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Jüdische und muslimische Religionsgemeinschaften gehören zu Deutschland, und die Beschneidung des männlichen Kindes muss auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden. Darüber herrschte in der Plenardebatte am Donnerstag, 22. November 2012, interfraktionelle Einigkeit. In erster Lesung wurden der Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (17/11295) und sowie ein von 66 Abgeordneten der Oppositionsfraktionen initiierter Gesetzentwurf mit fast wortgleichem Titel (17/11430) beraten und anschließend an die Ausschüsse überwiesen.
Es gebe "auf der Welt kein Land, das die Beschneidung von Jungen generell unter Strafe stellt", erklärte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Auch hierzulande sei dieser Ritus bis vor kurzem nicht infrage gestellt worden. Aber das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 (Aktenzeichen: 151 Ns 169/11) habe die Rechtsmäßigkeit erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik bezweifelt.
Darin hatte das Gericht die Auffassung vertreten, bei der religiös begründeten, aber nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern vorgenommenen Beschneidung eines minderjährigen Jungen handele es sich um eine rechtswidrige Körperverletzung.
Zwar habe es sich nur um einen Einzelfall gehandelt, sagte die Justizministerin weiter, doch würden sich Juden und Muslime in ihrer Religionsausübung gefährdet sehen. "Mit dem heute zu beratenden Gesetz wollen wir zu der Normalität zurückkehren, die bisher weltweit als selbstverständlich galt", sagte sie mit Blick auf den Regierungsentwurf.
Dieser sei das Ergebnis ausführlicher Beratungen mit Experten verschiedenster Bereiche. Da es die erste Beratung der Gesetzesinitiativen war, appellierte Leutheusser-Schnarrenberger "an uns alle, mit großem Respekt und gegenseitiger Toleranz, dieses wichtige Thema zügig zu beraten. Wir brauchen Rechtssicherheit."
Der sozialdemokratische Abgeordnete Burkhard Lischka pflichtete der Ministerin bei: "Wir sollten uns gegenseitig aushalten in diesem Wertekonflikt." Die Demokratie sei der "beste Ort, diesen Konflikt sachlich und mit dem gebotenen Respekt zu diskutieren".
Der Regierungsentwurf sei eine "gute Grundlage zum Diskutieren und Ändern". Zwar sei ihm die Beschneidung selbst fremd, aber er wolle deshalb nicht "Eltern mit einem anderen Glauben absprechen, dass auch sie ihre Kinder lieben, nur weil sie eine Beschneidung vornehmen, die für ihren Glauben identitätsstiftend ist". Weder muslimische noch jüdische Mitbürger brauchten Nachhilfeunterricht in Sachen Kinderliebe und Menschenrechte.
Dr. Günter Krings (CDU/CSU) war es darüber hinaus wichtig klarzustellen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung auch eine Abgrenzung zu der "barbarischen Genitalverstümmelung bei Mädchen" enthalte. Viele Mädchen, führte er aus, "sterben dabei oder werden lebensgefährlich verletzt".
Die Beschneidung von Mädchen sei im Unterschied zu der Beschneidung von Jungen "kein Ritual zur Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft". Dieser Eingriff sei vielmehr, argumentierte Krings weiter, "Ausdruck einer Erniedrigung von Frauen. Deshalb lehnen wir ihn strikt hier im Deutschen Bundestag ab."
Raju Sharma (Die Linke), sprach nicht für seine gesamte Fraktion. Im Bundestag gebe es viele unterschiedliche Auffassungen zum Thema Beschneidung, wie auch in der Fraktion. Während die Koalitionspolitiker für den Regierungsantrag warben, waren die Oppositionspolitiker trotz des Gruppenantrags nicht geschlossener Meinung, denn lediglich 66 Abgeordnete von SPD, Grünen und der Linken hatten ihn unterzeichnet. "Aber in einer Sache sind wir uns einig, und auch im ganzen Haus einig", sagte Sharma weiter: "Wir alle betrachten das jüdische und muslimische Leben in Deutschland als eine kulturelle Bereicherung unserer Gesellschaft."
Am Regierungsentwurf kritisierte er, dass die Kinderrechte nicht genügend berücksichtigt worden seien. "Sie haben auch nicht Betroffene angehört, die heute unter einer Beschneidung leiden, weil sie als Kinder nicht einwilligen konnten oder durften", warf er den Gesetzesinitiatoren vor. Deshalb sei er dankbar für den anderen Gesetzentwurf, an dem unter anderem seine Fraktionskollegin Diana Golze beteiligt war, die Vorsitzende der Kinderkommission, der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder, im Bundestag ist. Hier hätten die Verantwortlichen sorgfältig abgewogen, zwischen "Religionsfreiheit auf der einen, aber auch Kinderrechten auf der anderen Seite".
An diesem Gruppenantrag kritisierte der Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag wiederum, dass keine Beschneidung vor dem 14. Lebensjahr vorgenommen werden dürfe. Das sei aber in manchen Gemeinschaften bedeutsam. So würde der Gesetzentwurf "alle Eltern und Beschneider zu Straftätern" machen: "Verfolgung, Bestrafung, das Jugendamt im Haus, das ist die Konsequenz des Gruppenantrags", sagte Montag weiter.
Deshalb werde er den Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützen, den er für richtig halte. Allerdings habe er zwei "für mich wirklich wichtige Änderungsvorschläge": zum einen, dass das kindliche Veto ein Ausschlussgrund sei, und zum anderen die Option, dass die Zeitspanne, in der auch Beschneider, die keine Ärzte sind, die Beschneidung vornehmen dürfen, von sechs Monaten auf 14 Tage verkürzt werde.
"Deutschland ist ein tolerantes Land. Von Zeit zu Zeit muss diese Toleranz Bewährungsproben bestehen", sagte der liberale Abgeordnete Stephan Thomae. Dieses Thema sei eine solche Prüfung, weil darin Grundrechte miteinander konkurrierten: das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes, das Erziehungsrecht der Eltern und das Recht der Eltern und des Kindes auf freie Religionsausübung.
Letzteres schütze vor allem auch Minderheiten. Im Regierungsentwurf gehe es nicht darum, etwas vorher Verbotenes zu erlauben, "sondern etwas Sozialadäquates und in der Vergangenheit von unserer Rechtsordnung immer Akzeptiertes gesetzlich zu untermauern". Zugleich behalte er das Kindeswohl im Auge, weil er erstmals ausdrücklich verlange, dass der Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu erfolgen habe, argumentierte Thomae weiter. Damit gelinge dem Entwurf, "die kollidierenden Grundrechte in einen bestmöglichen Ausgleich zu bringen". (ver/22.11.2012)