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Das eine gilt als Waffe des Parlaments, das andere als Druckmittel des Kanzlers. Und doch dienen die Regelungen, die das Grundgesetz für das konstruktive Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage festlegt, ein und demselben Zweck: Sie sollen dafür sorgen, dass Regierungskrisen schnell überwunden werden und kein Zustand eintritt, in dem das Land keine handlungsfähige Regierung besitzt.
In der 60-jährigen Bundestagsgeschichte wurde bislang fünf Mal von einem Regierungschef die Vertrauensfrage gestellt, zwei Mal versuchte das Parlament den Kanzler per Misstrauensvotum zu stürzen. Ein Rückblick auf entscheidende Stunden im Plenum. Folge 5: 17. Dezember 1982 - Helmut Kohl stellt die Vertrauensfrage.
Zwei sozialdemokratische Bundeskanzler hatten bereits die Vertrauensfrage gestellt, allerdings mit sehr unterschiedlicher Intention, als 1982 Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) den Einsatz dieses Instruments erwog.
Während sein direkter Vorgänger im Amt, Helmut Schmidt (SPD), mit seiner Vertrauensfrage im Februar 1982 die Kritik in den eigenen Reihen zum Schweigen und Geschlossenheit in die bröckelnde sozialliberale Koalition bringen wollte, war es das erklärte Ziel von Willy Brandt (SPD) gewesen, über eine absichtlich verlorene Vertrauensfrage Neuwahlen zu ermöglichen.
Kohl plante ebenfalls ein solches Vorgehen, denn auch er strebte Neuwahlen an, als er am 13. Dezember 1982 nach Artikel 68 Absatz 1 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage stellte. Zwar hatte der CDU-Vorsitzende erst wenige Wochen vorher, am 1. Oktober 1982, mit dem von ihm gestellten konstruktiven Misstrauensvotum den amtierenden Bundeskanzler Schmidt zu Fall gebracht und war zugleich selbst von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zum neuen Regierungschef gewählt worden.
Doch Kohl wollte den Souverän selbst um die Legitimation seiner Regierung bitten. Und er hatte guten Grund, auf eine deutliche Mehrheit für die von ihm geführte christlich-liberale Regierungskoalition zu hoffen: Umfrageergebnisse deuteten auf einen klaren Sieg für Union und FDP hin.
Schon in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 hatte Kohl die Absicht erkennen lassen, möglichst schnell, am besten im März 1983, vor die Wähler zu treten. Dass aber ein wenige Wochen zuvor legal ins Amt gekommener Kanzler beabsichtigte, sich per Vertrauensfrage stürzen zu lassen, stieß auf die Kritik auch vieler Staatsrechtler: Einen solchen Fall hätten die Schöpfer des Grundgesetzes nicht vorgesehen, so die Argumentation der Kritiker.
Kohl ließ sich von solchen Stimmen nicht beeindrucken: Als er vor der Abstimmung über die Vertrauensfrage am 17. Dezember 1982 im Bundestag das Wort ergriff, um seinen Antrag zu verteidigen, nahm er zwar Bezug auf die "intensive öffentliche Debatte", wies Kritik aber zurück.
Wie schon Willy Brandt 1972 wolle er die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für Neuwahlen zu öffnen. Juristische Probleme sehe er nicht: "Nach eingehender Prüfung aller wesentlichen Gesichtpunkte (...) bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass der von mir eingeschlagene Weg im Einklang mit dem Grundgesetz steht."
Artikel 68 gebe dem Bundeskanzler schließlich die Möglichkeit, die Mitglieder des Bundestages zu fragen, ob für die "Weiterarbeit der Bundesregierung eine hinreichende parlamentarische Basis" gegeben sei. Dies wolle er nun wissen.
Zur Begründung führte der Bundeskanzler an, der Auftrag des Bundestages sei nach dem Regierungswechsel zunächst "sachlich begrenzt" gewesen. "Deshalb haben wir von Anfang an angestrebt, dem Wähler sobald wie möglich eine Gelegenheit zu geben, sein Votum zur Politik der Koalition der Mitte, zu dieser neuen Politik abzugeben", erklärte Kohl.
Neuwahlen seien "notwendig". Es gehe darum, das Land aus der "schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland" herauszuführen. Um dies zu schaffen, müsse sich die Regierung auf einen "entschiedenen Wählerauftrag" stützen können, so der Kanzler.
