Zitat Zitat von Stefan Beitrag anzeigen
Einerseits plädiere ich für die Offenheit und Offenlegung vieler sonst im verborgenen auflaufenden Prozesse. Ich denke, dass es auf dem Weg in eine verantwortungsvolle Gesellschaft elementar ist, wenn wichtige Entscheidungen nicht nur hinter verschlossenen Türen gefällt werden und undokumentiert bleiben. Gleichzeitig sollte aber das privat bleiben, was privat ist. Es ist stets eine Frage der Auswirkungen auf Menschen, wo die Grenze zu ziehen sein sollte. Ob das Wikileaks bei den Veröffentlichungen immer gelungen ist?
Wahrscheinlich (anfangs) nicht, aber sie haben sich ja auch lernfähig gezeigt und veröffentlichen jetzt in Kooperation mit namhaften "Qualitätsmedien". Ausserdem - mal etwas sarkastisch betrachtet - wurden in Afghanistan und im Irak auch sehr grosszügig "Kollateralschäden" in Kauf genommen, ganze Hochzeitsveranstaltungen mit "Hellfire"-Raketen aufgelöst und wer weiss was noch. Da wird das dann regelmässig im Sinne der "guten Sache" versucht, zu relativieren. Wenn bei WL im Zuge der Bekanntmachung solch gravierender Fehlentwicklungen und Kriegsverbrechen auch mal den einen oder anderen "Kollateralschaden" produziert, sollte man das zwar nicht versuchen, schön zu reden, aber zumindest ins Verhältnis zu den positiven Aspekten der gesamten Aktion setzen.

WL wird bisweilen die Intransparenz vorgeworfen, mit welcher sie selbst auch operieren. Das ist richtig, allerdings derzeit noch notwendig. Man sollte es wie ein "Gegengift" verstehen. Ohne triftigen Grund eingenommen schadet oder tötet es den Organismus ebenso. Wenn der Grund einer akuten Vergiftung allerdings vorliegt, dann ist es die richtige Medizin und hilft bei der Genesung.

Ich sehe Wikileaks als wirkungsvolle Medizin gegen unsere durch Intransparenz, exzessive Geheimniskrämerei und die destruktiven Auswirkungen, die in solchen Schattenbiotopen besonders gut vegetieren, vergiftete Demokratie. Wir brauchen WL nur so lange, wie die (globale) politische Kultur, insbesondere aber auch die der vermeintlichen "Vorzeigedemokratien" gelernt und akzeptiert haben, dass sich brisante Geheimnisse immer schlechter "schützen" lassen und dass die Gefahr des Bekanntwerdens direkt proportional mit dem öffentlichen Interesse daran korreliert.

Wie sagten diverse Innenpolitiker hierzulande gern auch wiederholt im Zuge der Debatten um die Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und was weiss ich noch - "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.". Mal beim Wort genommen! Ein Staat hat per se vor seinen Bürgern nichts zu verbergen, der Bürger vor dem Staat hingegen schon (Privatsphäre). Das ist prinzipbedingt in der FDGO so angelegt, wird aber regelmässig versucht, von besagten Politikern quasi von den Füssen auf den Kopf zu stellen. "Natürlich" nur zu "unserem Schutz", weil die ganze Welt voll mit Terroristen und Kinderschändern ist - egal was die konkreten Statistiken belegen oder eben nicht. Wenn diese Fehlentwicklung nicht gestoppt wird, verkommt der Staat zum Selbstzweck, der seine Bevölkerung, seine Bürger und somit seine "Arbeitgeber" zunehmend als Bedrohung für die eigene Existenz ansieht und behandelt. Stichwort Präventivstaat, Überwachungsgesellschaft etc. Er wird zunehmend alle Entscheidungen an seinem Selbsterhaltungsinteresse ausrichten und damit er dies "demokratisch legitimiert" vollziehen kann, ist es notwendig bzw. höchst dienlich, wenn die Menschen sich einer konstanten Bedrohungslage gegenüber wähnen. Dafür wird schonmal in Deutschland ein fächendeckender Terroralarm ausgelöst, Polizisten mit MPs an Bahnhöfen postiert, obwohl es bis dato keinen einzigen konkreten Anschlag in diesem Land gegeben hat. Wo bleibt da die Verhältnismässigkeit?

Das gleiche Prinzip findet sich natürlich bei den netzpolitischen Themen en masse. Da wird vom "Rechtsfreien Raum Internet" schwadroniert, obwohl das Internet bereits heute eine wesentlich höhere Aufklärungsquote von Straftaten vorzuweisen hat, als die "Offline-Welt". Da wird die Jagt auf KinderpornoKONSUMENTEN(!) vom Innenminister indirekt noch höher gewichtet, als der Einsatz zur Verfolgung der "echten" Straftäter, also jenen, die das Zeug (offline!) herstellen und dann verbreiten. Klar, mit ein paar Hundert gefangenen Deppen, die aus welchen Gründen auch immer - ob absichtlich oder unbemerkt - das Zeug auf ihren Computer geladen haben, kann man schön die Statistik aufblasen. Die Polizei tut was - sie macht das Internet sicherer. So die beabsichtigte Botschaft. Daneben werden dann mittels Netzsperren die echten Täter und ihre Straftaten nicht nur vor der Öffentlichkeit verborgen, sondern sogar noch geschützt! Den Kindern ist damit nicht geholfen, soviel steht fest und das Problem wird auf diese Art auch nicht eingedämmt oder gar aus der Welt geschafft. Im Gegenteil - der einzige Effekt, der hier am Ende wirkungsvoll in Erscheinung tritt, ist die formelle Etablierung einer tragfähigen, geheimen Zensur-Infrastruktur, die ab dem Tag, wo man sie errichtet hat darauf wartet, dass ihr Geltungsbereich erweitert und/oder dass sie schlicht von einer hemmungslosen politischen Kaste missbraucht wird.

Ach nein, sowas gibt es ja gar nicht. Nicht in unserer gefestigten, westlichen Demokratie!

Nein? Man richte bitte den Blick nach Ungarn. Ok ok, das sind ja "Ex-Kommunisten" quasi, das zählt nicht, die müssen das erst noch lernen. Aber was ist mit Italien? Frankreich? Dort geht man mittlerweile im Auftrag der "Kreativwirtschaft" gegen breite Bevölkerungsschichten vor. Die "Netzsperren" werden dort klar als Mittel zur Durchsetzung von kommerziellen Kopierverboten angesehen. Nicht vom Volk, klar, aber von dessen "Vertretern" offenbar. Oder wer macht da wirklich die Gesetze?

Das (u.a.) herauszufinden und ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, ist die Mission von Wikileaks & Co. Und das ist im Sinne aller (echten) Demokraten.