentwickeln, Vorsorge bei sprudelnden Steuereinnahmen zu treffen, bei Bildung und Integration voranzukommen und die Sozialsystem für die Zukunft wetterfest zu machen.
"Nichts, was sich positiv entwickelt hat, beruht auf Schwarz-Gelb", sagte Künast. Im Grundgesetz sei klar und deutlich formuliert, dass die Bundesrepublik in einem vereinten Europa dem Frieden dienen solle, betonte Künast. Sie wünsche sich eine Regierung, die den Mut habe, diesen Weg zu beschreiten und sich zu einem vereinten Europa zu bekennen.
Volker Kauder betonte hingegen, dass die Europapolitik der Bundesregierung sehr wohl in die Geschichtsbücher eingehen werde: "Wir haben in der schwierigen Zeit in Europa für Stabilität beigetragen", sagte der Unionsfraktionsvorsitzende.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei heute ein Meilenstein in Europa geschaffen worden. Mit ihm seien zwei Dinge bestätigt worden, die noch vor Monaten niemand für möglich gehalten habe: der Rettungsschirm ESM, der für die Solidarität, und der Fiskalpakt, der für Solidität in Europa stehe.
Insbesondere hob Kauder hervor, dass es keinen Automatismus bei den Haftungsobergrenzen des ESM gebe, der Bundestag hier stets befasst sei und zustimmen müsse. Kauder wies darauf hin, dass die Frage, wie Abstimmungen und Entscheidungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Euroländern parlamentarisch begleitet werden, den Bundestag noch intensiv beschäftigen werde.
Für ihn sei nicht die erste Frage "Was übertragen wir an Kompetenzen?", sondern zunächst einmal "Wie können wir Entscheidungen demokratisch absichern?", betonte Kauder. "Wir wollen nicht ein Europa der Bürokraten, sondern der Demokraten." (ahe/12.09.2012)