Gerade Willy Brandt, auf dessen Vorgehen sich Kohl berufen hatte, als er im Plenum die Gründe für seine Vertrauensfrage erläuterte, war damit jedoch gar nicht einverstanden: "Der Weg zu Neuwahlen hätte beschritten werden sollen, als die (sozialliberale, Ergänzung der Redaktion) Koalition zerfiel, die im Oktober 1980 durch die Wähler erneut ins Amt gerufen worden war", monierte der SPD-Vorsitzende.
Doch Kohl habe sich zunächst einen "Platzvorteil verschaffen" wollen. Die aktuelle Situation sei im Übrigen keineswegs vergleichbar mit der, in der er sich als Bundeskanzler im September 1972 befunden habe, so Brandt. "Die damalige Regierung hatte es mit einem Patt zu tun."
Ob Kohls Verweis auf die zeitliche Begrenzung eines Regierungsmandats als Begründung für die Vertrauensfrage ausreichend sei, bezweifelte Brandt. Dennoch könne sich der Kanzler darauf verlassen, "dass er das politische Vertrauen der sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag nicht hat." Die SPD stimme Neuwahlen ausdrücklich zu.
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) wies Brandts Zweifel an der Legitimität der Begründung zurück: Die Fraktionen von FDP und CDU/CSU hätten der Bundesregierung bei ihrer Bildung einen "sachlich und zeitlichen begrenzten Auftrag" zur Verabschiedung des Haushalts 1983 erteilt, nämlich zum Beschluss seiner Begleitgesetze sowie zur Bekräftigung der außen- und sicherheitspolitischen Ziele.
Diesen Auftrag habe die Regierung erfüllt. Nun wolle sie ihr Versprechen einlösen, "sofortige Neuwahlen möglich zu machen". Der Auftrag der Bundesregierung solle erst erneuert werden, wenn der Wähler das Wort gehabt habe, betonte Genscher. Das entspreche nicht nur dem Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch aller Fraktionen im Bundestag.
Dennoch gab es auch eine Reihe von Parlamentariern, die sich gegen die Auflösung des Bundestages wehrten: Darunter etwa Hansheinrich Schmidt. Der FDP-Abgeordnete aus Kempten kritisierte den von Kohl eingeschlagenen Weg, über eine "unechte Vertrauensfrage" zu Neuwahlen zu kommen.
Schmidt sah darin eine "Gefahr für die Glaubwürdigkeit" des Parlaments und der Verfassung selbst. Wie wolle man den Bürgern erklären, dass der Haushalt am Vortag noch mit einer "komfortablen Mehrheit" verabschiedet werden konnte, die Vertrauensfrage einen Tag später aber negativ beantwortet werde?
Trotz solcher Bedenken war Kohls Antrag erfolgreich: Als nach vierstündiger Debatte die Sitzung geschlossen wurde, hatten nur acht Abgeordnete mit Ja gestimmt, 218 mit Nein. 248 hatten sich enthalten.
Vier Abgeordnete wollten jedoch dieses Ergebnis nicht hinnehmen: Als Bundespräsident Prof. Dr. Karl Carstens am 6. Januar 1983 die Auflösung des Bundestages anordnete, reichten Hansheinrich Schmidt (FDP), Karl-Hans Lagershausen (CDU/CSU), Friedhelm Rentrop (FDP) und Karl Hofmann (bis 1982 Mitglied der SPD, dann fraktionslos) Klage beim Bundesverfassungsgericht ein.
Nach nur 41-tägiger Verhandlungszeit stand das Urteil fest: Die Karlsruher Richter billigten zwar im Nachhinein Kohls Weg zu Neuwahlen durch das bewusste Herbeiführen einer Niederlage bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage. Zugleich betonten sie aber, dass die Vertrauensfrage nur in einer "echten" Krise zulässig sei.
Für Kohl war dies nur der erste Erfolg: Bei den Neuwahlen, die schließlich am 6. März 1983 stattfinden konnten, wurde der Bundeskanzler eindrucksvoll im Amt bestätigt: Während die FDP zwar deutliche Verluste erlitt, aber mit sieben Prozent trotz gegenteiliger Prognosen erneut in den Bundestag einziehen konnte, erreichte die Union mit 48,8 Prozent der Stimmen das zweitbeste Ergebnis seit 1957.
Kohl hatte sein Ziel erreicht: Die schwarz-gelbe Koalition war legitimiert. Die "geistig-moralische Wende", die er als Losung ausgegeben hatte, war "perfekt", so kommentierte "Der Spiegel" den Wahlausgang. (sas)