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Der Bundestagsabgeordnete Michael Leutert (Die Linke) hat in einem am Montag, 3. Dezember 2012, erschienenen Interview mit der politischen Wochenzeitung "Das Parlament" eine europäische Wirtschafts- und Sozialunion gefordert. Er wisse, dass es dafür in seiner Partei keine Mehrheit gebe, sagt der Haushaltsexperte der Linken-Fraktion, trotzdem "wird kein Weg daran vorbeiführen, wenn wir in der Gemeinschaft auf Dauer Erfolg haben wollen". Darüber hinaus spricht sich Leutert für einen Schuldenschnitt für das finanzschwache Griechenland aus. Das Land dürfe die Europäische Union nicht verlassen. "Das wären letztlich ein viel größerer Schaden und viel größere Kosten für die EU", sagte der 38-jährige Abgeordnete aus dem sächsischen Chemnitz. Das Interview im Wortlaut:
Herr Leutert, warum sagt Die Linke Nein zu den neuen Griechenlandhilfen? Es müsste doch eigentlich in Ihrem Sinne sein, wenn das Land mehr Zeit zum Sparen bekommt.
Das stimmt schon, allerdings haben wir von Anfang an gesagt, dass Ausgabenkürzungen, die dann besonders den Sozialbereich treffen, der falsche Weg sind. Was wir stattdessen brauchen ist ein effektives Investitionsprogramm, um die Kaufkraft im Land zu steigern. Außerdem redet beispielsweise niemand davon, die Rüstungsausgaben zu kürzen. Auch kümmert sich niemand um die Steigerung der Einnahmen. 2.000 griechische Familien gelten als hoch vermögend. Die müssen endlich mit in die Verantwortung genommen werden.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt nach wie vor, einen Schuldenschnitt für Griechenland wird es nicht geben. Ihre Partei ist da anderer Meinung. Warum?
Na, die Frage ist doch: Wie soll Griechenland es schaffen, den Staatshaushalt von der Schuldenlast zu befreien? Ich glaube nicht, dass das in den nächsten zehn Jahren tatsächlich gelingen wird. Und das wissen auch CDU und FDP. Der Punkt ist aber: Wenn die Schulden erlassen würden, wäre das in unserem Etat richtig spürbar. Dann blutet der deutsche Steuerzahler. Und im nächsten Jahr sind Wahlen …
… und bei den Wählern käme das dann nicht gut an. Aber ein Schuldenerlass wäre doch ein Signal, dass es egal ist, wie in einem Euro-Mitgliedsland gewirtschaftet wird, weil ja die Gemeinschaft einspringt, wenn es eng wird.
Schauen Sie: Wenn ich einen Freund habe, dem ich Geld geliehen habe und von dem ich ganz genau weiß, er wird es nicht zurückzahlen können, dann habe ich doch nur zwei Chancen. Entweder ich stehe immer wieder vor seiner Tür und fordere das Geld zurück, bekomme es aber nicht und breche mit ihm. Oder aber ich mache ihm ein Angebot: Pass auf, ich erlasse dir einen Teil deiner Schulden, dafür zahlst du mir wenigstens so viel zurück wie du kannst, und wir bleiben Freunde. So ist es auch mit Griechenland. Die Frage ist doch, was es für Auswirkungen auf die Europäische Union hat, wenn Griechenland pleitegeht oder den Euro-Raum verlässt. Das wären letztlich ein viel größerer Schaden und viel größere Kosten für die EU, als wenn man jetzt einen klaren Schuldenschnitt machen würde.
Sie finden also, dass es für die europäische Zukunft wichtig ist, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt.
Ja, natürlich. Andernfalls würden wir doch einen Präzedenzfall schaffen, der ein vollkommen falsches Signal gibt. Jetzt kommt es darauf an, dass wir in Europa nicht nur eine Währungsunion, sondern auch eine Wirtschafts- und Sozialunion schaffen. Dazu gehört, dass wir das Handelsbilanzdefizit zwischen Griechenland und Deutschland abbauen müssen. Und wir müssen hier so produzieren, dass andere Länder auch konkurrenzfähig sind, zum Beispiel über die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Deutschland.
Ihre Einschätzung, dass es fatal wäre, wenn Griechenland aus der Gemeinschaft herausfiele, wird von allen anderen Fraktionen im Bundestag geteilt. Warum hat man trotzdem den Eindruck, dass Die Linke bei dem Thema EU und Währungsunion auf Krawall gebürstet ist?
