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Fünfmal die Woche laufen im Abendprogramm der ARD populäre Talkshows – oft mit politischem Inhalt. In der Vergangenheit hatten sowohl Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert als auch Vizepräsident Dr. Wolfgang Thierse (SPD) Sendungen dieser Art kritisiert. Am Donnerstag, 1. November 2012, stellte sich ARD-Chefredakteur Thomas Baumann einem Streitgespräch und diskutierte mit Thierse im Rahmen der Reihe "W-Forum" der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages über das Thema "Politische Talkshows – Information oder Inszenierung?" Moderiert wurde das Streitgespräch von Prof. Dr. Ulrich Schöler, dem Abteilungsleiter Wissenschaft und Außenbeziehungen innerhalb der Wissenschaftlichen Dienste.
Baumann wertete viele im Vorfeld der Diskussion geäußerte Kritikpunkte als Vorurteil. Er bedauerte, dass die Positionen zu diesem Thema festgefahren seien und wünschte eine Versachlichung der Debatte. In seinem Anfangsstatement ging er auf ein Interview Norbert Lammerts ein, in dem dieser von einer "erbarmungslosen Dominanz der Talkshows" gesprochen hatte, die auf Unterhaltung konditioniert seien. Baumann widersprach, dass diese Gesprächssendungen eine Art Monopol auf die Vermittlung politischer Information hätten.
Der ARD-Chefredakteur verwies auf die vielen Nachrichtensendungen, politischen Magazine, Dokumentationen und Features. Er sagte aber auch: "Die Bürger haben nur ein begrenztes Interesse und Zeitbudget für politische Informationen". Baumann erklärte weiter, dass die ARD politisches Interesse nicht erzwingen wolle. "Wir wollen Menschen nicht erziehen."
Baumann griff die Diskussion um die Quote in Bezug auf die öffentlich-rechtlichen Sender auf und meinte, diese würde nicht immer redlich geführt: "Selbstverständlich wollen wir das Interesse des Publikums. Wer wie wir ein Gebührenprivileg genießt, der muss ein mehrheitsfähiges Programm anbieten." Und weiter: "Wir wollen den Erfolg. Ja, wir wollen die Quote eben nicht um jeden Preis." Und er betonte zum Ende seiner Ausführung: "Wir wollen, wir müssen als öffentlich-rechtlicher Sender mit politischer Information möglichst alle erreichen, nicht nur politisch Interessierte." Baumann fügte hinzu: "Ich sehe nicht, dass wir nur auf Unterhaltung aus sind."
Wolfgang Thierse kritisierte in einer "subjektiven Beobachtung", wie er selbst sagte, dass für ihn oft ein Blick auf die Teilnehmerliste der Talkshows ausreiche und er wisse, was ihn erwarte, weil er das politische Personal ja kenne. Außerdem monierte er, dass Themen und Ansichten nicht gründlich differenziert debattiert würden und in vielen Fällen die Gesprächsteilnehmer nicht ausreden dürften.
Der SPD-Politiker fasste seine Meinung in zehn Punkten zusammen. Er kritisierte unter anderem, dass neben den Nachrichtensendungen die politischen Talkshows ins Zentrum der Fernseh-Politik-Darstellung gerückt seien – zumindest in der Wahrnehmung des Publikums. So würde die Zweck-Mittel-Relation umgedreht. Talkshows sollen unterhalten und bedienen sich der Politik, so Thierse. Er gab zu bedenken, dass es bei dieser Darstellung zu Polarisierung, Skandalisierung, Zuspitzungen, der Gegenüberstellung von Siegern und Verlierern komme. "Die Logik einer Show ist nicht die Logik der Politik" betonte der Bundestagsvizepräsident.
Auch in der Rolle der Redaktion, die eine Dramaturgie für die Sendung entwickeln müsse, sah Thierse ein Problem. So seien bei der Auswahl der Gäste oft Witz und Schlagfertigkeit wichtiger als sachliche Kompetenz. Thierse fragte außerdem nach der Logik der Themenwahl und sagte, er habe den Eindruck, dass man oft auf Themen setze, die schon von anderen Medien gesetzt seien. "Themen wandern durch die Talkshows", so der Politiker. Auch bekomme man bei den Titeln der Sendungen den Eindruck, dass Deutschland ein Land des Elends sei.
Chefredakteur wies den Vorwurf der Inszenierung im Kern zurück. "Wir entscheiden uns für ein Thema und dann kommt die Frage: Wie bereiten wir das verständlich auf und wen laden wir dazu ein?", erklärte Thomas Baumann. Den Gästen würde aber nicht gesagt: Bitte sagen Sie dieses oder jenes. Thierses Kritikpunkt der Wiederholungen nannte der ARD-Journalist "unfair". Er bezog sich auf den Fall Wulff. Schließlich hätten auch die Zeitungen Tag für Tag das Thema aufgegriffen, da immer neue Details ans Licht gekommen seien.
Besonders kritisch setzte sich Wolfgang Thierse mit dem Untertitel der Sendung "Hart aber fair" auseinander. Dieser lautet "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft". Er sprach von Arroganz und der Inszenierung einer Zwei-Welten-Lehre. Es würde der Anschein erweckt, dass Fernsehen für Wirklichkeit stünde und Politik für Ahnungslosigkeit, Lüge, Lebensfremdheit.
Die Politiker, die mitmachen, sah Thierse als "eher Getriebene", die "auf die Medien angewiesen seien". Der SPD-Abgeordnete betonte, er wolle die Talkshows nicht abschaffen, sah aber ein Grundproblem darin, dass Politik in den Sendungen als leichte, flotte Unterhaltung dargeboten würde. Die wirkliche Politik, so Thierse, sei aber ernst, grau und langsam.
Ein großes Problem für die ARD, so Baumann, sei das Alter der Zuschauer politischer Sendungen. Bei über vier Millionen Zuschauern der Sendung "Jauch" seien nur sieben Prozent zwischen 14 und 49 Jahre alt. "Das Problem haben alle, die politische Sendungen anbieten."
Zum Schluss wünschte sich Bundestagsvizepräsident Talkshows, die zum "intensiven Zuhören" verführen und nannte als Beispiele den "Typus Plasberg" mit Einspielern, Gesprächsrunden mit vier Personen und Talkshows mit nur einem oder zwei Gästen. (ah/01.11.2012)