Ich kann diese Wahrnehmung nicht teilen. Unsere Vorschläge sind vernünftig. Wir wollen doch keine Revolution, wenn wir für Griechenland fordern: Sparen an anderen Stellen, Einnahmen erhöhen, Wirtschaftskraft über Investitionsprogramme stärken. Damit fordern wir doch weder für Griechenland noch für Europa die Einführung des Kommunismus.
Ihre Fraktion kritisiert, dass Rettungspaket und Rettungsschirme vor allem privaten Gläubigern nutzen. Wären strauchelnde Gläubiger, also strauchelnde Großbanken die bessere Alternative?
Okay, das ist tatsächlich die Frage. Einerseits gibt es Institutionen, die an der Verschuldung mitverdient haben und die jetzt wieder mitverdienen. Das ist ein Problem. Andererseits: Wenn die Großbanken ins Straucheln geraten, hat das Auswirkungen auf die Spareinlagen der kleinen Leute und die Kreditvergabe an die kleine Wirtschaft. Das ist also eine Frage der Balance, da muss man genau hinschauen.
Was haben Sie eigentlich gegen den Fiskalpakt?
Wir haben gegen den Fiskalpakt geklagt, weil wir der Meinung gewesen sind, dass das Parlament an bestimmten Entscheidungsprozessen stärker beteiligt werden muss. Ich hatte mir auch erhofft, dass nach dem Urteilsspruch in Deutschland und Europa eine größere Debatte darüber stattfindet, ob nicht sinnvollerweise Kompetenzen, die derzeit noch bei den nationalen Parlamenten liegen, auf die europäische Ebene abgegeben werden.
Diese Debatte hat es in der Intensität aber nicht gegeben.
Ja, leider. Denn daran werden wir in Zukunft nicht vorbeikommen. Auf europäischer Ebene fehlt die starke demokratische Legitimation der Vertretungen, die wir in den nationalen Parlamenten haben. Für mich ist die spannende Frage: Dürfen wir als demokratisch stark legitimierte Parlamentarier Kompetenzen an weniger legitimierte Instanzen abgeben? Das wird zu beantworten sein, wenn wir in Europa weiterkommen wollen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte des Deutschen Bundestages in der jüngeren Vergangenheit mehrfach hervorgehoben und das Parlament damit gestärkt.
Das stimmt. Die Frage ist bloß, ob das die richtige Entscheidung ist. Wenn ich sage, wir müssen aus der Europäischen Union eine politische, soziale und wirtschaftliche Union bauen, weiß ich, dass ich nicht die Mehrheitsposition meiner Partei formuliere. Trotzdem wird kein Weg daran vorbeiführen, wenn wir in der Gemeinschaft auf Dauer Erfolg haben wollen. Also müssen wir unbedingt Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene verlagern. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger das als Wählerinnen und Wähler stützen. Wir brauchen in Europa am Endes des Tages also ein einziges Parlament, eine gemeinsame Verfassung und eine gewählte Regierung. So lange das nicht passiert ist, bleibt die Europäische Union eine schwierige Konstruktion. Eine zielführende Politik aus einem Guss lässt sich nun einmal nicht umsetzen, wenn es in einer Union über zwischenstaatliche Verträge viele kleine Unter-Unionen gibt.
Was wäre denn das Rezept Ihrer Fraktion gegen diese demokratische Unterzuckerung auf europäischer Ebene? Es dürfte doch klar sein, dass man Ihre Vorstellungen nicht von heute auf morgen bewerkstelligen kann. Da müssen vertragliche Abmachungen geklärt, EU-Recht hinterfragt und institutionelle Fragen beantwortet werden. Wie sehen denn Ihre konkreten Vorschläge aus?
Ja, ganz klar. Das ist nicht mal eben so umzusetzen. Womit wir aber jetzt beginnen können, ist eine breite Debatte in allen europäischen Ländern, wie wir zu einer gemeinsamen Verfassung gelangen können. Und vor allem: Was soll da drinstehen? Da gehen die Meinungen auch in meiner Partei weit auseinander. Aber die Tatsache, dass wir darüber reden müssen, ist unstrittig. Und ich glaube auch, dass das kompatibel ist mit den Vorstellungen der anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag.
(jbi/ahe/03.12.2012)